Jeder 20. Arbeitnehmer war im vergangenen Jahr wegen eines psychischen Leidens krankgeschrieben, heißt es im Psychoreport, den die Krankenkasse DAK heute vorgestellt hat. Rechnet man die kasseneigenen Daten ihrer Versicherten auf alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hoch, so waren rund 1,9 Millionen Menschen betroffen. Seit 1997 habe sich die Anzahl von Fehltagen, die auf Diagnosen wie Depression oder Anpassungsstörungen zurückzuführen sind – also krankhafte Reaktionen auf belastende Erfahrungen – verdreifacht, sagt Susanne Hildebrandt vom IGES Institut, das die Studie erstellt hat.
"Die psychischen Erkrankungen haben sich von Platz vier auf Platz zwei nach oben gearbeitet und gewinnen nach und nach immer mehr Bedeutung im Arbeitsunfähigkeitsgeschehen."
Spitzenreiter sind nach wie vor Rückenschmerzen und Muskel-Skelett-Erkrankungen. Depressionen waren - je 100 Versicherte - der Grund für 112 Fehltage, 42 Tage gingen auf das Konto von Anpassungsstörungen. Auffällig dabei, sagt Hildebrandt:
"Diesen sehr starken Anstieg, den wir bei den AU-Zahlen sehen, den sehen wir beim Vorkommen der Erkrankung in der Bevölkerung eindeutig nicht. Es gibt kein entsprechendes Mehr an Erkrankungen in der Bevölkerung, wie wir das in den Arbeitsunfähigkeitszahlen sehen."
Männer suchen bei psychischen Problemen seltener Hilfe als Frauen
Frauen sind fast doppelt so oft aufgrund von psychischen Erkrankungen krankgeschrieben wie Männer. Der Grund, erläutert Hans-Peter Unger, Chefarzt am Zentrum für seelische Gesundheit der Asklepsios-Klinik in Hamburg-Harburg:
"Dass Männer nach wie vor psychische Symptome oder Erkrankungen mehr als Schwäche erleben als Frauen und deshalb auch ein schlechteres Hilfesuchverhalten haben im Gesundheitssystem als Frauen."
Der starke Anstieg der psychischen Erkrankungen als Grund für eine Arbeitsunfähigkeit sei nicht allein mit veränderten Bedingungen in der Arbeitswelt zu erklären, sagt Unger, auch wenn bestimmte Branchen wie etwa der medizinische Bereich oder die öffentliche Verwaltung besonders betroffen seien. Die Praxis zeige, dass das Private eine ebenso große Rolle spiele. Hinzu kommt, erklärt Susanne Hildebrant:
"Eine größere Aufgeschlossenheit bei den Patienten, in der Bevölkerung und auch bei den Ärzten, so dass hier im Grund genommen inzwischen auch das teilweise auf dem Krankenschein steht, was da hätte vor Jahren auch schon draufstehen können."
Oft hätten Ärzte früher eher die körperlichen Symptome diagnostiziert, die in der Folge psychischer Krankheiten entstanden seien. Stark rückläufig ist hingegen ein Phänomen, das in den vergangenen Jahren eine sehr prominente Rolle in der öffentlichen Debatte gespielt hat: Burn-out. Auf sein Konto gehen – pro 100 Versicherte – rund fünf Krankentage. Dass diese Diagnose zeitweise massiv angestiegen sei, gehe angesichts der niedrigen Fallzahlen auf einen statistischen Effekt zurück, erklärt Hildebrandt:
"Da hat sich ein Spaßvogel erlaubt, mal den prozentualen Anstieg auszurechnen. Da kommen sie auf eine Steigerung von 1.000 Prozent. Das ist natürlich eine tolle Schlagzeile."
Seit 2011 habe sich die Diagnose fast halbiert. Inzwischen sei Burn-out eher zur Beschreibung eines Risikozustandes geworden, erklärt Unger. Von chronischem Stress verursachte Krankheiten würden heute als Depression oder Anpassungsstörungen erkannt.