
Eine Querflöte schickt ihre Melodie durch die weiß getünchten Gänge, sie hallt wieder in labyrinthischen Treppenhäusern, dringt durch verschlossene Türen, durchbricht die Stille.
"Ich glaube, Musik bringt dich ins Jetzt, lässt dich den Moment erleben. Gerade in einer Situation der Unruhe, vielleicht auch der Angst vor dem, was sein wird, holt sie dich heraus. Und sie schenkt dir Erinnerungen. Das ist für mich das Magische an der Musik."
Die Flöte erinnert den Argentinier Jorge Bergero an seine frühere Lebenspartnerin Eugenia.
Wie er, ein Cellist, spielte sie im renommierten Orchester der Colón-Oper von Buenos Aires. Dann erkrankte Eugenia an Brustkrebs, wurde immer schwächer, musste aufhören, zu musizieren. Irgendwann war klar: Eugenia wird an ihrer Krankheit sterben.
Viele haben den Blick starr ins Nichts gerichtet
"Ich war Zeuge, dieses Prozesses, ihres Schmerzes und dieser Angst und Ungewissheit, was vor der Zukunft, die es plötzlich nicht mehr gab. Musik gab da Halt. Und weil Eugenia nicht mehr auf ein Konzert gehen konnte, kam ich auf die Idee, ihr die Musik ins Krankenhaus zu bringen. Ohne zu ahnen, was daraus entstehen würde."
Musica para el Alma. Musik für die Seele, der Titel stammt von Eugenia. Heute, acht Jahre später, sind 2.000 professionelle Musiker am Projekt beteiligt, bringen Bach und Mozart, Arien und Ouvertüren zu Menschen, die kein Konzert besuchen können. Jeden Montag, wenn die Musiker ihren freien Tag haben, gehen sie in die Hospize Argentiniens, in Kinderkliniken, oder wie an diesem Tag, ins Hospital Bonaparte, der größten Klinik für Psychiatrie und Suchterkrankungen in Buenos Aires.
Langsam füllt sich der Raum, manche sitzen da verkrampften Schultern, den Becher mit Mate-Tee fest umklammert, andere wippen oder zappeln nervös, viele haben den Blick einfach starr ins Nichts gerichtet.
"Viele hier haben eine lange Suchtgeschichte hinter sich, Drogen, Crack, Alkohol, Tabletten, und leiden auch an psychischen Problemen. Dass wir hier Konzerte machen ist auch eine Möglichkeit, Mauern zu durchbrechen und das soziale Stigma, dass Abhängige Verbrecher sind, die bestraft werden müssen", sagt der Krankenhaus-Direktor Ignacio O‘Donnell, bittet aber darum, die Patienten nicht aufzunehmen.
Umarmungen und Tränen
Das Konzert beginnt. Am Anfang reagieren die Besucher noch skeptisch – doch dann schickt der Dirigent Bizets Carmen ins Rennen:
Mezzosopran Mariana Veronica Rodriguez rauscht durch die Reihen, wiegt ihre Hüften, zieht alle in ihren Bann – als ihre Mitstreiter dann auch noch La Traviata und O Sole Mio anstimmen, vibriert der ganze Saal. Und es gibt Standing Ovations, leuchtende Augen, Umarmungen, Tränen, auch bei den Musikern.
"Ich weiß nicht, ob du mein Gesicht siehst, ich habe ein Grinsen von einem zum anderen Ohr, ich bin überglücklich. Die Pfleger hier haben mir gerade erzählt, dass es sonst nie vorkommt, dass so viele Patienten ruhig da sitzen und einfach nur zuhören. Einer sagte mir, ich sei zu seiner Seele vorgedrungen. Deswegen bin ich Musikerin geworden. Das hat keinen Preis."
Inzwischen ist aus Musica para el Alma ein Netzwerk entstanden, sie spielen in Bolivien und Chile, Israel und Italien. Und ein befreundeter Musiker will die Idee aus Argentinien bald auch nach Deutschland bringen.