Archiv


Kosovokrise - 'Noch kein Anzeichen daß Milosevic zum Einlenken bereit ist'

Heinlein: Nach einem möglichen Scheitern der Kosovo-Friedenskonferenz könnte die NATO im 50. Jahr ihres Bestehens also tatsächlich in einen ernsten militärischen Konflikt auf dem Balkan verwickelt werden. Am Telefon jetzt der stellvertretende NATO-Generalsekretär Klaus-Peter Klauber. Guten Morgen!

    Klaiber: Guten Morgen!

    Heinlein: Herr Klaiber, die Serben bleiben stur. Wir haben es gehört. Warum jetzt noch einmal eine letzte Frist für Belgrad?

    Klaiber: Wir sind natürlich in einer ganz schwierigen Situation. Gut ist, daß die Kosovo-Albaner gestern das Dokument unterschrieben haben. Damit machen sie der internationalen Staatengemeinschaft klar, daß sie dieses Interims-Abkommen akzeptieren. Jetzt kommt es in der Tat darauf an, den Serben vorzuführen, daß die Frist jetzt endgültig abläuft und unsere Geduld zu Ende ist. Ich persönlich finde es richtig, daß Herrn Milosevic noch einmal einige Tage Bedenkzeit gegeben werden kann. Man hat ja schließlich zwei lange Verhandlungsrunden absolviert und auch alle Argumente seiner Seite gehört. Nur kann es natürlich nicht sein, daß ein Interims-Abkommen zustandekommt und dann wird keine militärische Absicherung erklärt. Das kann nämlich nicht funktionieren.

    Heinlein: Haben Sie irgendwelche Anzeichen, Herr Klaiber, daß Milosevic zum Einlenken bereit ist?

    Klaiber: Nein, diese Anzeichen haben wir leider bisher noch nicht. Nur es ist ja so: Die NATO bleibt bereit, wenn es notwendig ist, militärisch einzugreifen, und es kann nicht sein, daß wir hier einer militärischen und vor allem humanitären Tragödie in Mitten Europas entgegengehen, ohne daß wir irgend etwas tun.

    Heinlein: Bereit, Herr Klaiber, ist die NATO ja jetzt schon seit längerem. Die NATO muß doch jetzt ernst machen mit ihren Drohungen, mit Luftangriffen, um nicht als Papiertiger dazustehen?

    Klaiber: Papiertiger ist natürlich eine Wendung, die man in der Presse manchmal liest. Das sind wir sicher nicht. Wir wägen aber natürlich sehr sorgfältig ab, welche Risiken ein solcher militärischer Einsatz mit sich bringen könnte. Der Beschluß wird aber vom Generalsekretär getroffen werden, wenn die Mitglieder der Kontaktgruppe erklärt haben, daß alle Möglichkeiten, zu einer Vereinbarung zu kommen, erschöpft sind.

    Heinlein: Wie stark ist das Ansehen der NATO weltweit schon beschädigt worden durch die zögerliche Haltung des Westens?

    Klaiber: Die Haltung des Westens ist nicht zögerlich, sondern wir haben gesagt, wir versuchen alles nur menschenmögliche, um einen Kompromiß zwischen diesen beiden zerstrittenen Parteien herbeizuführen, und das haben wir bis jetzt gemacht. Wenn das nun wirklich nicht möglich ist, dann kann es gut sein, daß die Stunde der Wahrheit auch für die NATO gekommen ist.

    Heinlein: Dennoch, Herr Klaiber, drängt sich aber der Eindruck auf, daß das mächtigste Militärbündnis der Welt nicht fertig werden kann mit Rest-Jugoslawien?

    Klaiber: Dieser Eindruck ist sicherlich falsch. Wenn Sie gehört haben, was der Oberkomandierende gestern gesagt hat, so sind die Streitkräfte bereit, den Jugoslawen einen erheblichen Denkzettel zu verpassen, wenn dies notwendig ist.

    Heinlein: Wie soll denn dieser erhebliche Denkzettel aussehen? Welchen Umfang werden die möglichen Luftangriffe haben?

    Klaiber: Es gibt in den Planungen zwei Szenarien. Das eine sind limitierte Luftschläge gegen militärische Ziele, und das zweite Szenario sind Luftangriffe, die bis zur Zerstörung der jugoslawischen Lufthoheit und Verteidigungsfähigkeit führen.

    Heinlein: Ist man auch bereit, zivile Opfer in kauf zu nehmen?

    Klaiber: Man will natürlich möglichst zivile Opfer verhindern; das ist ganz klar. Es ist natürlich nicht hundertprozentig auszuschließen, daß bei dem Treffen militärischer Einrichtungen möglicherweise auch Zivilisten zu Schaden kommen.

    Heinlein: Ist die NATO auch bereit, Bodentruppen einzusetzen?

    Klaiber: Diese Frage stellen wir uns im Augenblick nicht, denn wir sind der Auffassung, wenn die Luftschläge stark genug erfolgen und viel Zerstörung der militärischen Fähigkeiten Jugoslawiens mit sich bringen, daß dann wahrscheinlich - so ist jedenfalls unsere Hoffnung - Herr Milosevic einlenken wird und sagen wird, ich bin bereit, jetzt ein Abkommen abzuschließen.

    Heinlein: Wird die NATO, Herr Klaiber, so lange bomben, bis Milosevic unterschreibt oder aus dem Amt scheidet?

    Klaiber: Das ist eine Suggestivfrage. Uns geht es nicht darum, daß Herr Milosevic aus dem Amt scheidet. Uns geht es darum, daß er und seine Regierung zu der Auffassung gelangen, daß ein Friedensabkommen, wenn es auch nur ein Interims-Abkommen ist, in seinem nationalen Interesse ist und daß er mit einer Fortführung militärischer Aktionen nur weiteres Unglück schafft und vor allem dieses letztlich zum Nachteil seines eigenen Landes gerät.

    Heinlein: Die Gefahr besteht aber doch, daß mitten in Europa quasi ein zweites Irak entsteht?

    Klaiber: Das kann man natürlich insgesamt nicht ausschließen. Wir sind aber guter Hoffnung, daß die militärische Stärke der NATO ausreicht, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen.

    Heinlein: Dennoch sieht es ja so aus, als ob die Militärs im Prinzip alleingelassen werden von der Politik, denn es fehlt ja ein schlüssiges politisches Konzept nach dem Ende möglicher Luftangriffe?

    Klaiber: Herr Heinlein, ich würde das so nicht formulieren. Wir haben ja ein politisches Konzept. Das ist ja in den ganzen Verhandlungen zum Ausdruck gekommen. Das heißt, wir wollen ein Interims-Abkommen für drei Jahre schließen, und danach wollen wir dann weitersehen, wie die Zusammenarbeit dieser beiden ethnischen Parteien sich entwickelt hat. Dies scheint nun dem Scheitern nahe. Jetzt müssen wir erneut überlegen, was passiert, wenn beispielsweise solche Luftanschläge keinen Erfolg haben.

    Heinlein: Kann es sich denn die NATO bei möglichen Luftangriffen erlauben, die russischen Bedenken und auch die jugoslawischen Einwände beiseitezulegen, daß es kein völkerrechtliches Mandat für diese möglicherweisen Angriffe gibt?

    Klaiber: Wir kennen diese Einwände. Die sind schon im Kotober vorgetragen worden. Damals kamen wir zu dem Entschluß, daß die jugoslawische Seite die Resolution der Vereinten Nationen nicht beachtet und daß vor allem durch die militärischen Aktionen tausende und abertausende von Flüchtlingen ihre Heimat verlieren und in den Bergen kampieren müssen und diese humanitäre Tragödie rechtfertigt einen Einsatz aus der Luft und eine Aktion, auch wenn es kein ausdrückliches Mandat des Sicherheitsrates gibt. Dies ist eine außergewöhnliche Situation, der wir gegenüberstehen.

    Heinlein: Zur Kosovo-Krise der stellvertretende NATO-Generalsekretär Klaus-Peter Klaiber. Vielen Dank für dieses Gespräch!