Samstag, 20. April 2024

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Konzert #wirsindmehr in Chemnitz
"Für mich steht die Solidaritätsbekundung über allem"

Auseinandersetzungen mit Rechten kennt der Chemnitzer Hip-Hopper Trettmann seit seiner Jugend. Bei dem Solidaritätskonzert, zu dem Musiker aus ganz Deutschland aufgerufen haben, tritt er auch deshalb auf, um auf die Missstände in seiner Heimat hinzuweisen: "Ich kann Chemnitz nicht hängen lassen", sagte der Musiker im Dlf.

Trettmann im Gespräch mit Juliane Reil | 30.08.2018
    Trettmann bei einem Konzert im Astra Kulturhaus in Berlin, 4. April 2018. Trettmann Konzert in Berlin
    "Ich erinnere mich an so viele Abende in irgendwelchen Jugendclubs, wo es hieß, okay, die Faschos kommen", sagter der Chemnitzer Hip-Hopper Trettmann im Dlf (imago )
    Juliane Reil: Nach den Ausschreitungen von Chemnitz setzen am kommenden Montag Musiker aus ganz Deutschland ein Zeichen gegen rechts und Fremdenfeindlichkeit. Auf die Initiative der Chemnitzer Band Kraftklub spielen Musiker wie Casper und Marteria, die Toten Hosen oder auch Feine Sahne Fischfilet ein Solidaritätskonzert in der Chemnitzer Innenstadt. Das Motto lautet: Wir sind mehr! Auch der Hip Hop- und R’n’B-Künstler Trettmann ist mit dabei. Er ist selbst in Chemnitz geboren. Vor der Sendung haben wir mit ihm gesprochen.
    Die Nachrichten aus Chemnitz sind erschreckend, das Bild, das man hat, ist, dass man dort mit einer anderen Hautfarbe nicht sicher auf der Straße ist. Chemnitz als No-go-Area. Ist das ein falscher Eindruck?
    Trettmann: Ja, nach den neuesten Ereignissen würde ich sagen nicht, gerade ist quasi Stimmung – und insofern muss man schon sagen, dass eine gewisse Gefahr vorhanden ist. Jetzt auch zugespitzt, und das ist auch nichts Neues, die Gefahr bestand schon immer, dass man einfach in die falsche Straße läuft und dort eben an die falschen Leute gerät, egal, ob es jetzt die falsche Hautfarbe ist oder einfach nur das Aussehen, was halt zeigt, dass man ein bisschen anders ist. Insofern trügt der Eindruck nicht.
    "Ich habe viele negative Erfahrungen"
    Reil: Welche Erfahrungen haben Sie persönlich gemacht als jemand, der dort gelebt hat? Sind Sie angefeindet worden als Künstler?
    Trettmann: Meine Künstlerkarriere hat ziemlich spät begonnen, aber ja, ich habe viele negative Erfahrungen. Also letztendlich bin ich im Plattenbau groß geworden und da waren die Leute dann halt auf einmal am Start, so in der Vorwendezeit und vor allem eben in den Wendejahren 90, 91, 92 bis 94, da war es wirklich immens, dass man halt sich prügeln musste hier und da, einfach um davonzukommen.
    Oder eben laufen musste oder was weiß ich, ich erinnere mich an so viele Abende in irgendwelchen Jugendclubs, wo halt Disco war oder ein Konzert war, wo es hieß, okay, die Faschos kommen, und wir uns halt verbarrikadiert haben oder eben halt uns da Scharmützel geliefert haben. Oft eben ohne Polizei, also die Neunzigerjahre im Endeffekt. Also, es verfolgt mich schon lange.
    "Ich stelle mich der Situation schon mein gesamtes Leben"
    Reil: Kraftklub haben das Konzert "Wir sind mehr!" initiiert, sie sind gerade selbst auf Tour, Das kam wie eine Entscheidung über Nacht, wie ist es überhaupt dazu gekommen?
    Trettmann: Also ich bin nicht voll im Bilde, wer der eigentliche Initiator ist, ich weiß, die Jungs von Kraftklub gehören mit dazu, ich weiß, dass aus der Clubszene in Chemnitz noch Leute mit beteiligt sind. Ich habe nur eine Anfrage bekommen vom Felix, der fragte, okay, Digga, bist du mit dabei? Und ich habe sofort Ja gesagt, weil ich kann die Jungs nicht hängen lassen und Chemnitz nicht hängen lassen, ganz klar.
    Reil: Mit welchem Gefühl treten Sie am Montag auf? Ist da auch Angst bei Ihnen mit dabei, sich dieser Situation zu stellen?
    Trettmann: Nicht wirklich, weil ich stelle mich der Situation quasi schon mein gesamtes Leben, oder sagen wir mal seit meiner Jugendzeit. Insofern komme ich damit gut klar und positioniere mich ja jetzt nicht irgendwie zum ersten Mal in diese Richtung oder gegen rechts, sondern tue das halt schon lange und auch mit meinen Songs. Insofern freue ich mich auf die Leute, die dort alle erscheinen werden. Und ich hoffe, wir sind richtig viele und zeigen halt, dass Chemnitz auch ein anderes Gesicht hat.
    "Eine Chance, etwas Besseres daraus zu machen"
    Reil: 15.000 Zuschauer haben, glaube ich, schon zugesagt, auf Facebook konnte man auch lesen, dass ein solches Line-up ja im Prinzip ein ziemlich teures Ticket sonst nötig machen würde, jetzt sieht man die Künstler umsonst. Was sagen Sie zu solchen Kommentaren?
    Trettmann: Ja, das ärgert mich ein bisschen, ich weiß auch gar nicht, warum das überhaupt mit kommuniziert wurde, dass es kostenlos ist, weil es ist vollkommen klar, dass es kostenlos ist. Für mich steht wirklich der Zweck oder die Solidaritätsbekundung über allem. Und eben auch letztendlich, dass man aufmerksam machen kann auf die Missstände hier in unserer Heimat. Und ich sehe es auch insgesamt als etwas – natürlich ist der Vorfall todtraurig, gar keine Frage –, aber es ist noch mal eine Chance, irgendwie was Besseres daraus zu machen, im Bezug auf, dass die Politik sich endlich irgendwie mal dazu äußert, also Tacheles redet, irgendwie keine falschen Gefahren heraufbeschwört und irgendwie die Angst schürt.
    Und auch die Polizei vielleicht noch mal geprüft wird oder sich selbst prüft, inwieweit sind uns halt in den letzten Dekaden Fehler unterlaufen und wie soll es überhaupt weitergehen und warum ist da nicht irgendwie ein Querschnitt der Bevölkerung repräsentiert, sondern man hat das Gefühl, die Polizei "mingelt", also mischt sich quasi mit den Rechten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.