Montag, 29. April 2024

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Kouchner: Deutschland und Frankreich Motor der EU

Die Zusammenarbeit von Deutschland und Frankreich ist nach Ansicht des französischen Außenministers Bernard Kouchner als Motor der Europäischen Union unabdingbar. Ohne diese Komponente bewege sich in der EU nichts, sagte Kouchner. Das allein reiche aber nicht aus. Die beiden Staaten brauchten andere große Länder an ihrer Seite, zum Beispiel Großbritannien.

Moderation: Burkhard Birke | 04.05.2008
    Burkhard Birke: In den siebziger und achtziger Jahren, Bernard Kouchner, hat ihr humanitäres Engagement als Gründer von Ärzten ohne Grenzen und später von Ärzten der Welt ihnen den Beinamen French Doctor, der französische Doktor, eingebracht! Später waren Sie Mitglied verschiedener sozialistischer Regierungen, jetzt sind Sie Außenminister in der Regierung von Nicolas Sarkozy. Wir befinden uns wenige Wochen vor Auftakt der französischen EU Ratspräsidentschaft. Welche Diagnose stellt da der French Doctor für die EU, die lange Zeit durch den Schlaganfall des Neins der Franzosen und Niederländer zum Verfassungsvertrag gelähmt war?

    Bernard Kouchner: Die Diagnose fällt eher positiv aus. Sie haben Recht: Wir hatten einen Schlaganfall, nicht nur in Frankreich, sondern auch in Holland, aber den haben wir überstanden! Dem Kranken geht es besser! Die Blockade ist aufgehoben - es geht besser! Ich denke immer entlang der gleichen Linien: Zunächst müssen wir aufrichtig sein in Europa! Wir brauchen Ideale! Wir können endlich unseren Kindern Ideale in Europa vorschlagen! Und dann muss man sich auch um die anderen kümmern! Das ist meine Handlungsmaxime! Das war bei meinem Engagement bei Ärzten ohne Grenzen, bei Ärzten der Welt, in den linken Regierungen so. Ich glaube, ich bin immer noch ein Mann der Linken. Momentan bin ich Mitglied einer rechten Regierung und stehe mit einigen Freunden für die Politik der "Öffnung". Und wenn ich das Angebot von Nicolas Sarkozy angenommen habe, dann speziell wegen Europa! Europa war blockiert - wir haben die Blockade gemeinsam mit Deutschland mit dem vereinfachten Vertrag, dem Vertrag von Lissabon aufgelöst. Ohne diesen wäre die Situation sehr schwierig, ja vielleicht sogar total verloren gewesen.

    Der deutsch-französische Motor ist unabdingbar

    Birke: Europa wurde auch die enge deutsch französische Kooperation wieder reaktiviert. In letzter Zeit, so hat es den Anschein, läuft der deutsch französische Motor allerdings weniger rund!

    Kouchner: Der Schein trügt! Der Motor läuft runder als vorher! Bei Giscard und Schmidt, bei Mitterand - Kohl, und Chirac, mit allen Staats- und Regierungschefs Deutschlands und Frankreichs gab es am Anfang ihrer Beziehungen große Schwierigkeiten! So ist das auch bei Merkel und Sarkozy! Später kommt alles in Lot. Bei Sarkozy und Merkel ist das momentan der Fall! Es läuft eher sehr gut - Die Arbeitsgruppen für die französische EU-Präsidentschaft, die keine französische, sondern eine Präsidentschaft im Namen der 26 Länder sein wird, diese deutsch französischen Arbeitsgruppen funktionieren jetzt gut. Es läuft gut, immer besser, denke ich. Es ist unabdingbar, dass es zwischen den beiden Ländern gut läuft - Das ist es doch, was den Motor ausmacht. Das heißt jedoch nicht, dass wir nicht auch ein gutes Verhältnis zu Großbritannien haben. Die Engländer sind unsere Freunde, aber das Deutsch-Französische hat Europa gegründet.

    Birke: Ihr Präsident sucht die Annäherung an Großbritannien, will es ins Herzen Europas holen. Ist der deutsch-französische Motor unabdingbar und hinreichend für Europa oder reicht er nicht aus?

    Kouchner: Er ist unabdingbar, er ist nicht ausreichend! Er ist unabdingbar, ohne ihn läuft gar nichts, also muss er weiterlaufen. Wenn wir freilich andere große Länder an unserer Seite haben, dann wird das für den Rest der Welt und nicht nur für Europa eine herrliche, eine wunderbare Perspektive.

    Birke: Sehen Sie die Engländer wirklich im Herzen Europas?

    Kouchner: Ja. Nicht so wie die Deutschen, aber ich sehe sie näher rücken. Das ist eine positive Perspektive. Das ist zumindest der Eindruck, den ich gewonnen habe, als ich Präsident Sarkozy nach London begleitet habe. Das war eine Reise voller politischer Perspektiven, nicht nur der Besuch auf Schloss Windsor. Wir haben Europa wieder in Gang gebracht. Und wir bemerken, dass die gesamte Welt Europa nachahmen will, ob in Asien, in Afrika oder Lateinamerika. Das nimmt uns in die Pflicht! Für die nachfolgenden Generationen sind wir zum Erfolg verpflichtet! Die Globalisierung, die Dritte Welt, die Menschenrechte: All das sind Bereiche, wo wir erfolgreich agieren müssen. Das werden wir nicht ohne die Deutschen!

    Europa braucht die Türkei!

    Birke: Sie haben von Aufrichtigkeit und Visionen für Europa gesprochen. Aufrichtigkeit - bedeutet das zum einen, zu sagen, dass die Verfassung, der Verfassungsvertrag für immer tot ist und zweitens, dass die Türkei keinen Platz in der EU hat?
    Kouchner: Zur ersten Frage: Der Verfassungsvertrag ist durch den vereinfachten Vertrag ersetzt worden. Das bedeutet aber nicht, dass man irgendwann in der Zukunft, ohne dass ich mich auf ein genaues Datum festlegen möchte, nicht doch wieder über ein föderales Europa, über ein Europa mit einer anderen Verfassung sprechen könnte. So weit sind wird jedoch noch nicht!

    Birke: Welche Vision haben Sie ?

    Kouchner: Meine Vision ist die eines Europas verstärkter politischer Zusammenarbeit! Meine Vision war die eines föderaleren Europas. Man muss sich aber der Realität beugen: In Frankreich haben wir den Verfassungsvertrag mit deutlicher Mehrheit abgelehnt! Es ist doch bemerkenswert, dass Frankreich danach einen Präsidenten wählt, der selbst für die Annahme der Verfassung gestimmt hatte und in seinem Wahlprogramm den vereinfachten Vertrag vorgeschlagen hatte als Weg um das Nein der Franzosen herum! In Frankreich hatten zwar einige Leute gegen Europa gestimmt, aber es gab viele andere Gründe für die Ablehnung: Innenpolitische, das Fehlen einer Perspektive, die Ablehnung der Globalisierung ... . Da war es wunderbar, dass Frankreich nach dem Nein andere Länder, die wie Spanien in einem Referendum mit Ja gestimmt hatten, jetzt vom vereinfachten Vertrag überzeugt hat, das war wunderbar! Das war dank der Deutschen, dank Angela Merkel, dank Frank-Walter Steinmeier möglich, ohne sie wäre das nicht möglich gewesen!

    Birke: Lassen Sie uns über den zweiten Teil meiner Frage sprechen. Herr Kouchner, hat die Türkei einen Platz in Europa?

    Kouchner: Europa braucht die Türkei! Das ist meine persönliche Meinung, und ich habe daraus nie einen Hehl gemacht. Die Türkei bildet eine Brücke zwischen dem Nahen Osten mit einem moderaten Islam und Europa. Präsident Sarkozy und die französischen Wähler haben eine gewisse Abneigung zum Ausdruck gebracht. Lassen Sie uns einfach Zeit geben. Wir haben bei den Beitrittsverhandlungen noch 30 Kapitel vor uns, dann werden wir sehen. Die französische Position, vertreten durch den gewählten Präsidenten des Landes ist es, den Beitritt der Türkei zur EU abzulehnen.

    Birke: Erklärt die Ablehnung auch die Idee der Union für das Mittelmeer, um die Türkei trotzdem anzunähern?

    Kouchner: Nein! Die Mittelmeerunion ist so oder so notwendig und sie umfasst nicht nur die Türkei, sondern alle südlichen Anrainerstaaten und beinhaltet die Annäherung an Afrika. Es geht dabei um gemeinsame Projekte, durch die zwei Kulturen, die im Laufe der Geschichte durch das Mittelmeer aufeinander getroffen sind, gemeinsame Zukunftsperspektiven entwickeln. Die gesamte EU ist dabei: Nicht nur die nördlichen Mittelmeeranrainerstaaten, sondern alle EU-Staaten bis hin zu Schweden und Finnland - wenn sie mitmachen wollen - und die südlichen Anrainer. Alle haben derzeit den großartigen deutsch französischen Vorschlag akzeptiert, den Frau Merkel und Herr Sarkozy vereinbart haben. Das war kein einfacher Kompromiss, ich habe an einigen etwas lebhaften Sitzungen teilgenommen. Man musste die einen und die anderen überzeugen, aber so funktioniert Europa! Man sagt nein, nein, nein, bis man am Ende doch ja sagt!

    Birke: Welche Rolle kann die Union für das Mittelmeer bei der Lösung der Konflikte in der Region spielen, ich denke dabei insbesondere an den Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis?

    Kouchner: Es ist sehr schwer da einzugreifen: Für Deutschland wie für Frankreich, das sehr, sehr wichtige historische Bindungen in die Region unterhält. Wir hoffen auf Frieden. Wir befinden uns in einem Prozess, der in Annapolis begonnen hat, und an den niemand so recht geglaubt hat! Frankreich hat daran geglaubt und wenige Wochen später die Pariser Konferenz organisiert. Wir waren erfolgreich, politisch und finanziell, es wurden viele Hilfszusagen auf der Pariser Konferenz gemacht. Wir würden das Geld gern sowohl dem Westjordanland als auch Gaza zur Verfügung stellen, es geht um Projekte für die Region. Das ist ein sehr langwieriger Prozess. Das ist sehr schwierig.

    Birke: Was erwarten Sie, Herr Kouchner, in diesem Zusammenhang von der Nahostkonferenz in Berlin, die für Ende Juni geplant ist?

    Kouchner: Ich erwarte dasselbe! Es gibt ein deutsches Projekt zum Schutz der Grenzen, das umgesetzt werden soll. Das ist ein sehr wichtiges Projekt, über das ich mit meinem Freund Frank Walter Steinmeier gesprochen habe. Wir werden alles in unseren Kräften stehende für die Sicherheit eines notwendigen palästinensischen Staates tun. Die Pariser Konferenz hieß: Konferenz für einen Palästinenserstaat! Das Geld ist für einen Palästinenserstaat: Das ist die Hoffnung! Und alles, was die Sicherheit eines Palästinenserstaates stärkt, stärkt die Sicherheit des Staates Israel. Wir sind sehr dafür. Auf dem Gipfel haben Abbu Masen und Ehud Olmert, Frau Livni und Herr Abu Amr miteinander gesprochen. Sie haben mir noch neulich gesagt, es gäbe Fortschritte, aber vor Ort geht es nicht voran!

    Birke: Beabsichtigen Sie auch die Palästinenser und die Israelis in die Union für das Mittelmeer einzuladen?

    Kouchner: Aber sicher doch! Alle, auch die Syrer, die Türken ... alle! Ich weiß nicht, ob alle kommen werden, eingeladen sind sie auf jeden Fall!

    Birke: Haben Sie schon genauere Vorstellungen, wer die Präsidentschaft der südlichen Mittelmeeranrainerstaaten übernehmen soll?

    Kouchner: Ja! Es wird zwei Präsidentschaften, eine der nördlichen, eine der südlichen Anrainerstaaten geben. Bei den südlichen Mittelmeerländern spricht vieles für Ägypten. Über den Sitz des Sekretariats wird noch diskutiert. Unlängst war ich in Marokko, Herr Mubarak war in Frankreich. Es geht voran!

    Birke: Wäre Ägyptens Präsident Mubarak ein geeigneter Präsident?

    Kouchner: Selbstverständlich wäre er ein möglicher Vorsitzender der Mittelmeerunion gemeinsam mit einem Vertreter der nördlichen Mittelmeerstaaten. Das wäre vielleicht Frankreich, aber es wird eine Rotation geben!

    Serbien reichen wir die Hand

    Birke: Herr Kouchner, um auf Ihre Vision für Europa zurückzukommen. Sie waren auch UN-Beauftragter für das Kosovo. Wann glauben Sie können Serbien und Kroatien EU-Mitglieder werden?

    Kouchner: Ach - ich wünschte sofort! Kroatien, das ist klar, wird das nächste EU-Mitglied werden! Serbien reichen wir die Hand, wir hoffen, dass es kommt, seine Zukunft liegt in Europa. Die Anerkennung des Kosovo darf nicht als Niederlage für Serbien, sondern muss als Chance begriffen werden, um zurückzukommen, um sich zu öffnen! 90 Prozent der Serben haben die EU nie gesehen! Sie müssen unbedingt kommen! Ihre Zukunft, ihre Bestimmung liegen in der EU!

    Birke: Sie Sie enttäuscht, Herr Kouchner, dass es keine Einstimmigkeit bezüglich der Anerkennung des Kosovo in der EU gab?
    Kouchner: Aber natürlich bin ich enttäuscht. Aber das wird schon noch! 37 Länder haben immerhin anerkannt, ich hätte mir mehr gewünscht, aber wissen Sie: Das ist nicht mein Problem. Zwei Jahre lang habe ich die internationale Staatengemeinschaft im Kosovo vertreten, und ich bin stolz darauf. Aber das ist ein Problem der Serben. Serben und Kosovoalbaner wollten nicht miteinander reden. Der ehemalige finnische Präsident Mati Atissari hat es vierzehn Monate lang erfolglos versucht. Frankreich wollte vier Monate Verlängerung, und wir haben es mit dem exzellenten EU-Botschafter Ischinger, mit dem russischen und dem US Botschafter versucht, es hat nichts gebracht: Man wollte nicht miteinander reden. Wir werden doch nicht jahrhunderte- oder jahrzehntelang wie auf Zypern mit einem Truppenvorhang in der Mitte verharren, weil sonst nichts passiert!

    Birke: Es fehlt jedoch an Einstimmigkeit in der Außenpolitik der EU. Der neue Vertrag sieht nun aber das Amt eines Hohen Repräsentanten für die Außenpolitik vor. Zunächst die Frage: Können Sie sich vorstellen, dieser Hohe Repräsentant zu werden?

    Kouchner: Das ist ein guter Vorschlag. Das ist eine schöne Überraschung! Warum nicht! Schließlich dürfte ich genauso qualifiziert wie jeder andere sein! Ich hatte jedenfalls nicht daran gedacht, aber Sie hatten recht, mich auf diese Idee zu bringen! Aber, um ernsthaft auf Ihre Frage zu antworten: Es gab Einstimmigkeit. Die bestand darin zu sagen: Diejenigen, die das Kosovo anerkennen wollen und die, die wie Spanien, das ein Problem mit den Basken hat, nicht anerkennen wollen, sind sich einig, die Truppen dort zu behalten. Die Spanier haben das Kosovo nicht anerkannt, behalten aber fast 2000 Soldaten dort. Sehen Sie, das war eine sehr schwierige Situation - die Anerkennung!

    Birke: War man sich denn nicht nur einig, uneins zu sein?

    Kouchner: Aber nein ... Das ist nichts! Man ist immer zuerst verschiedener Meinung, um sich später zu einigen. Und nach der Einigung ist man auch wieder uneins - so ist das im Leben! Die Politik ist doch nichts Anderes als die Gewalt zu kanalisieren, das ist die Essenz, die Ermordung der anderen nicht zuzulassen, sich für die Nöte des anderen zu interessieren- das ist Politik. Das haben wir im Kosovo gemacht und ich glaube, das haben wir richtig gemacht! Wenn das zufällig funktionieren sollte, was wir hoffen, dann würde das die erfolgreichste und schnellste Mission der Vereinten Nationen. Wenn es funktioniert - was ich hoffe!

    Birke: Über den Hohen Repräsentanten hatten wir auch gesprochen mit Blick auf die Absicht der französischen EU-Präsidentschaft, die Zeit nach dem Lissabonner Vertrag vorzubereiten. Was werden Sie konkret unternehmen?

    Kouchner: Das ist notwendig! Zunächst müssen wir uns mit den deutsch französischen Arbeitsgruppen - nichts läuft ohne die deutsch französische Komponente - aber auch mit den anderen - Gedanken über unsere Außenvertretung machen. Was bedeutet das? Dass die Kommission ins Ausland geht? Das reicht nicht! Das muss etwas Einzigartiges und Neues werden, eine politische europäische Reflektion, die die Welt braucht! Es geht nicht darum, hunderte EU-Beamte ins Ausland zu versetzen! Das allein reicht nicht, wir müssen Diplomaten aller 27 Nationen rausschicken! Das wird schwierig zu organisieren. Wie soll das gehen? Wer zahlt? Wo werden die untergebracht? Dann gibt es den Hohen Repräsentanten. Der muss einstimmig oder zumindest im völligen Konsens bestimmt werden. Daran arbeiten wir, denn der Hohe Repräsentant muss Ende des Jahres feststehen wie übrigens der Ratspräsident! Dann finden die Europawahlen im Juni 2009 statt. Sie werden sehen: Am Anfang ist man sich keineswegs einig und dann geht's sprunghaft vorwärts.

    Immigrationspakt: Legalisierung ist nicht die Lösung

    Birke: Herr Minister, neben der Vorbereitung der Zeit nach Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages sind der Klimaschutz und die Immigration Prioritäten der französischen Ratspräsidentschaft. Präsident Sarkozy strebt einen Immigrationspakt an. Sehen Sie als Linker die Möglichkeit, einen solchen Pakt zu schließen, wenn einerseits Spanien 700.000 Illegale legalisiert hat, und andererseits Frankreich jährlich 25.000 abschiebt!?

    Kouchner: Ich sehe nicht nur die Möglichkeit, ich sehe den Pakt schon kommen! Spanien hat legalisiert, wir übrigens auch, das ist nicht die Lösung! Und Spanien ist einverstanden. Was mich gerade als Linken überrascht hat, der ich nicht einverstanden war mit dieser nicht gerade besonders ansprechenden und gerechten Politik, weil wir nie mit dem Elend Schluss machen, denn es ist doch das Elend, das die Menschen zu uns bringt, es ist nicht die Art und Weise wie wir sie bei uns aufnehmen, denn wir nehmen sie nicht mit Wärme auf. Von den vier großen Aufnahmeländern für Flüchtlinge: Portugal, Spanien, Italien und Frankreich, waren zwei links und sie wünschten einen Einwanderungspakt.

    Birke: Aber ist das ein Abkommen über Einwanderungsquoten?

    Kouchner: Wir wissen das noch nicht. Das bleibt abzuwarten. Jedenfalls haben wir eine gemeinsame Position. Wir können nicht Schengen haben, einen Raum, in dem sich jeder frei bewegen darf, und parallel keine Regelung zur Aufnahme der Menschen, zunächst der legalen Arbeitnehmer, egal ob jetzt mit Quote oder ohne, warum eigentlich keine Quote? - das weiß ich noch nicht! Auf jeden Fall müssen wir den politischen Flüchtlingen Asyl und menschliche Aufnahmebedingungen in Frankreich, in Italien, überall bieten. Das ist, glaube ich, die Position, die sich durchsetzen wird. Es zeichnet sich auf alle Fälle eine gemeinsame europäische Position ab und das ist gut so. Sie darf natürlich nicht inhuman, keine völlige Zurückweisung der Menschen sein. Wenn man Verantwortung für ein Land trägt, dann kann man doch aber nicht sagen: Sie dürfen durch das Fenster, durch die Tür, unterm Teppich herein kriechen ...

    Birke: Wenn man an die aktuelle Nahrungsmittelkrise denkt, muss da nicht die Hilfe verstärkt werden, auch um die Einwanderung zu vermeiden?

    Kouchner: Das liegt auf der Hand! Was die Nahrungsmittelsituation anbetrifft, da muss man sich zunächst darauf verständigen, wie viele Menschen ernährt werden müssen, und wie dringend. Es gibt die Nothilfe. Die muss unbedingt weiterentwickelt werden. Wir haben unsere Hilfe für das Welternährungsprogramm verdoppelt. Das reicht aber nicht, das ist nur für den Notfall. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass die Nährpflanzen in den Ländern entwickelt werden. Wir haben das Gegenteil getan: Durch Zollschranken haben wir in den reichen Ländern den Produkten aus der Dritten Welt viel zu sehr unsere Märkte versperrt. Das bedeutet aber keineswegs, dass die Landwirtschaft in Deutschland oder in Frankreich sich in gutem Zustand befindet. Die Empfehlungen der Welternährungsorganisation müssen umgesetzt werden. Wir brauchen Gelder für Dünger, für Bewässerung, und um den Ländern mit Agrarproduktion gezielte Unterstützung anzubieten. Wir dürfen aber nicht die institutionellen Strukturen vervielfachen. Wir müssen vor Ort effektiver werden. Und wir müssen helfen. Wenn wir den Strom der Einwanderer eindämmen wollen, muss man ihnen die Möglichkeit geben, in ihren Heimatländern ihre Familien zu ernähren. Das ist das Allererste im Rahmen der Entwicklungshilfe und so ...

    Birke: Herr Minister Kouchner. Soll Präsident Sarkozy unter den aktuellen Bedingungen an der Eröffnungsfeier für die Olympischen Spiele teilnehmen, wenn es keinen Dialog zwischen dem Dalai Lama und der chinesischen Führung gibt!?

    Kouchner: Um Ihre Frage zu beantworten: Wir müssen sicher sein, dass es einen Dialog gibt! Wir versuchen dazu beizutragen, dass dieser Dialog zustande kommt. Das hoffen wir. Präsident Sarkozy hat gesagt, er trifft seine Entscheidung in Abhängigkeit von diesem Dialog. Jetzt gibt es eine Verantwortung dafür zu sorgen, dass dieser Dialog stattfindet, und zwar als politischer Dialog. Ich bin nicht an der Verbreitung des Buddhismus in der Welt interessiert. Das ist nicht mein Anliegen! Mir geht es um die Menschenrechte!

    Birke: War die Verleihung der Ehrenbürgerwürde von Paris an den Dalai Lama eine Provokation wie die Chinesen behaupten?

    Kouchner: Ich bin Ehrenbürger von Sarajewo, von Pristina ... Das ist keine Provokation. Der Bürgermeister von Paris kann doch machen, was er will!

    Birke: War der Augenblick dennoch schlecht gewählt?

    Kouchner: Weshalb? Der Bürgermeister von Paris ist doch kein Mitglied dieser Regierung! Und er darf doch eine Position in Menschenrechtsfragen vertreten, die diejenige von Millionen Menschen in der Welt ist! War der Zeitpunkt für unseren Dialog mit der chinesischen Führung schlecht gewählt! Ja! Aber das ist doch immer so!

    Birke: Glauben Sie nicht, man opfert die Menschenrechte der Wirtschaft ... .

    Kouchner: Natürlich glaube ich das. Und glauben Sie, wir sollten den Handel mit China aussetzen? Schauen Sie: Als Politiker tritt man nicht nur für eine Sache ein. Man trägt Verantwortung für ein Land. Und wenn ich von meinem kleinen Maßstab ausgehe, muss man auch ein wenig auf andere Dinge als nur die Menschenrechte achten! Niemand, selbst ich in meinen großen Zeiten als Verfechter der Menschenrechte, hat jemals behauptet, dass die Menschenrechte das Totum der internationalen Politik darstellen. Das stimmt nicht. Sie sind ein entscheidender Faktor, den wir sehr breit berücksichtigen müssen, auch in der Politik eines Landes, aber die Menschenrechte sind nicht der einzige Faktor. Wenn man Außenminister ist, muss man aus anderen, aus wirtschaftlichen, kulturellen, historischen Gründen mit der größtmöglichen Zahl Länder Beziehungen aufrechterhalten Wenn man Diplomatie betreibt, ich weiß nicht, ob dieses Wort gut gewählt ist, muss man auf jeden Fall die besten Beziehungen für den notwendigen Frieden, die notwendige Entwicklung und die nötigen Menschenrechte unterhalten. Ich träume davon, dass jede unserer Botschaften Frankreichs Möglichkeiten zur Schau stellt, unter der Ägide des Botschafters Ministertreffen stattfinden und ein Hort der Menschenrechte wird.

    Ich habe Sarkozy nie gewählt!

    Birke: Bernard Kouchner, haben Sie es je bereut, Minister bei Sarkozy geworden zu sein?

    Kouchner: Aber natürlich habe ich das schon bedauert einige Male bereut. Und manchmal bereue ich es immer noch ...

    Birke: Wählen Sie das nächste Mal Sarkozy?

    Kouchner: Die Frage stellt sich erst in vier Jahren - dann werde ich Ihnen antworten, aber ich habe Sarkozy nie gewählt! Das ist übrigens auch der Grund, weshalb er mir das sehr großzügige Angebot gemacht hat, Außenminister zu werden. Es hat ihn nicht interessiert, dass ich an seine Sache gebunden wäre, sondern dass es eine Öffnung gäbe. Ich habe zwei Mal für Ségolène Royal gestimmt. Ob das die beste Entscheidung meines Lebens war- Das wird die Geschichte zeigen!