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Kornblum: Müssen Balance zwischen Datenschutz und Terrorabwehr finden

Es sei im deutschen Interesse, dass der Whistleblower Edward Snowden "nicht jetzt ständig Unsicherheit stiftet", sagt John Kornblum. Der ehemalige US-Botschafter in Berlin begrüßt umfassende Gespräche zwischen Deutschland und den USA zur Zusammenarbeit der Geheimdienste.

John Kornblum im Gespräch mit Peter Kapern | 10.07.2013
    Peter Kapern: Das Abhören von Freunden, das geht gar nicht. So hat Regierungssprecher Steffen Seibert auftragsgemäß reagiert, nachdem man in Berlin erfahren hatte, dass der US-Geheimdienst NSA offenbar sogar Einrichtungen der Europäischen Union verwanzt hat. Und kurze Zeit später hat dann auch Bundeskanzlerin Angela Merkel diesen, für das diplomatische Parkett merkwürdig jovialen Satz wiederholt. So oder so ähnlich könnte auch die Botschaft lauten, die Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich im Gepäck hat, wenn er morgen nach Washington reist. Was aus amerikanischer Sicht unter Freunden geht und was nicht, das soll uns jetzt John Kornblum erläutern, der ehemalige US-Botschafter in Berlin. Guten Morgen, Mr. Kornblum.

    John Kornblum: Guten Morgen.

    Kapern: Mr. Kornblum, in Deutschland sind viele Menschen aufrichtig empört, seit sie erfahren haben, dass der amerikanische und der britische Geheimdienst ihre Kommunikation fast flächendeckend erfasst und dass die NSA sogar Einrichtungen der EU verwanzt. Verstehen Sie diese Empörung?

    Kornblum: Ich verstehe die Aufregung. Empörung würde ich persönlich nicht haben, aber Aufregung und Interesse verstehe ich völlig. Ich würde aber nur dazu sagen, was Sie alles als Tatsachen dargestellt haben, sind Behauptungen von Herrn Snowden. Ich glaube, die letzten zwei Wochen haben gezeigt, dass Herr Snowden eine nicht unbedingt sichere Quelle von solchen Informationen ist. Es gibt seit Jahren, seit Jahrzehnten Austausch, Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Sicherheitsdiensten und nach 2001 ist es natürlich mehr geworden. Aber meine persönliche Empörung ist nicht an der Tagesordnung, eher eine sehr sorgfältige Diskussion über die Möglichkeiten und auch die Bedürfnisse der Gesellschaft.

    Kapern: Ist denn nicht die Hartnäckigkeit, mit der die US-Regierung versucht, Snowden in ihre Obhut zu bekommen, ein Beleg dafür, dass an seinen Behauptungen viel dran ist?

    Kornblum: Nein. Was ein Beleg dafür ist, dass er bestimmt viel weiß, dass er durch die Welt reist und hier und da immer so kleine Floskeln von sich gibt. Man weiß nicht, ob er Kontakte zur chinesischen Regierung gehabt hat, und wenn, was er da gesagt hat. Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was man tatsächlich weiß, und dem, was man sagt, und es ist ganz klar: Es ist auch nebenbei gesagt im deutschen Interesse, dass dieser Mensch nicht jetzt ständig Unsicherheit stiftet auch unter allen Bevölkerungen.

    Kapern: Schließen Sie denn auf der Grundlage Ihrer langen diplomatischen Erfahrungen aus, dass US-Geheimdienste auch EU-Einrichtungen verwanzen?

    Kornblum: Das weiß ich. Ich würde sehr, sehr daran zweifeln. Erstens, weil diese sogenannten Wanzen kaum noch kurant sind, und zweitens, weil die Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und den EU-Partnern so eng ist, dass man so was nicht brauchen würde. Besonders an dieser Nachricht zweifele ich sehr.
    Was passiert und, was seit Jahren passiert ist, eine breitflächige Zusammenarbeit, die hat es auch zu meiner Zeit gegeben, mit Austausch von allerlei Informationen mit Amtshilfe in den verschiedenen Ländern, und das Ziel ist immerhin ein sehr wichtiges gewesen und geworden, und das ist, Terroranschläge zu unterbinden. Wichtig ist, was Präsident Obama gesagt hat, und das ist, die Sache wird in den Vereinigten Staaten unter strengsten Kontrollen von Gerichten gemacht. Die Vereinigten Staaten sind eine Demokratie, und er hat gesagt, …

    Kapern: Das sind Geheimgerichte, Mr. Kornblum?

    Kornblum: Ja natürlich sind das Geheimgerichte, aber sie sind Geheimgerichte in dem Sinne, dass die Informationen nicht an die Öffentlichkeit kommen. Aber sie sind nicht geheim in dem Sinne, dass man nicht weiß, wer sie sind. Die Richter sind alle bekannt.
    Der Punkt hier ist: Man schnüffelt nicht durch alle Informationen beliebig, um interessante kleine Floskeln zu finden, sondern man arbeitet sehr gezielt mit den Partnern zusammen, um sicher zu sein, dass der Terrorismus nicht weiterhin uns zerstört.

    Kapern: Sie weisen darauf hin, dass das Ziel der Geheimdienstkooperation sei, den Terrorismus in den Griff zu bekommen. Rechtfertigt dieses Ziel eine flächendeckende Überwachung der Kommunikation hierzulande, von der Edward Snowden spricht?

    Kornblum: Erstens: Ich glaube nicht, dass es flächendeckend ist. Präsident Obama hat genau das Gegenteil gesagt. Er hat gesagt, man sucht gezielt nach Informationen, die mit Terrorismus zu tun haben. Flächendeckend ist kein Ausdruck dafür. Ich würde sagen, das Thema ist ein ganz anderes, und das ist: Es gibt, wir wissen das, Bedrohungen, sehr viele Bedrohungen leider durch den Terrorismus, immer stärkere Bedrohungen. Wir haben gerade in Boston so ein Beispiel gehabt. Es gibt auch jetzt technologische Mittel, technologische Möglichkeiten, die es vor bestimmt 15 Jahren nicht gegeben hat. Und man muss einen Ausgleich finden, in der Gesellschaft, in der Politik, auch im Recht, zwischen den Möglichkeiten, die der Staat neuerdings hat, und den Bedürfnissen des Staates und des Volkes, geschützt zu werden. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass diese Möglichkeiten bestehen auch in sogenannten Social Networks. Wenn man sich empört, dass hin und wieder was gehört wird durch den Geheimdienst, dann darf man nicht vergessen, dass viele, viele unserer Bürger ihre ganzen Details, teilweise bis hin zu sehr intimen Details, auch in Social Networks einfach preisgeben, ohne daran zu denken, dass das vielleicht gefährlich ist.

    Kapern: Das tun sie aber freiwillig, Mr. Kornblum. Das mag ja einen Unterschied ausmachen.

    Kornblum: Natürlich tut man das freiwillig, aber der Punkt ist immer noch derselbe. Die Informationen werden verteilt. Der Unterschied zwischen freiwillig und nicht freiwillig, sogar der Unterschied zwischen Grenzen und nicht Grenzen wird immer unklarer. Und genau wie bei WikiLeaks vor einem Jahr oder so ist es jetzt wieder eine gute Gelegenheit, alle diese Themen zu diskutieren. Ich finde das, was die EU jetzt in Washington macht, was die Bundesregierung verlangt, völlig richtig, weil man eine grundsätzliche Diskussion haben muss, die es wahrscheinlich bis jetzt nicht gegeben hat.

    Kapern: Die Menschen hierzulande, oder viele jedenfalls, haben den Eindruck gewonnen, dass die US-Geheimdienste möglicherweise hierzulande schalten und walten, wie sie wollen. Ist Deutschland eigentlich – auch diese Frage steht im Raum – in diesem Bereich ein souveränes Land?

    Kornblum: Deutschland ist ein sehr empfindliches Land auf so was, wegen der Vergangenheit und wegen dem starken Willen, dass man die privaten Daten schützt, und das ist auch eine Stärke von Deutschland. Aber natürlich ist Deutschland ein souveränes Land. Die Frage ist nicht, ob man souverän ist, sondern wie gesagt, was für politische Kontrollen man einsetzen will und was für Zusammenarbeit man haben will. Man muss eine Balance ziehen zwischen Schutz der Gesellschaft, und es gibt einige Terror- oder mutmaßliche Terroranschläge auch in Deutschland, die verhindert worden sind durch solche Zusammenarbeit. Man muss eine gesellschaftliche Balance finden zwischen den zwei Themen. Aber Sachen wie "ist Deutschland noch souverän" oder so, das gehört eher eigentlich der Boulevard-Presse.

    Kapern: Na ja, es sind immerhin seriöse Zeitungen wie die FAZ, die sich mit dieser Frage seit mehreren Tagen ausgiebig beschäftigt. – Wenn die Bundesregierung nun beteuert, sie habe von all dem nichts gewusst, was geht dann bei Ihnen im Kopf vor, wenn Sie das hören?

    Kornblum: Na ja, ich kann nicht für die Bundesregierung sprechen.

    Kapern: Aber vielleicht über die Bundesregierung?

    Kornblum: Ich weiß nur, dass es eine sehr breite Zusammenarbeit gegeben hat und gibt. Die Details kenne ich natürlich auch nicht. Und was man gewusst hat und nicht gewusst hat, das liegt nicht bei mir, darüber zu beurteilen.

    Kapern: Halten Sie es denn für möglich, dass man nichts gewusst hat?

    Kornblum: Ich halte es für möglich, dass man das Ausmaß nicht kannte, ja, weil die Technologie entwickelt sich so schnell und die Möglichkeiten entwickeln sich so schnell, dass es durchaus möglich ist, dass man noch einige Schritte weitergegangen ist, ohne dass die Bundesregierung darüber informiert wurde.

    Kapern: Könnte es auch sein, dass die Geheimdienste dort Kooperationsgeschäfte betreiben, von denen die Politik lieber einfach nichts wissen möchte?

    Kornblum: Na ja, ich weiß es nicht. Das ist eine Meinung von Ihnen, das würde ich nicht sagen. Nach meiner langjährigen Erfahrung sind die Gespräche immer sehr offen gewesen und die Kontrolle immer sehr genau gewesen. Nur die Zeiten – ich bin seit zehn Jahren nicht dabei und was in den letzten zehn Jahren passiert ist, war eine totale Revolution, sowohl in der Technologie als auch in dem politischen Bedürfnis, den Staat vor Terrorangriffen etc. zu schützen.

    Kapern: Sie haben eben gesagt, es sei richtig, diese Themen nun ausgiebig zu diskutieren. Es fällt allerdings auf, dass die US-Regierung es offenbar bevorzugt, dies sehr diskret zu tun. Das ist ja möglicherweise dann eine Informationspolitik, die die Öffentlichkeit nicht gerade beruhigen kann.

    Kornblum: Na ja, es würde die Öffentlichkeit aber auch nicht beruhigen, wenn sehr wichtige Daten ans Tageslicht kommen würden, die vielleicht sehr, sehr notwendig sind für den Terrorschutz. Ich komme wieder auf meinen Punkt. Ich verstehe völlig, dass man aufgeregt ist und dass man mehr wissen will und vielleicht mehr Kontrolle haben will, aber man soll nicht das Baby mit dem Badewasser ausschütten, wie wir sagen. Es gibt ja ständig, jeden Tag Bedrohungen, es gibt jeden Tag Sachen, die man kontrollieren muss, und ein gut funktionierendes System ist auch dafür sehr wichtig.

    Kapern: Mr. Kornblum, auch in den USA gibt es ja Proteste gegen die Abhörpolitik der US-Geheimdienste, aber die fallen im Umfang doch eher gering aus. Liegt das daran, dass im Land der Freien, wie es in der US-Hymne heißt, kaum noch jemand Wert legt auf die individuelle Freiheit, also zum Beispiel auf die Freiheit, E-Mails zu verschicken, ohne dass das registriert wird?

    Kornblum: Das ist eine ziemlich tollkühne Feststellung, die Sie da gemacht haben.

    Kapern: Eine Frage! – Eine Frage, und die darf tollkühn sein.

    Kornblum: Nein, es war eine Feststellung! Es war eine Feststellung! – Nein, das ist natürlich nicht der Fall. Was das zeigt, ist, erstens, dass die Debatte über diese Sachen sehr lange und sehr ausgiebig gemacht worden ist. Vieles was die Bundesregierung jetzt mit den amerikanischen Behörden besprechen will, wurde schon 2004, '5, '6 bei uns in großen Details diskutiert. Dieses System stammt aus der Administration von Bush und die Handhabung dieses Systems ist sogar eingeengt worden, etwas schwieriger gemacht worden durch Obama, um sicher zu sein, dass es keinen Missbrauch gegeben hat. Aber das wurde alles ziemlich ausgiebig diskutiert in den Jahren und das führte dazu, dass diese Sondergerichte etabliert wurden. Das führte auch dazu, dass die Unterrichtung des Kongresses breiter gemacht worden ist. Aber im Endeffekt führte dies wahrscheinlich auch darauf hin, dass die Vereinigten Staaten nicht die Vergangenheit der Bundesrepublik haben und dass man dem Staat bei uns viel mehr traut als der Bundesregierung.

    Kapern: Der frühere US-Botschafter in Berlin, John Kornblum, heute Morgen im Gespräch hier im Deutschlandfunk. Mr. Kornblum, vielen Dank, dass Sie heute Morgen Zeit für uns hatten. Danke für das Gespräch und einen schönen Tag noch!

    Kornblum: Ich bedanke mich auch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.