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Korruptionsvorwürfe
"Der Europarat hat seine Seele an ein autokratisches Regime verkauft"

Teure Geschenke, Gold, Überweisungen - wer sich mit autokratischen Regimen wie Aserbaidschan im Europarat gut stellte, profitierte in vielerlei Weise. "Bis vor zwei Jahren brauchte es noch Mut, sich gegen diese Kaviar-Lobby zu stellen", sagte Politikberater Gerald Knaus im Dlf. Erst eine Koalition von Anständigen habe eine regelrechte Revolution eingeleitet.

Gerald Knaus im Gespräch mit Christoph Heinemann | 30.06.2017
    Das Europaparlament in Straßburg
    Im Europarat hätten Abgeordnete dann Karriere gemacht, wenn sie sich mit den Freunden von Aserbaidschan gutstellten, sagte Politikberater Knaus. (dpa / picture alliance / Stefan Jaitner)
    Christoph Heinemann: Gestern Nachmittag wollten wir ein Interview mit dem CDU-Politiker Axel Fischer aufzeichnen. Er leitet die EVP-Fraktion im Europarat, der bekanntlich nichts zu tun hat mit der Europäischen Union. Dem Europarat gehören 318 Vertreter aus 47 nationalen europäischen Parlamenten an, darunter Vertreter autoritärer Regime im Osten des Kontinents. Axel Fischer war nicht bereit, die folgende Äußerung seines Europaratskollegen Frank Schwabe von der SPD zu kommentieren:
    O-Ton Frank Schwabe: "Seitdem ich das ein bisschen besser durchblicke, kann man sich nur wundern, weil man oft den Eindruck hat, dass es hier nicht um den Schutz der Menschenrechte geht, sondern um den Schutz von Regierungen, die Menschenrechte missachten, und das bedeutet sozusagen nicht nur, dass wir unserer Aufgabe nicht gerecht werden, sondern wir pervertieren geradezu die Aufgabe und liefern Gründungszusammenhänge für Staaten, die wir nicht liefern sollten."
    Heinemann: Dieses Zitat stammt aus einem ausführlichen Bericht von Martin Durm, den wir vor einer halben Stunde gesendet haben und den Sie auf unserer Seite Deutschlandfunk.de hören und lesen können. Darüber wollten wir wie gesagt mit Axel Fischer (CDU) sprechen. Der legte einfach den Hörer auf, ohne Begründung und ohne Verabschiedung. In der Sache geht es um Einflussnahmen autoritärer Regime auf Mitglieder des Europarats. Diese Regime versprechen sich etwa eine wohlwollende Bewertung ihrer Wahlfälschungen. Kaviar-Diplomatie nennt man die Korruptionsversuche etwa der politischen Führung von Aserbaidschan.
    Der italienische EVP-Politiker Luca Volontè, Vorgänger von Axel Fischer an der EVP-Fraktionsspitze, muss erklären, wofür er 2,4 Millionen Euro aus Baku erhalten hat. Axel Fischer wird vorgeworfen, er habe sich einer Aufklärung dieses mutmaßlichen Korruptionsfalles widersetzt, es auf jeden Fall nicht unterstützt. Wir wollen darüber sprechen mit Gerald Knaus. Er ist Politikberater des angesehenen Think Tanks European Stability Institute, kurz ESI. Guten Morgen.
    Gerald Knaus: Guten Morgen.
    Heinemann: Herr Knaus, Sie legen jetzt hoffentlich nicht auf, wenn ich Sie frage: Trifft die Einschätzung des SPD-Politikers Frank Schwabe zu? Schützt der Europarat lieber autoritäre Regime als Menschenrechte?
    Knaus: Als wir im Mai 2012 unseren ersten Bericht über Kaviar-Diplomatie, Korruption und den Verrat an den Werten des Europarats veröffentlicht haben, war uns aufgefallen eine unglaubliche Sache, dass nämlich die Menschenrechtslage in einem Mitgliedsland wie Aserbaidschan sich dramatisch verschlechterte, aber die Berichte des Europarats, auch von den Parlamentariern westlicher Demokratien verfasst, zu Aserbaidschan immer positiver wurden. Und das ging dann noch viele Jahre so weiter, obwohl eigentlich vielen in Straßburg klar sein musste, dass hier etwas fundamental falsch lief und der Europarat seine Seele an ein autokratisches Regime verkauft hat.
    "Es brauchte Mut, um sich gegen die Kaviar-Lobby zu stellen"
    Heinemann: Sie sprechen von einer systematischen Korruptionsstrategie, und diese Strategie trifft im Europarat auf offene Taschen.
    Knaus: Na ja. Die Schwächen von Menschen werden ausgenützt, ebenso die Tatsache, dass der Europarat ein weniger stringentes System hat, sich gegen Korruption zu schützen, als die nicht gerade für Transparenz bekannte Fußball-Organisation FIFA. Es gibt eigentlich kaum Möglichkeiten, sich zu schützen, und so hat Aserbaidschan Abgeordneten teure Geschenke gemacht, Gold, Schmuck, teure Teppiche, Couverts mit Geld, Überweisungen an Beratungsfirmen, die Abgeordneten nahe standen. Und Aserbaidschan konnte auch für viele Jahre versprechen, da es in der Lage war, viele Abgeordnete zu Abstimmungen zu bewegen, dazu zu gehen, dass man, wer sich anbiederte an das Regime, eine Karriere im Europarat machen konnte. Bis vor zwei Jahren brauchte es noch Mut, sagten mir manche Abgeordnete in Straßburg, um sich gegen diese Kaviar-Lobby zu stellen.
    Heinemann: Wie ist das zu erklären, dass man schneller Karriere macht, wenn man autoritäre Regime nicht kritisiert?
    Knaus: Wenn es Aserbaidschan gelingt, besonders viele Abgeordnete zu Abstimmungen zu bringen, die dann immer mit Aserbaidschan abstimmen, dann wird das schon bemerkt. Und da nicht immer alle Abgeordneten regelmäßig zu den Abstimmungen gehen, erkennt man, dass man eine Karriere dann macht, wenn man sich mit den Freunden von Aserbaidschan gutstellt. Das lief für viele Jahre so und hat die Aufklärung von Dingen, die eigentlich jeder wusste, bis heute verzögert.
    Heinemann: Herr Knaus, besonders schmerzhaft für Autokraten sind ja die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Können Autokraten über die korrupten Europaratsmitglieder diese Rechtsprechung beeinflussen?
    Knaus: Ich glaube, es ist sehr schwierig, den Gerichtshof direkt zu beeinflussen. Aber es ist doch so, dass die parlamentarische Versammlung des Europarats nicht nur den Generalsekretär des Europarats und den Menschenrechtskommissar, sondern auch die Richter wählt. So gesehen ist die Glaubwürdigkeit der Versammlung essentiell auch für die Glaubwürdigkeit der anderen Institutionen. Und ich habe zumindest von einem Fall gehört, in dem Aserbaidschan einem Richter ein teures Geschenk gemacht hat, dieser Richter das allerdings zurückgewiesen hat. Ich glaube durchaus, dass wir nicht nur auf die parlamentarische Versammlung blicken müssen, sondern dass Aserbaidschan versucht hat, möglichst viele Freunde in allen Institutionen mit diesen Methoden zu finden. Allerdings glaube ich, dass es sehr, sehr schwierig ist, ein Gericht mit der langen Tradition und den Mechanismen der Kontrolle wie dem Menschenrechtsgerichtshof so zu beeinflussen.
    Heinemann: Der italienische Politiker Luca Volontè ist mit 2,4 Millionen Euro erwischt worden. Ist er die Spitze eines Eisberges?
    Knaus: Na ja. Der Abgeordnete Volontè hat ja das Geld von einem anderen Abgeordneten, der übrigens immer noch in der parlamentarischen Versammlung sitzt, aus Aserbaidschan über Briefkastenfirmen erhalten. Und wir haben sehr gute Gründe zu vermuten, dass dies auch in dieser Form kein Einzelfall war. Doch jetzt gibt es ja zum Glück eine Kommission. Wir wissen über den Fall Volontè ja nur aufgrund der Arbeit italienischer Banken und Staatsanwälte in Mailand, denen aufgefallen ist, dass hier unerklärliche Geldsummen über Briefkastenfirmen nach Italien kamen. Aber jetzt gibt es eine Kommission, die hoffentlich auch mit Unterstützung nationaler Behörden aufklären soll, ob dieser aserbaidschanische Abgeordnete oder andere ähnliche Geldsummen auch an andere überwiesen haben.
    Heinemann: Wie hat sich der CDU-Politiker Axel Fischer im mutmaßlichen Bestechungsfall Luca Volontè verhalten?
    Knaus: Es gibt prominente Mitglieder der Europäischen Volkspartei (EVP), die sich an die Spitze gestellt haben mit Forderungen, das aufzuklären. Axel Fischer gehörte nicht dazu. Seine erste Reaktion am 25. Januar dieses Jahres war es, in einem Brief den jetzt in Ungnade gefallenen Präsidenten der parlamentarischen Versammlung, den Spanier Agramunt aufzufordern, doch die NGO’s zu untersuchen, also Organisationen wie ESI oder Amnesty oder Transparency International, die auf den Skandal hingewiesen haben. Seine Forderung war, man muss untersuchen, welche Einflussnahme die NGO’s haben, und nicht, welche Einflussnahmen andere Regierungen auf Abgeordnete haben. So ging es eigentlich bis jetzt weiter. Das ist schade, denn in der EVP und auch in der CDU haben sich ja manche wie etwa Parlamentspräsident Lammert sehr klar dafür ausgesprochen, hier Aufklärung zu bringen. Warum das Herr Fischer nicht gemacht hat, ist mir nicht klar.
    "Bei der EVP gab es Auseinandersetzungen im Hintergrund"
    Heinemann: Sie haben es gesagt: Norbert Lammert, der Bundestagspräsident, soll sich seinen Parteifreund Axel Fischer zur Brust genommen haben. Hat Fischer dann erst reagiert, nachdem Lammert ihm die Ohren langgezogen hat?
    Knaus: Ich weiß von Mitgliedern der EVP-Fraktion in Straßburg aus anderen Ländern, dass es da wirklich Auseinandersetzungen gab im Hintergrund. Niederländer, Schweden haben sich sehr dafür eingesetzt, weil sie gesagt haben, wenn es um Korruption und Menschenrechte geht, dann hört jede Parteilogik auf, dann geht es ums Fundament des Europarats. Und wie gesagt, diese Abgeordneten haben mir berichtet, dass Herr Fischer kein großer Anhänger einer lückenlosen Aufklärung war und immer wieder vor sich hergetrieben werden musste. Er ist ja sowohl der Vorsitzende der deutschen Delegation als auch der EVP-Fraktion, spielt also eine wichtige Rolle, war aber an manchen wichtigen Tagen, bei denen das ganze Thema diskutiert wurde, auch gar nicht in Straßburg anwesend. Also kein Ruhmesblatt für die EVP.
    "Koalition der Anständigen haben eine wirkliche Revolution zusammengetan"
    Heinemann: Seit etwa einem halben Jahr, haben Sie gesagt, bewegt sich jetzt nun doch was. Aufklärung soll stattfinden. Wodurch wurde genau diese Entwicklung ausgelöst?
    Pedro Agramunt
    Pedro Agramunt, der Präsident der Versammlung, stand Aserbaidschan sehr nahe (Iliya Pitalev/Sputnik)
    Knaus: Ich glaube, es war ein Zusammentreffen einerseits der Erkenntnisse im Fall Volontè, die eigentlich nur bestätigt haben, was man ja schon seit vielen Jahren nicht nur vermuten, sondern fast wissen hatte können. Andererseits war es vor allem das Zusammentreffen einer Koalition von Anständigen, die ein Risiko eingegangen sind. Sozialdemokraten wie Frank Schwabe oder der niederländische Christdemokrat Pieter Omtzigt, Schweden, Italiener, Luxemburger, Balten haben sich zusammengetan im Januar dieses Jahres, kurz nachdem Pedro Agramunt, der Präsident der Versammlung, der Aserbaidschan sehr nahestand, wiedergewählt worden war, und haben gesagt, über alle Parteigrenzen hinaus, der Europarat muss seine Glaubwürdigkeit wiederfinden. Und die haben dann begonnen, für eine grundlegende Veränderung zu werben. Es haben sich immer mehr Leute ihnen angeschlossen und so ist eine wirkliche Revolution ausgelöst worden, die in den letzten Tagen zu dramatischen Änderungen geführt hat, in den Regeln des Europarats, die Einsetzung einer unabhängigen externen Untersuchungskommission dieser ganzen Vorwürfe und auch den Forderungen, den Parlamentspräsidenten abzusetzen, der auch nichts getan hat, das Ganze aufzuklären. Hier haben einige Abgeordnete aus verschiedenen europäischen Ländern gezeigt, was möglich ist, wenn sich anständige Menschen, denen es um das Wesen der Menschenrechte und den Europarat geht, zusammentun.
    Heinemann: Stichwort anständige Menschen. Welchen Sinn erfüllt der Europarat, solange dort Leute wie Axel Fischer sitzen?
    Knaus: Der Europarat wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund der sehr bitteren Erfahrungen, dass auch Demokratien vor sich hergetrieben werden können von autoritären politischen Bewegungen, von illiberalen politischen Kräften, geschaffen als ein Instrument, um rote Linien zu ziehen. Demokratien haben sich verpflichtet, die Menschenrechtskonvention zu achten, sich einem Gerichtshof zu unterwerfen, sich gegenseitig zu warnen. Und diese Funktion des Europarats als Warnorgan, als Hüter von grundlegenden Menschenrechten, die ist heute eigentlich mehr nötig als je zuvor, denn wir haben ja auch in Demokratien, auch in der EU selbst in manchen Ländern Herausforderungen, die Justiz, die Medien, die Zivilgesellschaft zu schützen. Wir brauchen also einen glaubwürdigen Europarat und wir dürfen uns da nicht den Regeln, die Aserbaidschan oder andere autokratische Regime vorgeben, unterwerfen. Aber nur ein glaubwürdiger Europarat, der über jeden Zweifel erhaben ist, dass es hier möglich ist, Abstimmungen zu kaufen, kann diese Rolle spielen.
    Heinemann: Gerald Knaus, Politikberater des Think Tanks European Stability Institute. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Knaus: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.