Freitag, 19. April 2024

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Kosovo-Krieg und die Folgen
"Die Region blutet langsam aus"

20 Jahre nach dem Kosovo-Krieg gibt es noch immer keine Stabilität auf dem Balkan. Eine EU-Mitgliedschaft könne viele Probleme lösen, sagte Südosteuropa-Experte Dušan Reljić im Dlf. Wirtschaft und Außenhandel würden gestärkt und vermutlich auch die Auswanderung vieler Arbeitskräfte zum Teil gestoppt. [*]

Dusan Reljic im Gespräch mit Anja Reinhardt | 24.03.2019
Das Parlamentsgebäude in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo.
Das Parlamentsgebäude in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo (AFP / Armend Nimani)
[*] Im ursprünglichen Teaser wurde der Interviewpartener ungenau zitiert. Dies haben wir korrigiert.
Am 24. März 1999, vor genau 20 Jahren, griff die NATO in den Kosovo-Krieg ein. Der Konflikt zwischen Serben und Albanern schwelte dort schon lange, wie überhaupt nach dem Ende Jugoslawiens die ethnischen Konflikte immer größer wurden, verstärkt noch dadurch, dass die meisten der Länder wirtschaftlich schlecht dastanden. Zwar gab es nationale Grenzen, aber die Ethnien überlagerten diese. So wie eben auch im Kosovo, wo es im Januar 1999 in der Nähe von Pristina zu einer serbischen Polizeiaktion kam, der 45 Albaner zum Opfer fielen - für den Westen der ausschlaggebende Moment für einen Eingriff in den Konflikt.
Mit Bombardements aus der Luft wollte die NATO Serbien aus dem Kosovo zurückdrängen, am 9. Juni 1999 gab Serbiens Präsident Milosevic schließlich nach. Das Kosovo ist seit elf Jahren unabhängig, Russland, China und auch einige EU-Mitglieder erkennen die Unabhängigkeit allerdings nicht an.
Auch 20 Jahre nach dem Beginn des NATO-Einsatzes in der Region gebe es kaum eine Chance auf ein harmonisches Zusammenleben von Albanern und Serben im Kosovo, sagte Dušan Reljić im Dlf. Es gebe zwei große Ergebnisse des Krieges, sagte der Südosteuropa-Experten der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: "Serbien wurde geteilt und hat die Provinz Kosovo unwiderruflich verloren. Etwa 200.000 Serben, Roma und andere, die geflüchtet sind oder vertrieben wurden, sind nicht zurückgekehrt. Die andere Feststellung ist, dass das albanisch dominierte Kosovo es seitdem nicht geschafft hat, ein voll anerkanntes Mitglied der internationalem Gemeinschaft zu werden."
Und daher gelte: "Wenn der internationale Rahmen nicht vorhanden ist, wenn nach wie vor offen ist, wie die Friedensregelung langfristig ausschauen könnte, ist die Bereitschaft der politischen Führer in Belgrad und Pristina gering, auf die Bevölkerung einzuwirken, um wieder einen Anschein von Harmonie und zumindest Toleranz herzustellen."
Zwei große "albanische" Staaten als Risikofaktor für Region
Man habe sich mehr Stabilität in der Region versprochen, indem man den Kosovo von Serbien trennte und Kosovo zu einem international anerkannten Staat erhoben hat. "Diese Hoffnung ist nicht aufgegangen. Kosovo ist nicht isoliert in der Region. In Kosovo leben vor allem Albaner, aber sie leben auch in Albanien selbst, in Teilen Serbiens, in West-Mazedonien und in Montenegro. Albaner sind in der Region in fünf Staaten verstreut. Wenn wir zwei albanische Staaten nebeneinander haben: Albanien selbst und Kosovo – warum sollten diese Staaten nicht irgendwann zusammengehen?" Das werde in Zukunft die größte Herausforderung für die Stabiliät in der Region sein.
Eine Mitgliedschaft in der EU könnte viele Probleme lösen. Doch in vielen EU-Mitgliedsstaaten rege sich Widerstand gegen eine weitere Erweiterung der EU, man habe zu viel Angst vor den Rechtspopulisten, die aus dieser Debatte gestärkt werden könnten. Außerdem sei die sozio-ökonomische Entwicklung im westlichen Balkan unzureichend. "Es gibt schlechte Regierungsführung, viel Korruption und es gibt auch die Einsicht in der Bevölkerung, dass dort kein baldiger Wohlstand eintreten werde. Und deshalb verlässt die Bevölkerung die Region." Allein in den letzten 20 Jahren seien aus diesem Teil Südost-Europas viereinhalb Millionen Menschen ausgewandert, etwa ein Viertel der Bevölkerung. "Die deutsche Wirtschaft hat ein Interesse daran, Arbeitskräfte aus dieser Region zu rekrutieren. Im Bau, im Gastgewerbe, im Gesundheitssektor. Diese Kombination führt dazu, dass die Region langsam ausblutet", sagte Reljić.
In den letzten zehn Jahren hätten die sechs südosteuropäischen Staaten, die einen EU-Beitritt anstreben, ein Handelsdefizit von 100 Milliarden Euro mit der EU verzeichnet. "Sie kaufen mehr ein, als sie in die EU verkaufen." Mit einer EU-Mitgliedschaft würde die Wirtschaft gestärkt, der Außenhandel ebenfalls – zum Vorteil der EU. Vermutlich könne aber auch die Auswanderung der Arbeitskräfte zum Teil gestoppt werden.
Kleiner Raum - große Probleme
Ein Abzug der gut 5.000 KFOR-Soldaten könnte zu größeren Konfrontationen führen, glaubt Reljić. Es sei schwer, den Balkan zu stabilisieren. "Es ist ein kleiner Raum, in dem sich viele lokale Akteure treffen, die verschiedene kulturelle und politische Traditionen besitzen und in dem sich auch große geopolitische Konfrontationen abgespielt haben. Über den Balkan läuft die Verbindung zwischen dem nahöstlichen Raum Türkei und Mitteleuropa. Auf dem Balkan treffen sich die Einflüsse Westeuropas und Russlands." Solange es große Imperien gegeben habe, die dort dominierten, habe es Stabilität gegeben. "Aber mit dem Zerfall Jugoslawiens ist auch eine Vielzahl von neuen Akteuren auf den Plan getreten und es ist nicht einfach, sie alle einzufangen. Auch nicht in der EU und in der NATO."