Remme: Herr Suliman, hier in Deutschland haben die Fernsehsender Ausschnitte aus dem Video gezeigt, das den Mord an Nick Burke festhält. Haben Sie das Video in voller Länge gesehen?
Suliman: Nein, wir haben auch, genauso wie hier in Europa, also als Al Dschasira, diese Abschnitte gezeigt, die ihn eigentlich lebendig zeigen, die die Gruppe hinter ihm, also im Hintergrund zeigen, aber nie natürlich die Aktion selbst, die Tötungsaktion. Das kann man nicht zeigen, denn hier fragt man sich nach dem publizistischen Sinn und zweitens muss man schon Rücksicht nehmen auf die Gefühle der Angehörigen.
Remme: Und wissen Sie, ob es in der arabischen Welt irgendwo in voller Länge gelaufen ist?
Suliman: Nein, ich glaube nicht, dass es in irgendeiner Fernsehstation in voller Länge gelaufen ist. Das ist nur im Internet, auf dieser komischen Seite gelaufen, wo man diese Bilder entdeckt hat. Aber in Fernsehstationen, da ist es nicht gelaufen, weil es eine Enthauptung eines Menschen ist und auch in der arabischen Welt ist das nicht hinnehmbar, auch nicht als Bild.
Remme: Herr Suliman, anders ist es mit den Bildern aus dem Gefängnis in Bagdad, wo die Misshandlungen irakischer Gefangener offenbar geworden sind. Wie ist Al Dschasira damit umgegangen?
Suliman: Zunächst einmal muss man schon sagen, dass die Entdecker dieser Bilder eher die amerikanischen Fernsehstationen waren und Al Dschasira war in dem Moment Zweitverwerter. Man hat dann angefangen, genauso wie die westlichen Medien Beiträge darüber zu machen, umso mehr Informationen darüber kamen. Irgendwann mal war uns auch das Ausmaß dieses Skandals schon klar geworden. Am Anfang dachte man auch nicht so, dass das das Maß annehmen würde, wie jetzt vorhanden. Und dann hat man angefangen, mit Beiträgen erst mal das ganze zu behandeln, dann hat das weitere Folgen nach sich gezogen, sprich, man musste viel live übertragen aus Washington, also aus dem Pentagon und so weiter, aus dem Kongress. Die Folgen dieser Bilder, die Korrespondenten wurden dann aktiviert in den jeweiligen Ländern, ob das jetzt Großbritannien, Amerika, in den Staaten und so weiter war. Und dann gab es natürlich auf unseren Internetseite den Versuch zur erahnen, wie die arabische öffentliche Meinung darauf reagiert durch Befragungen und so weiter und so fort.
Remme: Und wie hat sie reagiert?
Suliman: Man war also weniger überrascht als mehr schockiert, weil man hat ja nichts Positiveres erwartet von den Amerikanern. Aber doch wiederum nicht in dieser Form, das ist jetzt die eine Sache. Die andere ist dieser Selbsthass, Selbstenttäuschung vielleicht, man ist enttäuscht über sich selbst, dass man so was erleben musste, ohne was machen zu können. Vor allem die arabischen Bürger, also innerhalb aber auch außerhalb des Iraks. Sprich, viele haben dann die arabischen Herrscher beschuldigt, dass sie nichts tun, dass sie Schuld daran sind, dass so was stattfindet, ohne dass so was bestraft wird, weil sie ihr eigenes Volk gar nicht schützen, weil sie auch in ihren eigenen Gefängnissen in den anderen Ländern außerhalb Iraks so was ähnliches haben, weil sie Angst vor Amerika haben. Also es ist schon eine Art Selbstpeitsche gewesen und hat auch die Gemüter sehr berührt, vor allem auch oder auch, weil die Bilder sexuelle Handlungen mehr oder weniger zeigen, sexuelle Erniedrigungen zeigen, die in der arabischen Welt so öffentlich normalerweise nicht gezeigt werden.
Remme: Herr Suliman, wenn in Washington jetzt argumentiert wird, weitere Bilder von Misshandlungen zu veröffentlichen würde lediglich weitere Gewalttaten an Amerikanern im Irak provozieren und deshalb sollten diese Bilder unter Verschluss bleiben. Überzeugt Sie das?
Suliman: Ehrlich gesagt nicht, nein. Denn man kann nicht jetzt eine Kausalität herstellen, nur weil El Kaida in einem Video das so gesagt hat. El Kaida hat mit diesem Video, also mit der Tötung oder Enthauptung der Amerikaner, hat nicht reagiert, sondern hat eher auf einer Reaktion, auf eine Gesamtreaktion der arabischen Welt darauf geritten. Die Atmosphäre war bereit und dann tat man so, als ob man wirklich hier darauf reagiert und zwar direkt eins zu eins. Sie haben Bilder, wir haben auch Bilder, nach dem Motto. Das ist natürlich nicht wirklich so gewesen. Sondern es sind über ein paar hundert tote Amerikaner im Irak gewesen, auch andere Staatsbürger und Geiseln umgebracht worden. Und all das hatte mit den Bildern, die jetzt aufgetaucht sind von Misshandlungen, nichts zu tun. Man kann sich das nicht so eins zu eins erklären. Oder so tun, als ob das so wäre. Nein, aber fraglich ist auch, ob es Sinn hat, die Bilder großartig in den Medien zu bringen, also irgendwo dazwischen muss die Wahrheit liegen, oder muss das Mittelmaß liegen zwischen nur Verschließen auf der einen Seite und auf der anderen Seite die breite Öffentlichkeit.
Remme: Sie haben das gerade noch mal aufgezeigt. Wie diese Terroristen kalkulieren. Sie stellen den Mord als Vergeltung dar, wohl wissend welchen Eindruck die Ereignisse im Gefängnis von Bagdad gemacht haben. Kann dieses Kalkül in der arabischen Welt aufgehen?
Suliman: Ich glaube nicht so einfach, weil, was in den Gefängnissen stattfindet, das hat wirklich die ganze arabische Welt beleidigt und getroffen. Von Marokko bis Kuwait. Im Irak natürlich vor allem auch, weil es ja jetzt um eigene Landsleute geht. Aber, ob man wirklich dann daraus so etwas legitimieren konnte, also El Kaida so einen Mord wie an den Amerikanern, das sei erst mal dahingestellt. Viele Iraker haben das jetzt erlebt in den Fernsehstationen, haben das jetzt in Befragungen gar nicht gut geheißen, das ist auch verständlich, weil ein Amerikaner von einem Zivilisten enthauptet wurde auf diese Art und Weise. Weil das würde auch heißen, dass man die Moral der anderen Seite übernimmt vielleicht oder zum Teil übernimmt oder das Prinzip übernimmt. Schlimm an den Bildern mit den irakischen Gefangenen war nicht, und das ist vielen Irakern klar, dass nicht die Iraker, sondern die Amerikaner die unterdrücken. Sondern das war diese Verletzung von Menschenrechten, die Verletzung von demokratischen Prinzipien, von Rechtsstaatlichkeit, in deren Namen man eigentlich in den Irak einmarschiert ist, das war der Punkt. Und wenn auf der anderen Seite ähnliches passiert oder schlimmeres passiert, dann ist diese Verletzung noch nicht weg.
Remme: Und wenn sie jetzt diese Werte aufzählen, die sie gerade genannt haben, diese westlichen Werte, ist es dann so, dass der Hass durch diese Bilder, der Hass auf die USA gestärkt wurde oder über die USA hinaus?
Suliman: Es ist schon über die USA hinaus aber nicht der Hass, es ist vielmehr die Enttäuschung. Es ist eigentlich ganz einfach. In der arabischen Welt gibt es keine eigenen Entwürfe, keine eigenen Konzepte in den letzten Jahren. Die politische Landschaft ist wirklich sehr sehr sehr pleite und öde. Und dann kommen die Amerikaner mit so einem Anspruch Demokratisierungsprozess, Rechtsstaatlichkeit, Diktaturbeseitigung und so weiter. Die Mehrheit glaubt nicht dran, aber hofft irgendwo innerlich, vielleicht passiert doch was. Und wenn man das dann erlebt, dass in dem gleichen Gefängnis, wo Saddam Hussein die Leute gefoltert hatte, ähnliches passiert auch heute, dann fühlt man sich auch so richtig pleite, Hoffnungslosigkeit bis zum geht nicht mehr, man gibt auf. Und dann automatisch verstärken sich oder werden jetzt bestimmte Tendenzen verstärkt, die sehr rückblickend agieren, sehr nach hinten orientiert sind, ich meine natürlich die Extremisten, die sich auf die Geschichte berufen.
Remme: Ja. Noch ein Blick nach vorne. Das Geschehene kann nun nicht rückgängig gemacht werden. Wie kann dieser Schaden, der entstanden ist, begrenzt werden?
Suliman: Das ist kaum noch zu begrenzen. Das hätte man gleich danach machen können, durch eine direkte Entschuldigung gleich am nächsten Tag, vielleicht politische Verantwortung übernehmen, wenn bestimmte Politiker zurücktreten. Das ist nicht geschehen. Jetzt gilt zuzugeben, dass die Amerikaner zugeben, sie sind nicht in der Lage, auch moralisch nicht in der Lage, etwas zu tun im Irak, ob das jetzt ihren Rückzug bedeutet, das ist natürlich erst mal fraglich. Aber vielmehr eine andere moralische Autorität heranziehen. Das ist die UNO, mit der UNO-Resolution und mit vielleicht Blauhelmen, vielleicht mit anderen Konzepten für den Irak. Das ist Punkt eins. Punkt zwei, die Souveränität, die wirkliche Souveränität an die Iraker abtreten und nicht wie jetzt pro forma und die Heranziehung der Nachbarn vom Irak in irgendeine Lösung. Weil das ist das mindeste was man braucht, um einigermaßen für Ruhe, für Stabilität im Land zu sorgen. Und das ist Voraussetzung dann für Menschenrechte und für Rechtsstaatlichkeit, für Demokratie.
Remme: In wenigen Wochen, am 30. Juni, soll eigentlich die Machtübergabe an eine Übergangsregierung erfolgen. Welche Hoffnung setzen Sie auf dieses Datum?
Suliman: Es ist auf jeden Fall ein erster richtiger Schritt in die richtige Richtung. Nur man muss merken, das ist sehr pro forma, das ist sehr so augenscheinlich und weniger effektiv, als man das so darstellt. Die Souveränität steht wirklich in Anführungsstrichen. Das heißt, die Amerikaner werden nach wie vor das Sagen haben im Lande, die werden auch die Gewalt über ihre Streitkräfte haben und die irakische Regierung ist eher so eine technische, technokratische Regierung, die sich mit Abwässerung und sonstigem befasst, aber weniger mit der politischen Lage und mit der politischen Zukunft des Landes. Sie sollte wirklich viel mehr an Staatsgewalt an Regierungslegitimität an Bewegungsfreiheit bekommen von den Amerikanern, bevor das überhaupt Hoffnung in sich trägt.
Remme: Aktham Suliman war das, der Deutschlandkorrespondent des arabischen Fernsehsenders Al Dschasira. Herr Suliman, Vielen Dank
Suliman: Bitte.