Donnerstag, 25. April 2024

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Kresna-Schlucht
Juwel der Artenvielfalt in Bulgarien

Mehr als 3.500 Arten leben in der Kresna-Schlucht in Bulgarien, vom Steinadler bis zur Schildkröte. Die Schlucht gilt auch als bedeutendes Schmetterlingsbiotop. Seit eine Straße durch das Tal führt, werden viele Tiere plattgefahren. Jetzt wird sogar eine Autobahn gebaut.

Von Tom Schimmeck | 09.09.2019
Blick vom Kresna-Tal auf das Pirin-Gebirge in der Abenddämmerung
Abenddämmerung im Kresna-Tal - bald mit Autobahn (Deutschlandradio/ Tom Schimmeck)
Durch die Schlucht schlängelt sich die Europastraße 79, eine zweispurige Landstraße, die zu einer europäischen Hauptverkehrsader aufsteigen soll, die Hamburg mit den Häfen Griechenlands verbindet. Der Verkehr ist im letzten Jahrzehnt enorm angewachsen. Nördlich und südlich der Schlucht ist bereits eine vierspurige Autobahnstrecke fertig gebaut. Nur der Bauabschnitt 3 durch die Kresna-Schlucht, der komplizierteste und teuerste, fehlt noch.
Unablässig braust der Verkehr durch das enge Tal. In einer langgezogenen Kurve liegt eine Art Raststätte, eine Reihe von Restaurants, in denen Fernfahrer und Touristen kurz Pause machen, auf dem Weg nach Griechenland. Oder, Richtung Norden, nach Belgrad, Budapest, Wien, Hamburg.
EU-Schutzgebiet seit 2007
"Ich bin Andrej Kowatschew von der Balkani Wildlife Society. Ich bin Biologe."
Ein kräftiger Mann, Mitte 40. Kowatschew kennt dieses Tal seit 1986 – damals war er Schüler des Mathematikgymnasiums in Sofia. Es war Liebe auf den ersten Blick, sagt er:
"Das gilt nicht nur für mich, sondern auch für andere Kollegen. Hier sind wir zu Biologen geworden. Auch deshalb kämpfen wir dafür, dass dieser Ort erhalten wird: Um etwas davon zurückzugeben, was die Kresna-Schlucht uns gegeben hat."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Bedrohte Kresna-Schlucht.
Wir stapfen den Hang hinauf. Vorbei an Bäumen, Büschen, Sträuchern. Das Kresna-Tal, rund 18 Kilometer lang, gilt als Juwel der Biodiversität: Mehr als 3.500 Arten leben hier, 92 sind von der EU geschützt, darunter der Steinadler, der Gänsegeier, der Tigeriltis, eine Fülle gefährdeter Schildkröten-, Vogel- und Fledermausarten. Die Schlucht gilt als bedeutendes Schmetterlingsbiotop. Seit Bulgariens EU-Beitritt 2007 gehört sie zu den Natura-2000-Schutzgebieten.
"Man sieht es nicht auf den ersten Blick, aber nirgendwo sonst in Bulgarien sind derart viele Tier- und Pflanzenarten versammelt."
Der bulgarische Biologe Andrej Kowatschew zeigt die braunen Blätter einer Flaumeiche in der Kresna-Schlucht
"Zu trocken": Der bulgarische Biologe Andrej Kowatschew zeigt die braunen Blätter einer Flaumeiche in der Kresna-Schlucht (Deutschlandradio/Tom Schimmeck)
"Die Politiker interessiert der Wert des Tals nicht"
Der Biologe zeigt uns Syrischen Christusdorn und Griechischen Wacholder, immergrün, bis zu 20 Meter hoch. Und die Morgenländische Platane, noch größer, ausladender. Sie kann über 1.000 Jahre alt werden. Die gibt es weiter nördlich nicht mehr. Das Tal ist biologisches Grenzgebiet. Am südlichen Ende herrscht mediterranes Klima, im Norden ist es kontinental. Eine Verbindung zwischen Balkan und Mittelmeer. Wölfe, Schakale, selbst Bären nutzen diesen Korridor. Kowatschew blickt auf die braunen Blätter einer Flaumeiche. "Zu trocken", sagt er.
"1997 begann unsere Regierung damit, eine Autobahn zu planen, die unsere Hauptstadt Sofia mit Thessaloniki in Griechenland verbindet. Leider hat es die Ingenieure und die Politiker nicht interessiert, welchen Wert dieses Tal für unsere Gesellschaft hat. Sie haben die Autobahn mittendurch geplant."
Autos brettern durchs Tierparadies
Es ist heiß. Der Forscher holt Wasser aus seinem Rucksack. Wir biegen um eine Ecke, in ein kleines Nebental. Plötzlich hört man unsere Verkehrszivilisation fast gar nicht mehr. Im Schatten der Bäume plätschert ein Bach.
Ende der 1980er-Jahre war hier Sackgasse. Die Region lag am Eisernen Vorhang, der Ost und West trennte. Nicht schön für die Menschen. "Aber ein Tierparadies", sagt Kowatschew mit schrägem Lächeln. Als der Ostblock zerfiel, war der Weg frei. Heute brettern tägliche viele Tausend PKW und LKW auf der Europastraße 79 durch das kurvige Tal. Er und Kollegen sammelten über Jahre die Folgen ein: 2003 etwa zählten sie 3.171 tote Tiere.
375 Amphibien – Kröten und Frösche. 1822 Reptilien – Schlangen, Eidechsen, Schildkröten. 215 Vögel, 759 Säugetiere. Plattgefahren. Manchmal, sagt der Biologe, lief man hier wie durch Matsch. Als er vor drei Jahren mit seinem Kollegen Bojan Petrow, einem in Bulgarien berühmten Bergsteiger, in der Schlucht wieder einmal nach toten Tieren suchte, wurden beide von einem Auto angefahren und schwer verletzt. Kowatschew hat mehrere Operationen hinter sich. Er ist wieder gesund.
"Seit 1997 schlagen wir eine Strecke vor mit kurzen Tunneln und Viadukten, die östlich um das Tal herumläuft."
Ein männlicher Steinadler, aufgenommen am 29.08.2013 im Radebeuler Karl-May-Museum.
Der Steinadler ist eine der geschützten Arten, die in der Kresna-Schlucht Unterschlupf gefunden haben (picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
"2019 wird entscheidend sein für die Zukunft des Tals"
Europa hat kräftig investiert. Die Struma-Autobahn – 174 Kilometer von Sofia bis zur griechischen Grenze – ist fast fertig. Anfangs war geplant, das Tal zu untertunneln, oder doch zumindest weiträumig zu umgehen. Lange beteuerten alle Beteiligten die enorme ökologische Bedeutung der Schlucht. Doch als die ersten Millionen flossen, sagt Kowatschew, vergaßen sowohl die EU-Kommission als auch die bulgarische Regierung ihr Engagement.
"Inzwischen wurden für den Bau der anderen Strecken rund eine Milliarde Euro vergeben. Ich habe das Gefühl, das Jahr 2019 wird entscheidend sein für die Zukunft des Tals. Ob hier gebaut wird oder nicht."
Der Ort Kresna, Heimat von knapp 4.000 Menschen, liegt am Südende der Schlucht, gut 40 Kilometer vor der griechischen Grenze. Das Zentrum: Ein kleiner Marktplatz mit einem Brunnen und ein paar Bänken. Hotel, Rathaus, Polizeistation, eine Handvoll Geschäfte, ein "Business-Center" mit kargem Business. Kresna ist nicht besonders hübsch, nicht alt und auch nicht gerade ruhig. Die Bahnlinie und die E79 gehen mitten hindurch.
Versprochen wurde ein Tunnel
"Ich heiße Georgi Iwanow, war hier Bürgermeister, Vizebürgermeister. Ich hab' erlebt, was hier passierte."
Schlank, grauhaarig, eine Respektsperson. Er sitzt auf dem Europa-Platz, im Schatten eines Baumes. Iwanow sagt: Wir wurden belogen. 2008 wurde uns ein Tunnel versprochen. Das war auch mit der Gemeinde und den Umweltverbänden so abgesprochen. Und galt bis vor vier Jahren. Der neue Plan, entstanden wohl auf Druck der größten Baufirma, sei ruinös für Mensch und Tier.
"Die neue Lokalregierung hat eine Unterschriftenaktion gefälscht und behauptet, die Mehrheit der Gemeinde unterstütze die neue Variante."
Er kenne hier jeden, sagt Iwanow. 90 bis 95 Prozent der Bewohner seien gegen die neue Streckenführung. Doch viele hätten Angst. Etwa, weil sie oder ihre Verwandten einen Job bei der Stadt haben.
"Ich sage ganz klar: Die Bevölkerung hier in Kresna ist nicht gegen die Autobahn an sich, die muss auf jeden Fall kommen. Die Flut von Autos in der Stadt ist ein großes Problem."
Wann erfuhr er von der neuen Planung?
"Als ich einen Brief bekam, in dem mir mitgeteilt wurde, dass mein Land auf der neuen Autobahnroute liegt und ich eingeladen wurde, einen Blick auf die neuen Pläne zu werfen."
Dort, wo sein Wein wächst, soll eine Raststätte entstehen.