
Dirk Müller: Der Friede hat auch seinen Preis: Arbeitsplätze, Tausende, so zum Beispiel jetzt bei EADS, dem europäischen Luft-, Raumfahrt- und Rüstungskonzern, ein Unternehmen, das die meisten unter dem Stichwort Airbus abspeichern. Und genau darum geht es jetzt. Dem zivilen Airbus geht es richtig gut, die Auftragslage könnte kaum besser sein, aber was ist mit den Kampfhubschraubern von EADS, was ist mit den Kampfbombern? Die Rüstungsausgaben sinken europaweit, und EADS gerät in die Bredouille. Deswegen will die Konzernführung nun umsteuern. Fast 6000 Jobs sollen gestrichen werden, 2600 davon in Deutschland. Der Standort Unterschleißheim wird geschlossen. Wie viele Mitarbeiter werden entlassen, betriebsbedingte Kündigungen, das ist eine Frage, und das fragen sich vor allem auch viele Tausende Kollegen, wie auch die Frage, war das nicht alles schon viel, viel länger absehbar? - Am Telefon ist jetzt Rüdiger Lütjen, Vorsitzender des europäischen Betriebsrates von EADS. Guten Morgen!
Rüdiger Lütjen: Guten Morgen. Ich grüße Sie.
Müller: Herr Lütjen, kommen Sie in diesen Tagen noch zur Ruhe?
Lütjen: Ja, es gibt schönere Tage, und wir haben natürlich sehr viel zu besprechen, denn die Ankündigungen vom Management haben bei uns und auch bei den Kollegen natürlich erst mal Entsetzen ausgelöst, und jetzt sind wir dabei, die Zahlen zu analysieren und auch zu überlegen, wie wir weiter mit dem Thema umgehen werden.
Müller: Kann ein Management mehr falsch machen?
Lütjen: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Wir haben ja im Bereich der Rüstungs- und Verteidigungsindustrie schon seit vielen Jahren Märkte, die zurückgehen. Die Haushaltslage in den europäischen Ländern ist auch bekannt. Und jetzt hat die EADS daraus den Schluss gezogen, dass man die Aktivitäten im Konzern bündelt und eben auch Maßnahmen beschließt, um wettbewerbsfähiger zu werden, und da hat man leider auch jetzt zum Mittel gegriffen, oder will man zum Mittel greifen der betriebsbedingten Kündigung. Dass man restrukturieren muss, das ist, glaube ich, unstrittig. Die Frage ist nur, wie man das macht.
Müller: Der Vorwurf in Richtung Vorstand geht ja in diese Richtung, Rüdiger Lütjen, dass der Vorstand geschlafen hat. Seit Jahren gibt es diesen Trend, weniger Ausgaben für Rüstung, jetzt erst die Konsequenzen ziehen. Stimmt das?
Lütjen: Nun gut, es hat im Vorwege ja auch schon Aktivitäten gegeben. Man hat freiwillige Abbaupläne beschlossen. Zum Beispiel im Bereich von Cassidian hat man 800 Arbeitsplätze abbauen wollen auf freiwilliger Basis. Man hat auch versucht, neue Geschäftsfelder aufzubauen. Man hat versucht, im Export attraktiver zu werden. Also es ist jetzt nicht so, dass man nichts unternommen hat. Aber unterm Strich hat jetzt Herr Enders und das Board of Directors beschlossen, jetzt hier einen harten Einschnitt vorzunehmen.
Konkrete Zahlen gibt es erst im Januar
Müller: Ich will da aber noch einmal nachfragen, weil vor kurzem - das berichten ja viele Journalisten, das ist ja auch in den Hintergrundberichten nachzulesen - hat Tom Enders wie auch der Vorgänger ja gesagt, der Rüstungssektor, das ist ein Markt der Zukunft. Und jetzt dieses Umsteuern, diese Kehrtwende. Wie gravierend ist das denn, dass es so lange gedauert hat?
Lütjen: Ja gut, mit dem Markt der Zukunft, das müssen Sie Herrn Enders fragen. Wir haben ja erlebt, dass man die Fusion mit BAE angestrebt hat. Da kann ich auch nur als Arbeitnehmervertreter sagen, ich habe damals versucht, mit Herrn Enders Standort- und Beschäftigungssicherung zu erreichen. Dazu war er nicht bereit und dann haben wir auch dieser Fusion natürlich nicht unsere Zustimmung geben können.
Müller: BAE, ganz kurz noch für die Hörer, ist der britische Rüstungskonzern, mit dem fusioniert werden sollte. Das hat nicht funktioniert?
Lütjen: Genau. Und daraufhin hat man dann jetzt überlegt, wie man den Konzern nach innen hin strukturiert.
Müller: Sie sagen, betriebsbedingte Kündigungen, das ist noch mal eine andere Dimension als Beschäftigung abbauen. Wie weit sind Sie da, was wissen Sie?
Lütjen: Ja gut, wir haben ja die Zahlen bekommen, jetzt bezogen auf Länder und Divisionsbereiche. Wir haben noch keine Zahlen bekommen vom Management auf Standortebene und Organisationsbereiche. Das Management hat ja vorgeschlagen, zum Beispiel bis zu 1500 Kolleginnen und Kollegen auch bei Airbus, bei Eurocopter unterzubringen, über freiwillige Aufhebungsverträge mit uns zu verhandeln, hat aber dann gesagt, wenn das nicht reicht, müssten sie zu betriebsbedingten Kündigungen greifen, und die lehnen wir völlig ab. Denn wir meinen, ein Konzern wie EADS, der heute noch wirtschaftlich gut dasteht und auch noch ein Auftragsbuch von zwei Jahren hat, der muss in der Lage sein, die Personalanpassung sozialverträglich zu gestalten. Von daher sind wir sehr enttäuscht und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind natürlich sehr entsetzt, dass man im Konzern zu solchen Mitteln greifen möchte.
Müller: Alle Zahlen liegen ja noch nicht auf dem Tisch, zumindest noch nicht für die Öffentlichkeit. Haben Sie wirklich jetzt alle Zahlen, womit Sie rechnen können, ob das denn reichen wird?
Lütjen: Nein, das haben wir eben nicht, sondern wir haben jetzt nur die Zahlen pro Land und pro Division. Wir haben auch keine wirtschaftlichen Zahlen bekommen. Das will das Management alles im Januar nachliefern, und dann sind wir auch erst in der Lage zu schauen, um welche Arbeitsplätze geht es wirklich. Wir haben jetzt nur die reinen Zahlen bekommen und die Vorschläge, wie man den Personalabbau gestalten kann, und im Januar beginnen die weiteren Gespräche.
Müller: Ärgert Sie das häufig, dass beispielsweise das Handelsblatt darüber mehr weiß als Sie oder als die Mitarbeiter?
Lütjen: Das ist schwierig zu sagen. Wir haben einen Informationsprozess vereinbart. Das Management hat ja diesen Schritt im Juni angekündigt. Daraufhin haben wir verschiedene Informationsrunden besprochen. Auch im neuen Jahr sind schon Termine festgelegt. Ich erwarte eigentlich immer, dass man erst die Arbeitnehmer informiert, dass wir auch die Chance haben, unsere Kolleginnen und Kollegen zu informieren. Insgesamt war der Prozess jetzt nicht, fand ich, so schlecht angelegt. Da habe ich schon andere Dinge erlebt. Aber insgesamt ist es natürlich immer ein schwieriges Thema, solche Zahlen geheim zu halten oder im Unternehmen zu halten.
"Wir führen einen offenen Dialog"
Müller: Wir haben, Herr Lütjen, noch eine Umfrage im Kopf, wo Reporter ja vor den Werkstoren standen, wo sich viele Kollegen dann beschwert haben, gesagt haben, es kann nicht wahr sein, ich habe das nur durch die Presse, durch die Medien erfahren. Funktioniert das in einem modernen Konzern EADS immer noch nicht vernünftig?
Lütjen: Nein, das ist natürlich so. Herr Enders hat ja vor den ganzen Informationen auch ein Interview gegeben, hat gesagt, es werden harte Einschnitte kommen, ohne dass Zahlen kommen. Das hat die Kollegen zutiefst verärgert, das haben Sie auch zurecht angesprochen. Aber ich kann es ja nicht verhindern, ich bin ja nicht der Pressesprecher von Herrn Enders, und ich kann darauf setzen, dass wir den Dialog so führen, wie er angelegt ist, dass man erst mit uns redet, dass wir die Kollegen informieren und dass wir dann gemeinsam die nächsten Schritte festlegen und dann auch die Öffentlichkeit informieren, die natürlich auch das Recht hat, da mitzukoppeln.
Müller: Wir haben gelesen, wir wissen nicht genau, ob das stimmt, dass Ihr Verhältnis zu Tom Enders zu Beginn dessen Führungszeit, Amtszeit gut war. Ist das jetzt getrübt?
Lütjen: Nein! Ich habe aus meiner Sicht ein gutes Verhältnis zu Herrn Enders. Wir führen einen offenen Dialog. Wir haben natürlich unterschiedliche Standpunkte, vertreten auch unterschiedliche Interessen. Aber ich kann mich da in keinster Weise beklagen.
Müller: Aber das haben Sie gerade getan. Sie haben gesagt, das war nicht so offen, Sie haben immer noch nicht die Zahlen, und Tom Enders hat viele Vorgaben gemacht, ohne die klar zu erklären.
Lütjen: Ja gut, das ist ja nicht eine Sache von Herrn Enders, sondern da arbeitet ja ein ganzes Management-Team dran, und ich kann jetzt nicht erklären, warum das Management nach einem halben Jahr die Zahlen immer noch nicht hat. Das müssen Sie das Management fragen.
Müller: Und die französische Rolle im Konzern, schadet die der deutschen?
Lütjen: Nein, das glaube ich jetzt nicht. Wir haben hier heute auch eine Sitzung des europäischen Betriebsrates, eine interne Sitzung, und das Thema betriebsbedingte Kündigungen wird von meinen französischen, britischen, spanischen Kollegen genauso abgelehnt wie von uns deutschen. Wir haben da eine hohe Übereinstimmung und wollen den Prozess auch mit den europäischen Kollegen gemeinsam angehen.
Müller: Die Mitarbeiter ziehen da solidarisch an einem Strang?
Lütjen: Das ist so, ja.
Müller: Bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk Rüdiger Lütjen, Vorsitzender des europäischen Betriebsrates von EADS, demnächst Airbus. Vielen Dank für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
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