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Korruption in Bulgarien
Verdächtiger Autobahnbau

Bauarbeiten noch vor Abschluss der Ausschreibung und eine Trassenführung durchs Naturschutzgebiet: Der Bau der Struma-Autobahn in Bulgarien ist ins Visier investigativer Journalisten geraten, die Korruptionsfälle in ihrem Land aufdecken. Sie fordern mehr Unterstützung von der EU.

Von Tom Schimmeck | 13.09.2019
Der neue Abschnitt der Struma-Autobahn bei Blagoevgrad in Bulgarien
Der neue Abschnitt der Struma-Autobahn bei Blagoevgrad in Bulgarien: Auffälligkeiten bei den Ausschreibungen für das EU-finanzierte Projekt riefen die Korruptions-Rechercheure auf den Plan (Deutschlandradio/ Tom Schimmeck)
"Eigentlich geht man ja davon aus – und so steht es auch im Gesetz, dass bei einer Ausschreibung alle Firmen unabhängig voneinander ein Angebot abgeben sollen. In diesem Fall aber sieht es so aus, als ob eine Firma vorab Informationen bekommen hätte."
Nikolai Staikow, Journalist und Finanzexperte, kennt sich aus mit den Windungen der bulgarischen Wirtschaft. Er hat unzählige Analysen über die Privatisierung von Staatsbesitz und die Vergabe lukrativer Aufträge durch die öffentliche Hand verfasst. Obendrein ist er Technikfreak, wühlt sich gern durch Datenbanken. Gut gelaunt sitzt der Rechercheur auf einer Parkbank in Sofia, gleich hinter dem Naturkundemuseum, ein kühles Bier in der Rechten.
"Bei einigen Infrastrukturprojekten gehen wir wirklich ins Detail. Einige sind klein, einige riesig. Dazu gehört auch die Struma-Autobahn."
Bestechung und Vetternwirtschaft auf der Spur
Staikow ist Mitgründer des Antikorruptions-Fonds, einer NGO von Journalisten, Juristen und anderen Experten, die nachforschen und nachrechnen, wohin das Geld fließt – um Bestechung und Vetternwirtschaft aufzuspüren. Der Fall Struma-Autobahn stach den Rechercheuren gleich ins Auge.
"Die öffentlichen Ausschreibungen haben uns am meisten interessiert. Vor allem die erste Phase der Planung und die teuersten Bauabschnitte 3.2.1 und 3.2.2." Er kommt in Fahrt. Und wechselt ins Englische: "Es stellte sich heraus: Eine Firma war schon in der ersten Entwicklungsphase beteiligt. Und begann mit Probebohrungen, bevor die Ausschreibung überhaupt veröffentlicht war."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Bedrohte Kresna-Schlucht.
Das ist auch in Bulgarien nicht legal. "Aber es gab keine Sanktionen."
Auffälligkeiten im Fall Struma-Autobahn
Im Transportministerium hatte man uns erklärt, dies habe eine Firma getan, die nicht an der Ausschreibung beteiligt gewesen sei. Der Korruptionsexperte schüttelt ungläubig den Kopf:
"Da investiert jemand Hunderttausende Lewa, um dort oben in den Hügeln neue Zufahrten zu bauen und Löcher zu bohren, ohne jede Genehmigung. Der harmloseste Verdacht, den wir hier haben können, ist, dass jemand ein Angebot mit besseren Informationen abgibt als die Konkurrenz."
Die Firma, die da aktiv war, erzählt Staikow fröhlich, habe enge Verbindungen zu einem der größten Baukonzerne. In Kresna hätten fast alle gewusst, wer da bohrt.
"Der schwerwiegendere Verdacht lautet: Jemand beginnt hier schon mit der Arbeit, bevor er überhaupt ausgewählt wurde."
Der offizielle Erklärungsversuch war abenteuerlich: Man habe nur prüfen wollen, ob Angaben, die man bei einem früheren Gebot gemacht habe, wirklich korrekt seien. Beim Antikorruptionsfonds, sagt Staikow, seien sie es gewohnt, dass Politiker drohen, Boulevardmedien zetern, Staatsanwälte sich wegducken.
Aggression gegen deutsche Grünen-Politikerin Ska Keller
Auf Kritik reagieren die Mächtigen hier zuweilen hochaggressiv. Das musste auch die grüne Europaabgeordnete Ska Keller erfahren, als sie im Februar 2018 bei einem Sofia-Besuch die Struma-Autobahn kritisierte. Valeri Simeonow, damals Vize von Premier Bojko Borissow, forderte via Facebook, diese "grüne Dschihadistin", die in Sofia mit politischen Abweichlern "herumlungere" und Lügen verbreite, schnellstmöglich aus dem Land zu schaffen:
"Das Außenministerium muss Francesca Keller zur Persona non grata erklären, um sie sodann um mit einem LKW nach Kapıkule zu verfrachten." Ein Grenzübergang zur Türkei. "Wir glauben, dass die Kosten für ein Flugticket unangemessen wären."
Bulgarien gilt als notorischer Fall. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International nimmt das Land den hintersten Rang aller EU-Staaten ein. Im Frühjahr 2019 präsentierten Staikows Korruptionsermittler zusammen mit Radio Free Europe "Apartment-Gate": Minister und Beamte hatten sich Luxus-Immobilien zu Discountpreisen beschafft.
Die Enthüllung dezimierte das Kabinett von Premier Bojko Borissow und die Spitze seiner Regierungspartei GERB. Selbst der Chef der Antikorruptionsbehörde war mit von der Partie gewesen.
Keine Reaktion der EU-Betrugsbekämpfern
"Das sind Erfolgserlebnisse, die uns Mut machen, sagt Stoikow, sichtlich stolz. Nur von Brüssel hätten sie mehr erwartet, vor allem von OLAF, dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung.
"Wir haben 2017 angefangen, uns mit einigen Projekten zu beschäftigen, in denen viel europäisches Geld steckte – auch die Struma-Autobahn. Aber von OLAF haben wie leider nie eine konstruktive Reaktion erhalten."
Was treibt ihn an? Der Korruptionsexperte bläst die Backen auf: "Ich hatte mal A gesagt, dann wurde von mir erwartet, dass ich B sage, dann hab’ ich C gesagt. Da kamen eine Menge Leute zusammen, die genauso denken. Wir haben Geld aufgetrieben. Und jetzt machen wir das."
Rückzug aufs Land
Zurück in der Kresna-Schlucht. Über eine holprige Piste schlängeln wir uns hinauf nach Vlahi, einem verfallenden Dorf ein Stück östlich der Struma. Eine Herde Ziegen begrüßt uns bei der Ankunft. Auf dem menschenleeren Dorfplatz steht ein Gedenkstein für den lokalen Befreiungshelden Jane Sandanski. Mit seinem Motto - "Für Freiheit und Perfektion."
"Ich heiße Dimitur Wassilew, ich bin Biologe." Ein kleiner Mann in Shorts, ein Cappy auf dem Kopf. Er sitzt auf einer Bank im Garten seines Hauses, in dem er eine "Naturschule" für Kinder und Jugendliche betreibt. Sein Hund Chica liegt ihm zu Füßen. Wassilew ist über den Kampf gegen die Autobahn in der Kresna-Schlucht alt geworden.
"Uns war klar: Diese Straße wird gebaut werden, sie ist Teil eines großen europäischen Korridors und von sehr großer Bedeutung, nicht nur für uns, sondern auch für Europa. Wir haben versucht, eine Alternative aufzuzeigen, die weniger ruinös ist. Doch genau diese Zerstörung wird jetzt wohl kommen."
Eine Hand greift in die Landschaft, zeigt auf die hohen Berge. Dieses über Jahrmillionen der Evolution entstandene Biotop, sagt er, sei einfach einmalig. Und der Umgang mit ihm geradezu absurd.
"Der Treppenwitz ist: Nachdem sie jahrelang behauptet haben, das sei unmöglich, nehmen sie jetzt die Variante, die wir vorgeschlagen haben – aber nur in einer Richtung. Noch absurder: Sie werden auch die Tunnel bohren. Und trotzdem bauen sie die andere Trasse unten in der Schlucht – weil sie stur sind – um nicht zu sagen: dumm."
Eine Ziegenherde mit Hirte am Ortseingang von Vlahi, einem verfallenden Dorf in der Kresna-Schlucht
Eine Ziegenherde am Ortseingang von Vlahi, wohin Ex-Aktivist Dimitur Wassilew sich zurückgezogen hat (Deutschlandradio/Tom Schimmeck)
Schlaganfall mit 44
Wir haben alles versucht, resümiert der Biologe, haben die Vorgänge dokumentiert, Experten herangeholt, Gutachten geschrieben, Unterschriften gesammelt, haben an die Regierung appelliert, die EU, den Europarat. Jahrelang saß er im Expertenrat des Umweltministeriums in Sofia. Bis er die Nase voll hatte und 2002 hier hochzog.
"Das hat mir die Nerven geraubt. Ich hatte einen Schlaganfall. Mit 44 Jahren. Als mir plötzlich klar wurde, dass sie das durchziehen." War es das wert? Wassilew verzieht sein Gesicht. Es könnte Spott sein.
"Sie kennen wahrscheinlich den Film ‚Einer flog über das Kuckucksnest', oder? Da versucht McMurphy, ein riesiges Waschbecken herauszubrechen, um ein Fenster und die Gitter zu durchbrechen, damit alle fliehen können. Die Leute wetten sogar, ob ihm sein Befreiungsversuch gelingt oder nicht. Er scheitert. Und selbst die, die gegen ihn gewettet haben, sind traurig. Seine letzten Worte sind: ‚Ich habe es wenigstens versucht.‘"