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Kooperative Lerngruppen
Religionsunterricht - ein Fisch für alle

Wer evangelisch ist, muss andere Dinge über den Glauben wissen als die katholischen Schülerinnen und Schüler. So wurde lange gedacht, deshalb nach Konfession getrennt. Nun experimentieren Schulen mit gemeinsamem Religionsunterricht, aber nicht alle Bischöfe machen mit.

Von Gabriele Höfling | 05.12.2018
    Erstklässler einer Evangelischen Grundschule sprechen ein Gebet.
    In NRW gibt es jetzt konfessionellen Religionsunterricht, an dem sowohl katholische als auch evangeligsche Schülerinnen und Schüler teilnehmen (picture-alliance / dpa / Patrick Pleul)
    "Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name."
    Die Klasse 4a der Gemeinschaftsgrundschule Lobberich in Nettetal an der niederländischen Grenze hat Religionsunterricht. Der läuft seit diesem Schuljahr anders ab als früher: Evangelische und katholische Kinder lernen nicht getrennt etwas über ihren Glauben, sondern zusammen, in einer Lerngruppe. Die Kinder mögen das neue Modell.
    "Mit gefällt das gut, weil wir dann auch über die andere Religion etwas erfahren. - Also, dass wir nur über die Evangelen gelernt haben und jetzt lernen wir evangelisch und katholisch. - Über die Heiligen, weil es die bei unserer Kirche nicht gibt. Und als wir bei der katholischen Kirche waren, ich fand die auch sehr schön. Die Bunten Fenster und dass die Wände nicht so kahl waren, dass da so viel Schmuck war."
    Im Unterricht geht es gerade um die Anfänge des Christentums. Die Kinder sprechen über den Fisch als Symbol der Urchristen:
    "Die Krieger wollten die, die an die Christen glauben, töten. Und es waren früher Sandstraßen und da haben sie sich ein Zeichen ausgedacht. Und dann hat einer einen halben Fisch angefangen und wenn der andere Christ war, hat der den zu Ende gemalt. - Ja, warum mussten die das machen? - Sonst hätten die Römer die umgebracht."
    Leichter zu organisieren
    Die neue Organisationsform des Reli-Unterrichts hat einen sperrigen Namen: "Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht" heißt sie. Seit diesem Schuljahr können Grundschulen und weiterführende Schulen bis zur 10. Klasse diese Form des Unterrichts in Nordrhein-Westfalen erstmals anbieten. Auch in einigen anderen Bundesländern gibt es ihn schon. Eckhard Langner, Leiter des Dezernats für schulische Bildung bei der evangelischen Kirche im Rheinland, erklärt das Konzept:
    "Wir haben bis dato immer getrennte Lerngruppen gehabt, evangelisch, katholisch. Und nun gibt es die Zusammenarbeit sozusagen beider Religionsunterrichte in einer Lerngruppe. Und das ist das Neue. Und was wir damit wollen, ist die konfessionelle Identität stärken - weil man sich mit seinem eigenen vertieft auseinandersetzt und gleichzeitig die anderen Möglichkeiten und Deutungen kennenlernt. Das ist der Reiz dieses Modells."
    Für Anne Cobbers, Schulleiterin und katholische Religionslehrerin an der Gemeinschaftsgrundschule in Lobberich, hat die neue Unterrichtsform viele Vorteile.
    "Organisatorisch ist das leichter, weil die Schüler nicht mehr wie vorher die Klassenräume wechseln mussten um in ihre Religionsräume zu kommen, das hat immer sehr viel Unruhe gebracht. Inhaltlich aber auch auf jeden Fall, weil für mich wie gesagt so der Gedanke dahintersteht, dass man andere Religionen besser toleriert oder akzeptiert, wenn man sie kennenlernt. Und da merkt man auch, dass es viele Gemeinsamkeiten gibt."
    Der Dialog mit der anderen Konfession ist aber nicht der einzige Grund für den neuen Reli-Unterricht. Auch die sinkenden Gläubigen-Zahlen spielen eine Rolle. Religionspädagoge Matthias Gronover von der Uni Tübingen erklärt das am Beispiel der katholischen Kirche:
    "Jetzt ist die demografische Entwicklung aber so, dass ein eigener katholischer Religionsunterricht gar nicht eingerichtet werden kann, weil nicht genügend katholische Religionslehrkräfte da sind, oder weil in mancher Grundschule, denken sie nur an die Ballungsgebiete, gar nicht genügend katholische Schülerinnen und Schüler da sind. Also muss man sich Gedanken machen, wie der Bildungsauftrag, der ja aus dem Evangelium zu begründen ist, umgesetzt werden kann in der öffentlichen Schule."
    "Durch Dialog werden die Profile geschärft und nicht abgewetzt"
    Nicht jeder sieht den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht jedoch als Lösung für dieses Problem. In NRW machen zwar alle drei evangelischen Landeskirchen und vier der fünf katholischen Bistümer bei dem Modell mit. Das Erzbistum Köln ist aber nicht dabei. Man sehe die Notwendigkeit einer solchen Zusammenarbeit nicht, hieß es im vergangenen Jahr zur Begründung. Eckhard Langner von der evangelischen Kirche bedauert das.
    "Es wäre ein größerer Wurf gewesen, wenn alle Bistümer, Erzbistümer und evangelischen Kirchen sozusagen einen gemeinsamen Weg eingeschlagen haben. Andererseits muss man das schlicht respektieren. Ich bin sehr froh, dass wir weiter im Gespräch sind. Und ein bisschen wird die Zeit auch zeigen, welche Argumente werden tragen am Ende."
    Ein zentrales Argument der Skeptiker aus den konservativen Lagern beider Konfessionen: Das Konzept könne als ökumenischer Religionsunterricht missverstanden werden, das eigene Bekenntnis also zu sehr in den Hintergrund geraten. Ein Beispiel ist die erste heilige Kommunion der Katholiken: Manchen fällt es schwer, sich vorzustellen, das katholische Kinder ein echtes Verständnis dieses Sakraments bekommen, wenn sie in einer Klasse mit den Protestanten sitzen, für die die Kommunion so gar keine Bedeutung hat. Dazu Forscher Matthias Gronover:
    "Eine Verwässerung von der Sache her – also, dann, wenn man konfessionelle Kooperation wirklich State of the Art durchführt und reflektiert, dann kann die Forschung jedenfalls keine Verwässerung feststellen. Im Gegenteil: Durch Dialog werden die Profile geschärft und nicht abgewetzt."
    Grundsätzlich wechseln sich beim konfessionell-kooperativen Religionsunterricht die Lehrer ab. Für eine bestimmte Zeit – zum Beispiel ein halbes Jahr - hält der katholische Lehrer den Unterricht, dann wieder der evangelische. Dabei ist gewährleistet, dass Themen, für die jeweilige Konfession besonders wichtig sind, auch vom entsprechenden Lehrer unterrichtet werden. Was es mit der Reformation auf sich hat, erklärt allen Kindern die evangelische Lehrkraft, wer die Heiligen sind, die katholische. Bei Konfliktthemen wie der Bedeutung des Papstes kann auch ein "Team-Teaching" mit beiden Lehrern eine Lösung sein. Thomas Ervens, Schul-Abteilungsleiter Bistum Aachen, das von katholischer Seite den Religionsunterricht der Grundschule in Lobberich zuständig ist, versucht Ängste zu nehmen:
    "Der konfessionell-kooperative Religionsunterricht ist nur eine Organisationsform des konfessionellen Religionsunterrichts. Die herkömmliche Form des konfessionellen Religionsunterrichts ist dadurch nicht angetastet. Es ist EINE Möglichkeit. Es ist keine Religionskunde, die da betrieben wird. Sondern durch den Lehrerwechsel, den wir obligatorisch vorgesehen haben, ist gewährleistet, dass auch beide Konfessionen authentisch vertreten sind und die Schülerinnen und Schüler sich damit auseinandersetzen müssen und es gerade so es zu einer Positionierung kommen kann."
    In NRW ist gemeinsamer Religionsunterricht noch wenig verbreitet
    Noch bieten in NRW eher wenige Schulen den Unterricht an. Im gesamten Bistum Aachen sind es nur 12. Die Zahl wird in den nächsten Jahren aber noch steigen, meinen Experten. Und in ferne die Zukunft gesehen, können sie sich sogar eine noch weitergehende Zusammenarbeit vorstellen. Matthias Gronover:
    "Dieser konfessionelle Religionsunterricht im Dialog wird Lerngruppen haben, die muslimische und evangelische und Schülerinnen und Schüler mit bedenkt und beinhaltet. Idealerweise wird es so sein, dass es dann eben auch einen islamischen Religionsunterricht und damit muslimische Lehrkräfte gibt, die Kooperationen ermöglichen."
    Dafür ist auch Eckhard Langner von der evangelischen Kirche offen.
    "Aber perspektivisch muss man sagen, dass Kooperation im Ansatz her natürlich die Perspektive, zum Beispiel zum Islam, ausbauen muss. Natürlich auch zu ganz anderen Fächern, wie das Ersatzfach praktische Philosophie, das man so etwas denkt, wie wir müssen so etwas wie eine Fächergruppe entwickeln, die ähnliche Fragen, aber unterschiedlich behandelt."
    Das könnte auch für die Grundschule in Lobberich interessant sein. Hier sind zwar die Hälfte der Kinder Christen, dazu kommen aber auch ein Drittel Muslime. Doch eine Kooperation zwischen den Religionen ist noch Zukunftsmusik. Vorerst lernen und singen katholische und evangelische Kinder zusammen:
    "Amen, Amen, Amen, Amen."