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Kontroverse um Buttiglione

Koczian: Europäische Themen, wenn es nicht gerade um die Türkei oder die nationalen Finanzbeiträge geht, finden selten den Weg in die Schlagzeilen. Der italienische Kommissarsanwärter Rocco Buttiglione hat es geschafft. Er ist CDU-Vorsitzender, was freilich für Centro Democratico Unito steht. Der Grund der Aufregung: Die Väter und Mütter, der noch nicht verabschiedeten europäischen Verfassung haben den Gottesbezug außen vor gelassen. Nun sprach Buttiglione im Zusammenhang mit Homosexualität von Sünde. Am Telefon in Brüssel der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Ingo Friedrich. Guten Tag, Herr Friedrich.

Moderation: Wolfgang Koczian |
    Friedrich: Grüß Gott.

    Koczian: Rocco Buttiglione hat klargestellt, dass er ein persönliches Wertesystem hat, das Urteile hat, die dem Mainstream nicht innewohnen. War der Protest nicht vorauszusehen?

    Friedrich: Wir haben in der Tat die Vermutung, die begründete Vermutung, dass man ganz bewusst Protest organisiert hat gegen Rocco Buttiglione, einen Kommissarskandidaten, der knorrig ist, der seine eigene Überzeugung hat, und man hat in diesem Ausschuss aufgrund der dortigen Mehrheitsverhältnisse eine Stimme mehr organisiert, als notwendig gewesen wäre, um Buttiglione sozusagen passieren zu lassen. Ja, wir haben erwartet, dass das passiert.

    Koczian: Aber die Betroffenen, die ihr Verhalten nicht als Sünde, sondern als Schicksal oder gegeben sehen, dürften sich möglicherweise bei Buttiglione nicht gut aufgehoben fühlen. Haben Sie dafür Verständnis?

    Friedrich: Nein. Wer das Protokoll genau liest, kann glasklar daraus entnehmen, dass Buttiglione unterschieden hat zwischen seinem persönlichen Empfinden als Katholik, ich darf das als Protestant so sagen und es muss ja möglich sein, dass man die eigene, persönliche Werteanschauung auch erwähnt. Er hat mindestens dreimal glasklar gesagt, selbstverständlich ist es völlig klar, dass er sich an das geltende Recht und Ordnung halten wird. Es wird also nicht den Funken von irgendeiner Art Diskriminierung geben, so Buttiglione, was Homosexualität oder andere Ausrichtungen in dem Bereich betrifft, sondern hier hält er sich selbstverständlich an Recht und Ordnung und der Hinweis auf die persönliche Meinung seines christlichen Glaubens, wo dort die Sünde für ihn angesetzt wird und wo nicht, hat damit und mit seiner Dienststellung und seiner Pflicht als Kommissar für Justiz überhaupt nichts zu tun. Das sind herbeigezogene Argumente, die in Wirklichkeit wirklich nicht verdient haben, dass Buttiglione jetzt da in die Situation hineingebracht wird, die viele wollten, das er hineinkommt. Sie denken da bestimmt auch an Berlusconi, an die italienische Situation. Da kommen viele emotionelle und psychologische Argumente zusammen, nicht wirklich der Wunsch, den besten Kommissar zu bekommen oder Kommissare abzulehnen, die es nicht verdient haben.

    Koczian: Nun erleben wir ja gegenwärtig die Rückkehr der Zensur durch das Diktat der Political Correctness, manchmal so pharisäerhaft strikt angewendet, dass Robespierre seine Freude daran hätte. Hat Buttiglione möglicherweise den Anlass zu mehr Freiheit im Denken und Äußern gegeben?

    Friedrich: Wir sollten uns wirklich bei diesen Correctness-Fragen immer wieder prüfen, ob wir uns hier nicht selbst Grenzen auferlegen, die in einer demokratischen Diskussion einfach nicht hilfreich sind. Ich habe kürzlich bei einer anderen Veranstaltung gehört, da ging es um den Angriff oder das Abwehren der Türken bei Wien, da wurde nicht mehr davon gesprochen, dass es ja ein Kampf gegen die Türken war damals 1640 vor Wien, sondern es wurden osmanische Soldaten damals besiegt. Ich bin ja auch für Correctness in jeder Hinsicht, aber wenn es soweit geht, dass man dann nicht mehr genau das sagen darf, was zur Dimension des klaren Sachverhaltes notwendig ist, dann wirkt diese so genannte politische Correctness, die wirkt dann eigentlich kontraproduktiv.

    Koczian: Nun wird ja über die neue Kommission insgesamt abgestimmt. Kann die Abstimmung wegen Buttiglione scheitern? Wie ist Ihre Einschätzung?

    Friedrich: Im ganzen Haus wird darüber diskutiert, wenn man wirklich auf Seiten der Sozialisten oder auf Seiten der Liberalen überdenken sollte, wegen Buttiglione hier ein Nein zu sagen, dann muss man korrekterweise sagen, gibt es mindestens zwei Kandidaten, nämlich Herrn Kovac und Frau Udre, denen man mit Fug und Recht wirklich Mängel vorhalten könnte. Bei Herrn Kovac seine stramm stalinistisch-kommunistische Vergangenheit und bei Frau Udre doch zu Haus, Nachfragen in ihrem eigenen Lande, in den baltischen Staaten, die sehr viel nachhaltiger ein Ablehnen begründen würden. Ich gehe davon aus, dass es unterm Strich bei der Kommission bleibt, dass das Parlament natürlich seine Fragen und seine Wünsche an Barroso formuliert und sagt, Herr Kommissionspräsident, wir möchten die und die Fragen beantwortet haben, dann kann das noch mal geklärt werden, dann kann Barroso auch sagen, Buttiglione steht auf dem Standpunkt des Rechtes. Letztlich würde es meines Erachtens bei der bisherigen Kommissionsbesetzung bleiben.

    Koczian: Kurz zum Schluss, Herr Friedrich, werden die deutsch-italienischen Regierungskonsultationen heute Nachmittag in Rom durch diesen Vorgang um Buttiglione belastet?

    Friedrich: Kanzler Schröder kann sicher sein, dass Berlusconi die eine oder andere Frage zu dem Thema stellt und wenn der deutsche Kanzler klug ist, wird er sich nicht hinter diese emotionell begründete Forderung in dem zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlamentes stellen sondern wird sagen, entscheidend sind die Fähigkeiten, die Korrektheit und das zu erwartende Leistungsvermögen von Kommissionskandidaten dafür, dass die neue Kommission gut arbeiten kann. Der Kanzler Schröder wäre sicher gut beraten, hier die Kommission insgesamt zu akzeptieren.