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Kräftiges Wachstum auf der Insel

Es kommt Bewegung in die Wirtschaft Großbritanniens. Ökonomen präsentieren Wachstumsprognosen, von denen die Festland-Europäer nur träumen können. Experten warnen jedoch: Die neue Stabilität sei fragil und könne schnell wieder zerbrechen.

Von Jochen Spengler |
    "Nein, nett war es nicht, sondern ziemlich schrecklich,"

    sagt Marc, Mitte 20, mit großen Zahnlücken. Lange war er arbeitslos - schwer vermittelbar. Seit Kurzem aber hat er einen Job in einer Hähnchenbraterei in Südlondon.

    ""Damals hatte ich vielleicht 70 Pfund in der Woche; jetzt habe ich deutlich mehr und weiß gar nicht genau, was ich mit all dem Geld tun soll. Sparen vielleicht, ins Kino gehen - und Weihnachten steht ja vor der Tür, ich bin sehr glücklich und kann jedem ein hübsches Geschenk machen."

    Die Inflation ist in Großbritannien auf 2,2 Prozent gesunken, die Arbeitslosigkeit auf 2,47 Millionen gefallen, eine Quote von 7,6 Prozent. Mark Carney, Gouverneur der Bank of England, kleidet die guten Nachrichten in folgende Worte:

    "Die Wirtschaft wächst so rasch wie seit sechs Jahren nicht. Es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass Du kein Optimist sein musst, um zu sehen, dass das Glas halb voll ist. Die Erholung hat sich am Ende etabliert."

    Die Notenbank korrigierte ihre Wachstumsprognose nach oben: auf 1,6 Prozent für das laufende Jahr. Finanzminister George Osborne, dessen Sparpolitik, Sozialstreichungen und Schuldenabbau umstritten sind, sieht sich bestätigt:

    "Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Wirtschaft wächst und die Inflation ist unten. Das zeigt, dass unsere Wirtschaftspolitik funktioniert. Natürlich bleiben Risiken, aber das größte Risiko wäre es, unsere Politik zu ändern und zurückzukehren zu den Hopplahopp-Lösungen und der Schuldenmacherei, die Großbritannien überhaupt erst in Schwierigkeiten gebracht hat."

    Im kommenden Jahr erwartet die britische Zentralbank sogar ein Wachstum von 2,8 Prozent. Dagegen muten die Zahlen im Euroraum mickrig an. 1,6 Prozent sollen es in Deutschland sein. Ausgerechnet Großbritannien als Vorbild?

    "Lernen können wir insgesamt schon, dass Strukturreformen sich auszahlen, das müssten wir eigentlich selber wissen, und auch dass eine etwas aggressivere Politik der Zentralbank letztlich in der Rezession Vorteile hat, weil der Aufschwung nach der Rezession dann stärker ausfällt,"

    sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei Berenberg in London. Er hält die Niedrigzinspolitik und den ausgeprägten Staatsanleiheankauf der Bank of England für richtig. Man müsse allerdings berücksichtigen, dass das britische Sozialprodukt immer noch nicht zurück ist auf dem Stand von 2008:

    "Großbritannien ist deutlich später wieder in Gang gekommen als Deutschland, Großbritannien hat jetzt einen gewissen Nachholbedarf, der sich auch in etwas höheren Wachstumsraten niederschlägt. Zum anderen: Das Auf und Ab im Immobilienmarkt, das so ausgeprägt ist in Großbritannien, das wünscht man sich in Deutschland ja nicht. Das macht eine Zeit lang im Aufschwung Freude und dann gibt’s anschließend den Kater."

    Tatsächlich kaufen die Briten dank staatlicher Hypothekengarantien vermehrt Häuser. Doch der Nachfrageschub hat die Preise im letzten Jahr um zehn Prozent angeheizt. Und sollten die Zinsen wieder steigen, könnten die Finanzierungspläne vieler Käufer zusammenbrechen. Zwar versprach Notenbank-Gouverneur Mark Carney, Zinserhöhungen überhaupt erst erwägen zu wollen, wenn die Arbeitslosenquote unter 7 Prozent sinkt:

    "We are not going to even consider to begin raising interest rates until that 7 percent threshold is reached."

    Doch gerade der jetzige Wirtschaftsaufschwung könnte dafür sorgen, dass diese Schwelle viel früher als gedacht schon Ende nächsten Jahres unterschritten wird. Irgendwann könnte dann die Immobilienblase platzen, sagt der Wirtschaftsexperte Professor David Blanchflower, der den Aufschwung als fragil beschreibt:

    "Für ein nachhaltiges Wachstum bedarf es steigender Investitionen - die haben wir nicht. Der Handel müsste wachsen - haben wir nicht. Die Nettolöhne steigen nicht, sie fallen. Die Verbraucher tasten jetzt ihr Erspartes an, weil sie denken, die Hauspreise werden weiter steigen. Deswegen besteht die Gefahr, dass der Boom wieder im Zusammenbruch endet."