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Korte: FDP hat sich noch nicht richtig "ausbuchstabiert"

Moderne Parteien brauchten durchaus auch den normativen Kern, müssten aber künftig strategischer denken und flexibel auf Risiken und Herausforderungen eingehen, sagt der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Die FDP habe mit der jungen Generation um Philipp Rösler gute Chancen, sich neu zu positionieren.

Rudolf Korte im Gespräch mit Christoph Heinemann | 10.05.2011
    Christoph Heinemann: Wolfgang Labuhn war das aus unserem Hauptstadtstudio, und am Telefon ist jetzt der Politikwissenschaftler Professor Rudolf Korte von der Universität Duisburg, guten Tag!

    Rudolf Korte: Hallo, Herr Heinemann!

    Heinemann: Wird bei Ihnen gerade demonstriert?

    Korte: Nein, hier wird immer gearbeitet.

    Heinemann: Ach so, alles klar. Dann waren das unklare Hintergrundgeräusche. Wir haben Wolfgang Labuhn gerade eben gehört. Blicken wir mal zurück: Karl Theodor zu Guttenberg und Rainer Brüderle konnten sich beide im Wirtschaftsministerium profilieren. Ist dieses Ressort tatsächlich für einen Parteichef besser geeignet als das Gesundheitsministerium?

    Korte: Ja, eindeutig besser geeignet, weniger Vetos später als im Gesundheitsressort, weniger Zuständigkeit, aber große Sichtbarkeit, und für eine Partei, die nach wie vor als Wirtschaftspartei wahrgenommen wird, durchaus hilfreich, um vielleicht auch das anzugehen, was die FDP auch sich vornimmt, Wohlstand eben auch neu zu denken.

    Heinemann: Neu zu denken. Also die von Wolfgang Labuhn skizzierte Konstellation hätte durchaus Sinn aus Ihrer Sicht?

    Korte: Die hätte Sinn, weil man praktisch mit dieser lächelnden Zielstrebigkeit, mit der Rösler ans Werk geht, nun auch etwas verbinden kann, und der Auftritt als Wirtschaftsminister ihm auch eher eine Aura verschafft, als Querschnittsthema sich in alle ökonomischen Themenkontexte einzumischen.

    Heinemann: Lächelnde Zielstrebigkeit, haben Sie gesagt.

    Korte: Ja.

    Heinemann: Zielstrebig?

    Korte: Ja, zielstrebig. Durchaus! Er ist auch in Hannover oft unterschätzt worden. Lächelnd, ohnehin, aber auch zielstrebig. Rostock wälzt jetzt von Tag zu Tag unter einer neuen Personalkonstellation auf, und es wird dadurch auch am Ende vermutlich sein Parteitag werden können.

    Heinemann: Gehört zu der Zielstrebigkeit vielleicht auch, dass er Birgit Homburger ja mit keiner Silbe den Rücken gestärkt hat, zugehört hat, wie die Fraktionschefin von sogenannten Parteifreunden unmöglich geredet wurde? Ist das so ein bisschen seine Methode?

    Korte: Ich meine, dass jetzt hinter den Kulissen da natürlich Personal-Rochaden geführt werden, bei denen man nicht jedes Argument öffentlich dann erfährt, ist doch nachvollziehbar, weil die FDP braucht doch eine Siegeraura. Die hatte Westerwelle über viele, viele Jahre – es gibt ja keinen erfolgreicheren Parteichef. Siegeraura, der hat das in den letzten Wahlkämpfen verströmt, da ist kaum einer, mit Sicherheit nicht Baden-Württemberg. Insofern braucht man für einen Neuanfang ja nicht nur ein innerliches Konzept: Darauf warten wir, sonder auch Personen die dann eine Zukunftsfähigkeit haben und nicht praktisch aus der Zeit gefallen wirken.

    Heinemann: Herr Korte, im Windschatten des künftigen Parteichefs und des Generalsekretärs Lindner steigt Daniel Bahr auf, künftiger – möglicherweise künftiger Gesundheitsminister, Chef des wichtigsten Landesverbandes in Nordrhein-Westfalen – wird der sich dauerhaft mit der zweiten Geige zufrieden geben? Vor allen Dingen dann, wenn das mit dieser Siegeraura, die Sie beschrieben haben, nicht so klappt.

    Korte: Das sehe ich schon, dass er sich in eine Rolle einfügt, die ihm jetzt auch zugewiesen wird, die er sich auch erarbeitet hat. Als Technokrat ist er auch für das gewerbliche Bürgertum die Hauptfeder der FDP-Ansprechpartner, muss sich nicht neu einarbeiten in das Ressort. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Rollenaufteilung nach Rostock für Bahr diese Rolle nicht nur so vorsieht, die er als Gesundheitsminister führt, sondern darin sich auch, glaube ich, sehr gut aufgehoben fühlt.

    Heinemann: Welcher ist für Sie der interessanteste von den dreien: Rösler, Lindner, Bahr?

    Korte: Intellektuell am interessantesten ist sicherlich der Generalsekretär Lindner, der auch täglich neue Munition liefert inhaltlicher Art, sich mit dem modernen Liberalismus auseinandersetzt. Welchen Weg geht der Liberalismus in der Auseinandersetzung Staat und Gesellschaft? Ist der Staat nur der Widersacher, oder ist nicht viel auch an zu viel Freiheit und zu wenig Staat in den letzten Jahren problematisch in dieser Gesellschaft gelaufen? Welche Antwort bietet der Liberalismus? Da, wer da nachschlägt oder etwas sucht, findet das bei Lindner. Das macht ihn einfach akademisch auch interessant.

    Heinemann: Und welche Antwort gibt er?

    Korte: Die Antwort ist jetzt ein bisschen – vor Rostock – nicht monothematisch, sondern eher vielstimmig, er will jetzt auch keinen ausschließen aus der Führungsriege. Aber mitfühlender Liberalismus, Wohlstand, neu denken – ich finde, es kommt viel zu kurz die Frage Internet und diese Online-Kommunikation unter den liberalen Vorzeichen, die muss man wirklich auch neu denken, da wäre eigentlich großes Feld für eine traditionelle Bürgerrechtspartei, die sich noch nicht richtig ausbuchstabiert hat.

    Heinemann: Herr Korte, mit Verlaub: Philipp Rösler und Christian Lindner könnten Ihre oder meine Söhne sein. Gestaltet diese Generation, gestalten die Politik anders als die Westerwelles?

    Korte: Zur Strategiefähigkeit in der Politik gehört, Mehrheiten zu haben in Parteien, die auch an einen glauben. Die eigene Karriere muss man mit der Führungsfigur verbinden, das ist das zentrale. Es ist ja kein Castingwettbewerb und keine Auswahl nach Generation, sondern Mehrheitsfindung in einer Partei ist auf dem Parteitag eben so gestaltet, dass diejenigen, die dann zustimmen, sich eine Zukunftsperspektive erwarten. Und die ist unter diesen genannten Namen für alle wesentlich höher angesetzt, die Perspektive, als unter Westerwelle. Das ist also keine Altersfrage, sondern eine Frage von Machtpolitik in einer Partei, die ja sich völlig neu machtpolitisch aufstellt.

    Heinemann: Wichtiger als Programme oder Koalitionsverträge wird die Krisenreaktionskraft von Politikern, Parteien und Koalitionen sein. Das schrieb Bernd Ulrich vor einigen Wochen in der "Zeit". Sie sagten eben, das ganze ist ja keine Castingshow. Aber: Gutaussehend, redegewandt, zeitgeistkonform, sozial und grün – reicht das für künftige Politiker aus, um bestehen zu können?

    Korte: Nein, das reicht nicht. Ich finde auch, dass das Angebot der Parteien sehr unterschiedlich ist. Die sind nicht alle gleich, die sind nicht geklont, so kommen sie nicht daher gegenüber dem Wähler, aber was sie mitbringen müssen, ist neben einem durchaus normativen Kern, der die Parteien nämlich unterscheidet, Strategiefähigkeit im Hinblick auf solche Mechanismen, wie wir sie in den letzten Monaten kennengelernt haben, unter Echtzeitbedingungen fundamentaler Veränderungen. Darauf muss täglich reagiert werden. Unter Unsicherheit zu entscheiden, unter Nichtwissen zu entscheiden, unter Komplexität zu entscheiden – wer hier sich strategisch bewegt und darauf praktisch ein Orientierungswissen entwickelt, um dann schnell handeln zu können, der ist durchaus zukunftsfähig. Und moderne Parteien brauchen durchaus auch den normativen Kern, aber sie müssen in ihrer Führung vor allen Dingen auf diese neuen Herausforderungen anders reagieren, als das vor zehn Jahren noch der Fall war. Und da könnte durchaus die nachwachsende Generation dieses Orientierungswissen, flexibel auf Risiken einzugehen, eher mitbringen als traditionelle Akteure.

    Heinemann: Der Politikwissenschaftler Professor Rudolf Korte von der Universität Duisburg. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Korte: Bitteschön!