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Kosovo
Die Jugend verlässt das Land

Sie sind jung und haben Träume. Doch viele junge Kosovaren wollen das Land verlassen. Die kleine Republik bietet dem Nachwuchs keine Chance. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, Jobs gibt es kaum und Perspektiven noch weniger.

Von Anne Raith | 03.12.2014
    Eine Mädchen schaut Plementina bei Pristina im Kosovo aus dem Fenster einer Wohnung fotografiert am
    Lost Generation: Jugendlichen im Kosovo bieten sich kaum Perspektiven. (picture-alliance / ZB / Jens Kalaene)
    Am Nachmittag gehört der Mutter Teresa-Boulevard den Schülern und Studenten. In kleinen Gruppen schlendern sie an den Cafés vorbei, lümmeln auf den Bänken und flirten. Vesnice steht an einer der fahrbaren Imbissbuden und leistet dem Verkäufer, einem Freund von ihm, Gesellschaft. Am Wochenende arbeitet der 18-Jährige selbst an einem solchen Stand und verkauft kleine Donuts, unter der Woche studiert er Wirtschaft.
    Geschäftsmann wolle er werden und genug Geld verdienen, damit seine Kinder später einmal ein gutes Leben haben.
    "Natürlich möchte ich hier bleiben. Das ist mein Land, hier bleibe ich, mein ganzes Leben lang."
    Auch Adrian würde gerne im Kosovo bleiben. Beim Aufbau des Kosovo mitwirken, erzählt der 16-jährige Schüler mit gewichtiger Mine. Doch auf der anderen Seite hat er auch persönlich große Pläne:
    "Ich möchte Ingenieur werden oder Computerspiele programmieren. Im Kosovo kann ich das nicht lernen, keine Schule bietet so eine Spezialisierung an."
    Eine junge Frau bleibt stehen und hört zu. Sie nickt, und erzählt von ihren Wünschen:
    "Ich träume davon, eine erfolgreiche Architektin zu werden, aber ich weiß nicht, ob das hier möglich ist. Gerade beginne ich, darüber nachzudenken, wegzugehen."
    Teuta ist 26 und studiert Architektur. Den meisten ihrer Kommilitonen gehe es so wie ihr, erzählt sie. Und mit ihnen vielen anderen:
    "Ist das nicht das Traurigste überhaupt, wenn der Großteil der Jugend woanders hin will, weil die Lage im Land so schlecht ist?"
    Und die Lage im Land ist schlecht. Über die Hälfte der Bevölkerung ist unter 25 – und die Jugendarbeitslosigkeit mit bis zu 70 Prozent enorm. Jobs gibt es kaum, Perspektiven noch weniger.
    Wir sollten nicht vergessen, dass hier vor 15 Jahren noch ein schrecklicher Krieg geherrscht hat, mahnt Präsidentin Atifete Jahjaga. Selbst erst 39 Jahre alt, hatte sie angekündigt, sich vor allem für die Jugend des Landes einsetzen zu wollen:
    "Wir haben in den vergangenen Jahren für die passende Infrastruktur gesorgt und nun müssen wir die entsprechenden Möglichkeiten schaffen..."
    Abhängig von internationaler Unterstützung
    Nur wie diese Möglichkeiten aussehen sollen, bleibt vage. Noch ist das Kosovo abhängig von internationaler Unterstützung, noch werden viele Familien von ihren Verwandten in Deutschland oder der Schweiz unterstützt. Das Kosovo sei reich an Bodenschätzen, verfüge über eines der größten Braunkohle-Vorkommen in Europa, wirbt die Regierung. Doch es fehlen Ingenieure und Investoren. Vielen ist das Kosovo politisch nach wie vor zu instabil, sie fürchten Rechtsunsicherheit und Korruption. Und so wirbt das Kosovo auch mit einer anderen Ressource, über die es im Übermaß verfügt, ohne eine wirkliche Verwendung für sie zu haben: seine Jugend. Der mangele es derzeit primär an einem, klagt Präsidentin Atifete Jahjaga:
    "Kosovo ist das einzige Land in der Region, das nicht von der Aufhebung der Visumspflicht profitiert, unsere jungen Leute müssen aber die Möglichkeit haben, nach Europa zu reisen, sich Europa anzuschauen – um dann zurückzukommen und ihr Wissen hier einzubringen."
    Das ist der einzige Punkt, in dem Besa Luci der politischen Klasse ihres Landes zustimmt. Die EU messe mit zweierlei Maß, wenn Serben, Albaner, Mazedonier, Montenegriner und Bosnier ohne Visum in die EU reisen dürften Kosovaren aber nicht. Sonst kann die 30-Jährige über den politischen Kurs ihres Landes oft nur mit dem Kopf schütteln. Dabei hat die junge Frau genau das gemacht, was sich Präsidentin und Regierung wünschen: Sie hat im Ausland studiert und ist zurückgekommen, hat mit EU-Hilfen das Onlinemagazin Kosovo 2.0 mitbegründet. Natürlich habe die junge Generation viele Ideen, sei kreativ und einfallsreich. Das Problem, sagt Besa Luci, liege woanders:
    "Ich glaube eines unserer größten Probleme ist das Bildungssystem. Es wurde zwar investiert, Reformen aber hatten nach dem Krieg keine besonders hohe Priorität. Außerdem ist das öffentliche Bildungssystem ein politisches Schlachtfeld, es geht um Macht, Einfluss und Posten. Ich glaube nicht, dass unser Bildungssystem die jungen Menschen hervorbringt, die es hervorbringen sollte."
    Und jene, die es im Moment hervorbringt, bilden sich im Ausland weiter oder bleiben abhängig – für gute Jobs muss man im Kosovo nach wie vor jemanden kennen, der jemanden kennt..., klagen viele junge Kosovaren.
    "Was für eine Generation entsteht hier? Wenn wir nicht am Bildungssystem arbeiten, hat es keinen Sinn, an der Zukunft zu arbeiten."