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Kornblum: Abstimmung vergiftet Klima

Die Mitgliedschaft in der UNESCO ruhe nicht, auch wenn die USA nach der Aufnahme Palästinas Zahlungen von 60 Millionen Dollar ausgesetzt habe, sagt John Kornblum. Die Aufnahme diene nicht dem Frieden mit Israel, kritisiert der ehemalige US-Botschafter in Deutschland .

John Kornblum im Gespräch mit Bettina Klein | 01.11.2011
    Bettina Klein: Über die Motivationslage der Vereinigten Staaten, sich aus der UNESCO im Augenblick zurückzuziehen, möchte ich jetzt sprechen mit John Kornblum, er war US-Botschafter in Deutschland. Ich grüße Sie, Herr Kornblum!

    John Kornblum: Ja, guten Morgen!

    Klein: Man müsse sich an Recht und Gesetz halten, haben wir gerade im Beitrag von Klaus Remme gehört. Es klang schon so ein bisschen an: Es geht um Gesetze aus den Jahren 1990 und 94. Was für eine Rechtslage ist das?

    Kornblum: Die Rechtslage ist Folgendes: In den Vereinigten Staaten hat der Kongress die Macht, das Befugnis, Ausgaben, Staatsausgaben vorzuschlagen, aber auch zu kontrollieren. Das heißt, der Präsident hat ein Budget, aber dieses Budget muss genehmigt werden vom Kongress. Kongress kann dann auch Gesetze, Libertierungen, Konditionen auflegen, um die Ausgaben sozusagen in seiner Sicht zu kontrollieren. Das passiert ständig, es gibt Hunderte, vielleicht sogar Tausende von solchen Gesetzen.

    Klein: Wie sind die denn entstanden? Denn 1990, 1994, das ist ja noch gar nicht so lange her.

    Kornblum: Nein, ich meine, diese Art von Gesetz geht zurück auf die Gründung der Republik. Diese beiden Gesetze kamen raus, weil man gesehen hat, dass die Palästinenser, die PLO, wie man es damals nannte, auch versuchte, in verschiedenen Organisationen Fuß zu fassen. Das meinten die Vereinigten Staaten, meinte der Kongress damals - und das waren Republikaner und Demokraten -, dass die Palästinenser nicht in diese Organisationen kommen sollten, bis es einen Friedensvertrag im Nahen Osten gegeben hat, und deshalb hat man das Gesetz erlassen.

    Klein: Das heißt, es gab zu der Entscheidung in Washington jetzt rein rechtlich betrachtet überhaupt keine Alternative?

    Kornblum: Nein, die Administration hat sogar versucht, sogar mit dem Kongress zu verhandeln als auch mit der UNESCO zu verhandeln, zu sehen, ob es irgendwie einen Kompromiss, einen Ausweg geben würde, aber nach der Abstimmung, wo die Palästinenser Mitglied wurden, dann gab es wirklich keine Alternative.

    Klein: Wir haben es gerade auch schon gehört, Regierung und Kongress wollen jetzt noch mal beraten, wie Beschädigung amerikanischer Interessen durch diese Gesetze und durch die Tatsache, dass praktisch jetzt hier UNESCO-Mitgliedschaft droht, verhindert werden könnte. Rechnen Sie denn damit, dass sich an dieser Gesetzgebung etwas ändert?

    Kornblum: Nein, gar nichts. Ich glaube auch nicht - ich meine, einige amerikanischen Interessen werden vielleicht verletzt werden, aber ich glaube nicht, dass die UNESCO so in den Vereinigten Staaten gesehen wird. Ich persönlich sehe keine wichtigen amerikanischen Interessen, die da durch diese Abstimmung beschädigt sein würden.

    Klein: Welchen Stellenwert hat die UNESCO-Mitgliedschaft denn in der auswärtigen Politik der Vereinigten Staaten?

    Kornblum: Na ja, UNESCO hat viele wichtige Funktionen, aber Sie dürfen nicht vergessen, wir waren - oh, wie lange? - 15 Jahre oder so nicht Mitglied, auch aus Gründen der Führung der UNESCO. Das Problem: Also die UNO ist eine allumfassende Organisation. Es hat ja über 200 Mitglieder, und es ist auch eine demokratische Organisation, die Mitglieder können abstimmen, wie sie wollen. Das Problem ist, dass solche Abstimmungen sehr oft benutzt werden, um einfach eine Stimmung wiederzugeben, in diesem Fall ist man frustriert mit dem sogenannten Friedensprozess im Nahen Osten, und auch eine Menge der Staaten aus der Dritten Welt sind auch mit Israel sehr frustriert. So, diese Abstimmung ist sozusagen eine Meinungsäußerung. Aber leider, solche Meinungsäußerungen können auch andere Funktionen haben. Und in diesem Fall haben sie dieses Gesetz, das wirklich automatisch ist, in Kraft treten lassen.

    Klein: Spielt denn auch die Tatsache eine Rolle, dass die Vereinten Nationen und deren Organisationen ohnehin in den Vereinigten Staaten mit deutlich mehr Misstrauen betrachtet werden als in Europa?

    Kornblum: Ja, das ist auch der Fall, aber natürlich. Einige Organisationen werden sehr hoch geschätzt: die Gesundheitsorganisation, die Hohen Flüchtlingskommissare et cetera. Das Bild ist sehr verschieden. Aber es stimmt, dass gerade in den 80er-Jahren und der Zeit von Ronald Reagan die UNO ziemlich in Verruf gekommen war, und das hat Jahre und Jahrzehnte sogar gedauert, bis das alles wieder mehr oder weniger ausgeglichen wurde. Deshalb ist diese Abstimmung auch ziemlich bedauerlich.

    Klein: Sie haben es angedeutet: Die Vereinigten Staaten sind in den 80er-Jahren schon mal aus der UNESCO ausgetreten. Die UNESCO hat es am Ende ja auch überlebt. 2003 sind die USA dann, glaube ich, wieder eingetreten. Ist das, was damals passiert ist, in irgendeiner Weise vergleichbar mit der Situation heute?

    Kornblum: Nein, denn damals war es was anderes. Es hat ja eine ziemlich antiwestliche Stimmung damals in der UNESCO gegeben, nicht nur gegen Amerika, sondern auch gegen die Europäer. Aber es hat auch Missbrauch gegeben, die Führung war im Endeffekt ziemlich korrupt, und es hat einige Gründe, warum man meint, man sollte nicht mehr Mitglied sein. Andere Staaten sind auch ausgetreten: Großbritannien war lange auch entweder nicht Mitglied oder nicht aktives Mitglied, habe ich jetzt vergessen. Also das war eigentlich eine sehr unglückliche Zeit für die UNESCO.

    Klein: Können Sie noch mal ein bisschen genauer konkretisieren, woran sich jetzt im Augenblick die Sorgen eigentlich so festmachen, dass eine Aufnahme Palästinas tatsächlich schädlich sein könnte für den Nahost-Friedensprozess aus Perspektive der USA?

    Kornblum: Nein, das nicht. Nur, die USA - Deutschland hat auch mitgestimmt, ne?

    Klein: Ja, das stimmt.

    Kornblum: Das Problem ist Folgendes: Die Palästinenser haben ganz berechtigte Ziele, die Israelis haben ihre Ziele, aber im Moment sind die Friedensverhandlungen festgefahren aus Gründen, die von beiden Seiten entstehen. Und eine solche Abstimmung, die eigentlich wenig bedeutet, hat aber das Ergebnis, dass das Klima vergiftet wird, dass die Israelis mehr in ihre Ecke gedrängt wurden, und es dient einfach nicht dem Frieden, ganz klar. Also Sie können fragen: Ja, was dient jetzt dem Frieden im Nahen Osten, das ist eine sehr guten Frage. Aber eine Abstimmung für die Palästinenser in der UNESCO dient dem bestimmt nicht.

    Klein: Sie haben es angedeutet: Auch Deutschland hat gegen die Aufnahme Palästinas gestimmt. Aus der Opposition von Grünen, SPD und Linkspartei kam deutliche Kritik gestern bereits daran. Also diese Strömung gibt es ja hier in Deutschland auch. Die beklagen eine Spaltung Europas - liegen die jetzt völlig falsch oder haben Sie als Amerikaner Verständnis dafür?

    Kornblum: Sie meinen, liegen die Kritiken von Ihnen falsch?

    Klein: Ja.

    Kornblum: Ja, natürlich liegen sie völlig falsch. Erstens: Europa hat in verschiedenen Richtungen gestimmt, im Endeffekt nur Frankreich, die dafür gestimmt hatten meines Erachtens, und zweitens, wie es ist: Wir wissen, ich meine, es gibt kein Problem, das länger anhaltend ist als das Problem im Nahen Osten. Es ist sehr schwierig, jetzt zu sagen, was 100 Prozent richtig oder 100 Prozent nicht richtig ist, aber in diesem Fall ein Schritt, der im Endeffekt wirklich nichts bedeutet, es nur eine Meinungsäußerung ist, ist eigentlich eine Verurteilung von Israel. Das kann der Sache nicht dienlich sein.

    Klein: Wie wird es denn jetzt weitergehen, Herr Kornblum? Was vermuten Sie? Also die Rate für November ist jetzt ausgesetzt worden, immerhin 60 Millionen Dollar werden nicht fließen. Gibt es irgendeine Möglichkeit, das noch mal zu überdenken oder - aufgrund der Gesetzlage, die wir eingangs besprochen haben - wird es dabei bleiben? Das heißt die Mitgliedschaft ruht jetzt oder nur die Beitragszahlungen ruhen - oder wie dürfen wir das verstehen?

    Kornblum: Nein, die Mitgliedschaft ruht nicht. Ich meine, zum Beispiel die Vereinigten Staaten haben ihre Beiträge zur UNO an sich mehrere Jahre nicht bezahlt, aber wir blieben Mitglieder. Es gibt andere Staaten, die ihre Beiträge auch nie bezahlen. Die Mitgliedschaft wird noch aktiv sein, und die Administration wird bestimmt versuchen, dahin zu arbeiten, dass man die Beiträge wieder bezahlen kann, aber da muss man ziemlich skeptisch sein. Wir befinden uns mitten im Wahlkampf, und die Republikaner sind eher noch härter geworden in dieser Sache, und die Republikaner haben jetzt die Mehrheit im Abgeordnetenhaus, und das Abgeordnetenhaus ist der Platz, wo solche Gesetze erlassen werden. Ich sehe auf der Basis von der palästinensischen Mitgliedschaft sehe ich kaum eine Möglichkeit, dass man irgendwas anderes verhandelt.

    Klein: Die Einschätzung von John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter hier in Deutschland. Ich danke für das Gespräch, Herr Kornblum!

    Kornblum: Ich bedanke mich!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Links bei dradio.de:
    Palästina wird UNESCO-Vollmitglied -
    USA stoppen Zahlungen an die Weltkulturorganisation