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Krawalle in Heidenau
"Für viele Menschen sind diese Fremden eine Bedrohung"

"Es macht mich betroffen, dass Heidenauer bei den fremdenfeindlichen Protesten mitlaufen." Der Bürgermeister der Stadt, Jürgen Opitz, kennt einige der Teilnehmer der teils gewalttätigen Kundgebungen. Der CDU-Politiker sprach im DLF von einer "unheiligen Allianz zwischen Heidenauern und dem Nazi-Tourismus".

Jürgen Opitz im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) auf dem Parkplatz vor dem ehemaligen Praktiker-Baumarkt in seiner Stadt
    Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) wird selbst von Rechtsextremen bedroht. (Picture Alliance / dpa / Oliver Killig)
    Die Proteste hätten am Freitag mit einer Demonstration begonnen, die von Heidenauer NPD-Leuten angemeldet worden sei, erläuterte Opitz. Ein Teil des Demonstrationszuges sei dann zum Asylbewerberheim durchgelaufen und habe sich dort mit jenen Rechtsradikalen vereint, die derzeit einen regelrechten "Nazi-Tourismus" betrieben. Dabei sei auch viel Alkohol im Spiel gewesen.
    Der Bürgermeister beklagte, dass die Kommunen häufig viel zu kurzfristig über die Ankunft von Flüchtlingen informiert würden. Auch Heidenau habe erst kurz vorher davon erfahren. Dies überfordere nicht nur den Bürgermeister, sondern alle. Man habe dann keine Chance mehr, die Menschen rechtzeitig zu informieren. Das sei Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen.
    Opitz: Flüchtlingen geht es gut
    Den Flüchtingen in der Heidenauer Unterkunft geht es nach Opitz' Angaben den Umständen entsprechend gut. Die medizinische Versorgung und jene mit Essen funktioniere. Allerdings bekämen die Flüchtlinge natürlich auch mit, was vor ihrer Unterkunft passiere. Das mache ihre Situation nicht besser.
    Opitz sieht sich auch selbst rechtsextremen Beschimpfungen ausgesetzt. So sei der Demonstrationszug mit Rufen wie "Volksverräter" an seinem Haus vorbeigezogen. In E-Mails tauche auch das Wort "Galgen" auf. Dies mache ihm aber keine Angst, betonte der Bürgermeister. Er sei gewohnt, wie Leute unter Stress reagierten. Vor dem Hintergrund des heutigen Heidenau-Besuchs von SPD-Chef und Vize-Kanzler Sigmar Gabriel begrüßte Opitz Auftritte von Spitzenpolitikern in seiner Stadt. Diese seien hilfreich. Er betrachte sie als Zeichen der Solidarität mit Heidenau, seinen Bürgern und mit ihm selbst.
    Opitz sagte, die Rechtsextremen böten vermeintlich einfache Lösungen für die Sorgen der Menschen. Es sei der Gesellschaft nicht gelungen, die Empathie der Leute so zu lenken, dass sie den Zuzug von Fremden als eine Bereicherung betrachteten.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Es ist dunkel in Heidenau, es ist Nacht. Die Bundesstraße, die durch den Ort führt, wird von Laternen beleuchtet und ein wütender Mob von Rechtsextremen greift nach Steinen und wirft sie grölend in Richtung Polizei. Wer Feuerwerkskörper dabei hat, der feuert sie in dieselbe Richtung. Die Polizisten sind im Hintergrund des Bildes zu erkennen und bewegen sich in Richtung der Rechtsextremen. Das war die Szenerie gewesen in Heidenau vor zwei Tagen, festgehalten in einem Video, das ein Rechtsextremer gefilmt haben soll. Es stand dann eine Weile im Netz, ist dann wieder herausgenommen worden, und ein SPD-Landtagsabgeordneter hat es dann wieder online gestellt. Begründung: Damit solle eine konsequente Strafverfolgung ermöglicht werden.
    Heidenau in Sachsen liegt im Elbtal, im oberen Elbtal. Die Nachbarn heißen im Großen und Ganzen Pirna und Dresden. Heidenau hat etwas mehr als 16.000 Einwohner und hat einen Bürgermeister, der Jürgen Opitz heißt, Mitglied der CDU und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Opitz.
    Opitz: Guten Morgen, Herr Grieß.
    Grieß: Die Rechtsextremen, die Sie schon zwei Nächte lang an diesem Wochenende beschäftigt haben, wo kommen die her?
    Opitz: Die kommen sicherlich auch aus Heidenau, beginnend am Freitag mit einer angemeldeten Demonstration der NPD aus Heidenau, zu der erstaunlicherweise 1000 Leute sich haben hinreißen lassen mitzulaufen. Ein Teil dieser Leute ist dann zum Praktiker-Baumarkt, zum ehemaligen Praktiker-Baumarkt durchgelaufen und dort hat dann eine Vereinigung stattgefunden der Heidenauer Rechtsradikalen mit Rechtsradikalen, die seit Freital, seit Dresden Bremer Straße hier in der Gegend einen Nazi-Tourismus entfaltet haben. Die haben sich dann getroffen und von denen ist dann in einer unheiligen Allianz sozusagen mit den Heidenauer Nazis, aber vor allen Dingen mit viel Alkohol am Freitag diese erste Gewaltwelle ausgebrochen.
    Grieß: Es sind nicht nur auswärtige Neonazis, sondern auch Leute aus Ihrem Ort? Sie kennen sie, Sie kennen diese Leute?
    Opitz: Richtig, ja. Ich kenne diese Leute. Die sind auch teilweise präsent, kommen in die Stadtratssitzungen und stellen seit Monaten provozierende Fragen zu dem Thema Asyl. Wir haben ja etwa 70 Asylbewerber schon in Heidenau zu wohnen seit mehreren Wochen. Also die Leute sind bekannt.
    Grieß: Geschieht das unter Organisation und aktiver Mithilfe der NPD? Ein Mitglied sitzt ja bei Ihnen im Stadtrat.
    Opitz: Richtig. Die NPD meint, die Welt in Heidenau retten zu müssen auf diese Art und Weise, und mobilisiert ihre Anhänger, aber eben auch Bürger, denen man das so auf den ersten Blick gar nicht zutrauen würde, dass die zu solchen Veranstaltungen gehen.
    Grieß: Waren Sie erstaunt? Das hörte ich gerade, glaubte ich rauszuhören, als Sie sagten, dass immerhin 1000 Menschen am Freitag mitgelaufen seien.
    Opitz: Das hat mich schon sehr betroffen gemacht. Das ist richtig, ja.
    Opitz: Die Rechtsextremen bieten einfache Lösungen für die Ängste der Menschen an
    Grieß: Warum laufen die Leute Rechtsextremen hinterher?
    Opitz: Die Rechtsextremen, die bieten einfache Lösungen an. Einfache Lösungen für die Ängste der Menschen vor Fremden, erstaunlicherweise auch vor Gewalt durch Fremde, und umso unverständlicher ist ja, dass sie selber zu Mitteln der Gewalt greifen. Aber offensichtlich ist es der Gesellschaft - und da will ich jetzt nicht sagen der Politik, sondern insgesamt der Gesellschaft - nicht gelungen, die Empathie so zu lenken, dass Fremde als Bereicherung empfunden werden, als Herausforderung unseres Reichtums und unserer Möglichkeiten, Hilfe zu leisten, sondern bei vielen Menschen sind diese Fremden eine Bedrohung, die ihnen möglicherweise etwas wegnehmen, die Konsequenzen für ihr Leben fordern, sie müssten sich umstellen, sie müssten kommunikativer werden, und davor haben viele Leute Angst und diese Angst äußert sich, sagen wir mal, in dem Hinterherrennen dieser Rattenfänger, die ganz einfach in Schwarz und Weiß oder in Braun und Weiß die Welt einteilen, die einen sind gut und die anderen sind schlecht. Das ist doch so furchtbar einfach.
    Grieß: Die sächsischen Behörden haben in der vergangenen Woche sehr rasch entschieden, bei Ihnen eine neue Unterkunft einzurichten, und Ihnen auch sehr kurzfristig nur Bescheid gesagt. Überfordert das den Ort?
    Opitz: Das überfordert jeden Ort. Wir haben in den letzten 25 Jahren gerade auf kommunaler Ebene vieles erreicht, mit den Menschen demokratische Verhaltensweisen einzuüben, ob das bei Straßenbau ist, bei Bebauungsplänen und Ähnlichem, und die Leute sind gewohnt und haben auch das Recht erkannt, dort mitzuwirken. Und wenn dann Dienstag Nachmittag, 14:08 Uhr, ein Anruf der Landesregierung kommt, oder der Landesdirektion in dem Fall, dass sozusagen schon zwei Tage später die ersten Asylbewerber in einen leer stehenden Baumarkt kommen, dann überfordert das nicht nur den Bürgermeister, sondern dann überfordert das alle, die ich natürlich unmittelbar über Pressemitteilung von dem Fakt informiert habe. Aber zugegebenermaßen: Man hat keine Chance mehr zu informieren. Diese Meldung, die trifft jeden wie ein Schlag.
    Nur die Reaktionen sind halt unterschiedlich. Wenn man positiv eingestellt ist, also pro Asyl, sage ich mal, dann begreift man sofort, dass das eine Wahnsinnsherausforderung ist. Wenn man anti Asyl eingestellt ist, dann ist das das Wasser auf die Mühle, das die Mühle ganz schnell drehen lässt, und alle Aktivitäten werden sozusagen aktiviert und man nimmt dann noch Nachbarn mit, die man natürlich von diesem unmöglichen Zustand überzeugt. Die nimmt man dann noch mit. Von daher kann ich den Frust von einigen verstehen. Ich habe auch viele Anrufe, viele Mails bekommen von Leuten, die auch gutwillig sind, die um Gottes Willen überhaupt nicht in den Bereich der Rechtsradikalen zu zählen sind. Die haben gesagt, das kann doch nicht sein, wie kann man so was tun. Da habe ich gesagt, ja, guckt ins Fernsehen, guckt, wie die Flüchtlingsströme auf Deutschland sich zubewegen. Es ist besser, es wird ein Baumarkt gefunden als unsere drei Schulturnhallen.
    Grieß: Dafür, Herr Opitz, bekommen Sie ja jetzt reichlich Besuch. Gestern war der Ministerpräsident da mit einem ganzen Tross, heute kommt der Vizekanzler. Hilft Ihnen das irgendwie?
    Opitz: Es hilft mir, es hilft auch unserer Stadt, weil es ist für die Politiker keine No-go-Area. Das könnte ja auch die Konsequenz sein unter dem Motto, da gehen wir nicht hin, da wird unser Ruf beschädigt, wenn wir uns mit denen gemein machen. Ich fasse das auf als Zeichen der Solidarität auch mit den Heidenauer Bürgern, dass man hier in diese Stadt fährt und sich erkundigt, wie versucht wird, diesen Ruf, der jetzt mit Füßen getreten wird, wieder zu verbessern und uns als familienfreundliche Stadt wieder eine Chance zu geben.
    Opitz: Medizinische Versorgung und Essensversorgung der Flüchtlinge funktioniert
    Grieß: Herr Opitz, können Sie uns sagen, wie es den Flüchtlingen geht?
    Opitz: Ich war natürlich gestern mit, als der Ministerpräsident da war. Ich gehe auch heute mit dem Herrn Gabriel mit in die Flüchtlingsunterkunft. Ich habe einen sehr engen Austausch mit dem Chef des DRK hier in Pirna, der diese Flüchtlingsunterkunft betreut. Es sind jetzt etwa 350 Flüchtlinge dort. Die medizinische Versorgung scheint zu funktionieren. Die Essensversorgung funktioniert auch.
    Grieß: Aber kriegen die Flüchtlinge denn in der Unterkunft mit, was draußen Nachtens vonstattengeht?
    Opitz: Ja, ja. Es sind gerade zur Straße hin große Scheiben. Die können sich auch frei im Gelände bewegen und die kriegen das schon mit. Das macht die Sache natürlich überhaupt nicht besser. Das muss man natürlich sagen.
    Grieß: Herr Opitz, Sie haben von einigen Reaktionen gesprochen, die Sie bekommen von den Bürgern Ihres Ortes. Welche Beschimpfungen müssen Sie ertragen?
    Opitz: Alle.
    Grieß: Wie sehen die aus?
    Opitz: Alles, was geht. Die Demonstration am Freitag ist vor meinem Haus vorbeigezogen. Da waren Rufe mit "Opitz raus" und "Volksverräter". Das wurde von mehreren hundert Kehlen skandiert. Das ist schon ein eigenartiges Gefühl und ich bin heute gerade dabei, die Mails zu sichten. Eine Mitarbeiterin hat mir gesagt, dass das Wort "Galgen" auch darin vorkommt. Das werden wir erst mal sehen.
    Grieß: Ohne "Humor"?
    Opitz: Ja, ja, ohne Humor.
    Grieß: Macht Ihnen das Angst?
    Opitz: Nein!
    Grieß: Woher nehmen Sie diesen geraden Rücken?
    Opitz: Ich muss Ihnen sagen, ich bin seit 25 Jahren hier im Rathaus beschäftigt, in den letzten zweieinhalb Jahren als Bürgermeister. Ich weiß, wie Leute in Stresssituationen reagieren. Ich habe hier in Heidenau zwei große und zwei kleine Hochwasser mitgemacht und auch da drehen die Leute am Rad, wenn sie das Wasser nicht nur im Keller, sondern in der Wohnung haben, und da wird grundsätzlich vom Bürgermeister Unmögliches erwartet. Die Situation ist, was den Stress angeht, vergleichbar, aber die Bedrohung von Menschen ist natürlich unendlich viel schlimmer als die Bedrohung durch Wasser.
    Grieß: Jürgen Opitz haben wir gehört (CDU), Bürgermeister von Heidenau an der Elbe. Herr Opitz, danke schön, dass Sie Zeit hatten heute Früh für uns und unsere Hörer.
    Opitz: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.