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Kosovo-Flüchtlinge dürfen nicht mehr abgeschoben werden - Worauf müssen sich die Bundesländer einstellen?

Engels: Seit Dienstag ist das Luftembargo gegen Restjugoslawien in Kraft. Das heißt, Maschinen der jugoslawischen Fluglinien dürfen auf europäischen Flughäfen weder starten noch landen. Mit diesem Beschluß wollen die europäischen Staaten den jugoslawischen Staatspräsidenten Milosevic unter Druck setzen, im Kosovo-Konflikt einer Friedenslösung zuzustimmen. Derweil wird die Sutiation für die Flüchtlinge im Kosovo immer dramatischer. Gestern gab es Meldungen, daß serbische Sonderpolizei gezielt Flüchtlingsgruppen beschieße, Flüchtende verletze oder töte. Am Telefon begrüße ich Walter Zuber, Innenminister von Rheinland-Pfalz und Vorsitzender der Innenministerkonferenz der Länder. Guten Morgen!

    Zuber: Guten Morgen Frau Engels!

    Engels: Herr Zuber, der Druck auf die Flüchtlinge im Kosovo wird immer größer, und immer mehr von ihnen versuchen, illegal nach Deutschland einzureisen. Worauf müssen sich die Bundesländer in den kommenden Wochen einstellen?

    Zuber: Ich denke, daß wir zunächst einmal gehalten sind und insoweit kann das, was seitens der EU beschlossen worden ist, nur ein Anfang sein , zu verhindern, daß sich Menschen auf den langen Weg begeben, flüchten also aus ihrem Land. Es muß versucht werden, die Menschen im Land zu halten. Im übrigen haben die Länder natürlich Erfahrungen aus der Vergangenheit heraus. Wir haben derzeit bereits eine leichte Zunahme von Flüchtlingen aus dem Kosovo, und es ist in der Tat nicht auszuschließen, daß sich das in den nächsten Tagen und Wochen verstärken wird.

    Engels: Das Luftembargo gegen Jugoslawien hat eine Kehrseite, denn ebenfalls seit Dienstag herrscht ein faktischer Abschiebestopp für alle in Deutschland abgelehnten Asylbewerber aus Restjugoslawien, und das betrifft vor allem Menschen aus dem Kosovo. Gilt das denn auch für die, die noch kommen werden?

    Zuber: Das wird natürlich auch für diejenigen gelten, die noch kommen werden. Im übrigen darf ich einmal darauf hinweisen, daß wir bereits seit Wochen und Monaten auf dem Hintergrund der aktuellen Situation im Kosovo seitens der Länder uns darauf beschränkt haben, im wesentliche straffällig gewordene Menschen abzuschieben. Und ich bedauere halt, daß es jetzt nicht möglich ist, auch weiterhin straffällig gewordene abzuschieben. Wir werden die Menschen, die jetzt nicht zurückgeführt werden können, generell gesehen natürlich entsprechend bei uns belassen. Wir werden zunächst einmal das ist in unserem Land veranlaßt; das wird auch in anderen Bundesländern geschehen ihre Duldungen um drei Monate verlängern, und man muß dann die weitere Entwicklung abwarten.

    Engels: Wer zahlt denn jetzt für den Aufenthalt? Abgelehnte Asylbewerber haben nur einen geringen Anspruch auf Sozialhilfe, und seit dem 01. September kann sie auch ganz gestrichen werden von den Kommunen.

    Zuber: Es ist ja so, daß in diesem Fall die betroffenen Menschen nicht zu verantworten haben, daß sie nicht in ihre Heimat zurückkönnen beziehungsweise daß wir sie nicht zurückführen können. Insoweit werden die anfallenden Kosten wie seither auch seitens der Länder und der Kommunen zu tragen sein, wobei die Regelungen in den einzelnen Bundesländern, was die Aufteilung der Kosten zwischen den Kommunen und dem jeweiligen Land anbelangt, sehr unterschiedlich ist.

    Engels: Aber die abgelehnten Asylbewerber aus dem Kosovo müssen nicht damit rechnen, daß durch diese Verschärfung des Asylbewerber-Leistungsgesetzes sie zwar in den Kosovo nicht zurückkönnen, aber hier ohne Geld sind?

    Zuber: Ich gehe davon aus, daß gerade dieser Gesichtspunkt bei der Festsetzung der Hilfe Berücksichtigung findet.

    Engels: Herr Zuber, Bundesinnenminister Kanther hat vorgeschlagen, abgelehnte Asylbewerber, wenn denn der Luftweg nun abgeschnitten ist, auf dem Landweg in den Kosovo zurückzubringen. Transitstaaten wie Österreich haben das bisher immer abgelehnt. Gibt es dort mittlerweile ein Umdenken?

    Zuber: Nein, dort gibt es sicher kein Umdenken. Ich halte dies also auch für einen abenteuerlichen Vorschlag, denn wie Sie schon richtig bemerkt haben, werden wir kaum Durchreisegenehmigungen bekommen. Im übrigen kommt ja noch hinzu, daß auch die Aufnahmebereitschaft der jugoslawischen Behörden gegeben sein muß, und das wird auf dem Hintergrund der aktuellen Situation keinesfalls zu erwarten sein. Ich habe den Bundesinnenminister gebeten, einmal seine Vorstellungen mir mitzuteilen, wie denn das in der Praxis aussehen kann. Ich kann mir das, wie gesagt, nicht vorstellen.

    Engels: Was fordern denn die Bundesländer von Herrn Kanther?

    Zuber: Wir werden über die aktuelle Situation in der nächsten Innenministerkonferenz beraten. Die wird Anfang November in Bonn stattfinden. Man wird insbesondere dann das im Lichte der im November gegebenen Situation zu beleuchten haben. Im übrigen hoffe ich, daß die internationalen Sanktionen vorangehen, vor allen Dingen daß sich auch die Staaten insgesamt einig bleiben. Wir haben ja schon die Situation, daß England aus dieser gemeinsamen Beschlußlage innerhalb der EU ausgeschert ist. Mir dauert das alles viel zu lange, auch die Überlegungen der NATO. Wenn man sich die Bilder anschaut, die Menschen sieht, wie sie zu zehn Tausenden, ja zu hundert Tausenden auf der Flucht sind, dann meine ich wird es höchste Zeit, aus der Vergangenheit zu lernen und die bestehenden NATO-Pläne, was Lufteinsätze anbelangt, auch dann zu realisieren und auch die Beratungen voranzutreiben bezüglich des Einsatzes von Bodentruppen. Die Menschen im Kosovo müssen für uns im Vordergrund stehen, und es ist hohe Zeit, daß international gehandelt wird. Es darf nicht so weit kommen, wie wir das in Bosnien-Herzegowina und in den anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien erlebt haben.

    Engels: Das heißt, Sie plädieren für einen schnellen Militärschlag?

    Zuber: Ich plädiere dafür, daß das mögliche getan wird, daß nicht wochen- und monatelang nur Beratungen stattfinden. Meiner Überzeugung nach versteht Herr Milosevic keine andere Sprache.

    Engels: Könnten die Bundesländer einen starken Flüchtlingsstrom aus dem Kosovo auffangen?

    Zuber: Wir haben in der Vergangenheit ja unter Beweis gestellt, was wir zu leisten in der Lage sind. Allerdings kann es nicht erneut so sein, daß die Hauptlast einer eventuellen Flüchtlingsbewegung Deutschland leisten muß. Dann muß dies EU-weit entsprechend geregelt werden. Ich will aber noch einmal betonen, daß wir alles tun sollten, damit Menschen ihr Land nicht verlassen müssen, sondern daß wir im Lande zu vernünftigen Lösungen kommen.

    Engels: Wie groß halten Sie denn die Chance, daß es im Fall Kosovo möglicherweise zu einer europaweiten Verteilung der Flüchtlinge kommen wird, also zu einer Quotierung?

    Zuber: So weit sind wir noch nicht. Ich setze darauf, daß sonstige Maßnahmen und ich habe dazu eben ja einiges bemerkt zum Einsatz kommen und daß es insoweit zu einem Einlenken der jugoslawischen Regierung kommt.

    Engels: Die Bundesländer hatten an Bundesinnenminister Kanther die Bitte gerichtet, das Rückführungsabkommen mit Belgrad zu modifizieren. An was haben die Bundesländer da gedacht?

    Zuber: Es ist so gewesen, daß die jugoslawische Regierung die Rückübernahme nur sehr zögerlich bearbeitet hat, denn es sind ja insgesamt nicht allzu viele Bürgerkriegsflüchtlinge zurückgeführt worden. Wir haben darauf gedrängt, daß das Auswärtige Amt sich in Verbindung setzt mit der jugoslawischen Regierung, damit die einzelnen Anträge zügiger behandelt werden, als das bislang der Fall war.

    Engels: Wie lange, glauben Sie, müssen die Bundesländer sich noch darauf einstellen, diese derzeit 130 000 abgelehnten Asylbewerber aus dem Kosovo noch bei sich zu behalten?

    Zuber: Das ist eine sehr schwierige Prognose. Wie gesagt, wir hatten über Wochen und Monate hinweg jetzt nur straffällig gewordene abgeschoben und ansonsten darauf gesetzt, daß die Menschen freiwillig zurückkehren. Das ist eine Linie, die ich auch persönlich gerne in der Zukunft beibehalten möchte.

    Engels: Abschiebestopp für abgelehnte Asylbewerber aus Serbien und dem Kosovo. Das war Walter Zuber, Innenminister aus Rheinland-Pfalz und Vorsitzender der Innenministerkonferenz. Vielen Dank und einen schönen Tag!