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Korallen und ihre Mikroben
Überdüngung macht Korallen verletzlicher

Korallenriffe gehören nahezu weltweit zu den hoch bedrohten Lebensräumen. Die Erwärmung der Ozeane macht den winzigen Tierchen zu schaffen. Aber auch andere Faktoren belasten die sensiblen Ökosysteme: Zum Beispiel die Überfischung der Meere und ein verstärkter Anteil von Nährstoffen. Die genauen Zusammenhänge hat nun ein Forscherteam aus den USA untersucht. In einer dreijährigen Feldstudie vor der Küste Floridas.

Rebecca Vega-Thurber im Gespräch mit Arndt Reuning |
    Ein blau-gelber Papageifisch schläft unter einer braunen Koralle.
    Papageifische gehören zu den "guten Jungs" im Riff, denn sie fressen Algen. (imago stock&people / Wolfgang Fiedler)
    Rebecca Vega-Thurber: Wir haben Korallen an verschiedenen Standorten untersucht. Ein Ort diente uns nur zur Kontrolle. An einem anderen haben wir Nährstoffe im Wasser angereichert. An einem anderen haben wir die Fische durch Käfige ausgesperrt. Und dann gab es noch die Kombination aus diesen beiden. Weil wir diese Faktoren unter Wasser langfristig beeinflussen konnten, konnten wir auch sehen, wie der Wechsel der Jahreszeiten mit ihnen in Verbindung stand.
    Arndt Reuning: In solch einem Riff stehen die Korallen ja immer in Konkurrenz zu den Algen. Mit mehr Nährstoffen im Wasser, also zum Beispiel Dünger aus der Landwirtschaft oder Fäkalien aus dem Abwasser, wachsen die Algen schneller. Fische andererseits fressen die Algen. Wenn also Überdüngung und Überfischung zunehmen, dann profitieren davon die pflanzlichen Algen, aber nicht die tierischen Korallen. Stimmt das so?
    Vega-Thurber: Ja, das ist die Hypothese. Die Algen verdrängen die Korallen, wenn beide Faktoren auftreten. Uns hat daran aber vor allem der Langzeitaspekt interessiert. Und wie sich das ganze auswirkt auf die Lebensgemeinschaften der Bakterien, die auf den Algen existieren. Ich bin Mikrobiologin. Diesen Teil habe ich mir also angesehen. Und mein Kollege Deron Burkepile ist Ökologe. Gemeinsam konnten wir ein umfassendes Bild davon gewinnen, wie Überdüngung und Überfischung zu gewaltigen Veränderungen führen: Nicht nur bei den Tieren und Pflanzen in den Riffen, sondern auch bei den Bakterien, die auf ihnen leben.
    Reuning: Zu welchen Ergebnissen sind Sie denn gekommen?
    Vega-Thurber: Die Ergebnisse waren sehr bemerkenswert. Uns hat verblüfft, wie viele Korallen abgestorben sind oder einfach nur an Substanz verloren haben, wenn die Riffe einem Überangebot von Nährstoffen ausgesetzt waren und/oder einer Verarmung der Fischwelt. Dreißig bis vierzig Prozent der Korallen waren dann bis zum Ende des Studienzeitraums zugrunde gegangen. Und gleichzeitig hat sich die Besiedlung mit Bakterien dramatisch verändert. Ihr krankheitserregendes Potential hat sich deutlich gesteigert, so dass die Korallenbestände unter dieser Last zusammenbrachen und abstarben.
    Reuning: Im Normalfall schützen die Fische die Korallen. Aber ich habe gelesen, dass das nicht immer zutrifft.
    Vega-Thurber: Wir haben einen ungewöhnlichen Zusammenhang gefunden zwischen der Anreicherung von Nährstoffen und dem Fressverhalten von Papageienfischen. Diese Fische sind normalerweise die "guten Jungs" im Korallenriff, denn sie fressen die Algen. Aber ab und zu beißen sie auch mal in eine Koralle. In unserem naturbelassenen Areal hatte das keine Auswirkungen auf die Korallen. Wenn das Wasser jedoch sehr viele Nährstoffe enthielt, dann starben rund sechzig Prozent der gebissenen Korallen ab. Das war schon ein drastischer Effekt, den wir so überhaupt nicht erwartet hatten.
    Reuning: Die Korallen sind aber wohl nicht an den Nährstoffen gestorben, sondern die Fische haben durch ihren Biss die Korallen verletzt, so dass die krankmachenden Bakterien angreifen konnten.
    Vega-Thurber: So erklären wir uns das. Denn auf den gebissenen Korallen sahen wir sehr einschneidende Veränderungen der mikrobiellen Besiedelung. Wir haben unsere These nicht überprüft, aber wir gehen davon aus, dass eine Überdüngung die Korallen verletzlicher macht, was das Bakterienwachstum angeht. Wenn die Bakterien mit Dünger gefüttert werden, dann wachsen sie halt schneller. Und irgendwann kommt das Immunsystem der Korallen einfach nicht mehr mit.
    Reuning: Wie sieht es denn aus mit dem Einfluss der Wassertemperatur, betrachtet natürlich aus unter dem Vorzeichen des Klimawandels?
    Vega-Thurber: Das war ein weiteres wichtiges Ergebnis: Wenn die Korallen abstarben, dann stets in den warmen Sommer- oder Herbstmonaten. Und auch nur dann, wenn die Nährstoffwerte hoch waren und die Fische fehlten. Wir sehen also eine starke Wechselwirkung zwischen dem Klimawandel oder erhöhten Wassertemperaturen und diesen lokalen Stressfaktoren. Und daher empfehlen wir, dass man die Wasserqualität und die Fischerei mit in die Schutzbemühungen einschließen sollte. Wenn uns das gelingt, dann besteht in diesen Zeiten des Klimawandels doch noch die Möglichkeit, dass die Korallen sich an die steigenden Temperaturen anpassen und die Auswirkungen des Klimawandels abfedern können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.