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Krieg in Syrien
"Es fehlt nur noch die Nuklearbombe"

Der Krieg in Syrien gehört zu den führenden Themen auf der Münchener Sicherheitskonferenz. Nach Ansicht von Sadiqu Al-Mousllie, Mitglied des syrischen Nationalrats, müsse jetzt mehr Druck auf das syrische Regime und auf Russland ausgeübt werden. Russland genieße zurzeit die Gunst der Stunde und mache auf dem Boden was es wolle.

Sadiqu Al-Mousllie im Gespräch mit Jasper Barenberg | 11.02.2016
    Der syrische Oppositionsvertreter Sadiqu Al-Mousllie
    Der syrische Oppositionsvertreter Sadiqu Al-Mousllie (dpa / picture-alliance / Stefan Jaitner)
    Jasper Barenberg: Am Telefon begrüße ich Sadiqu Al-Mousllie vom Syrischen Nationalrat. Schönen guten Abend.
    Sadiqu Al-Mousllie: Guten Abend, Herr Barenberg.
    Barenberg: Wir haben gerade erfahren, um was es ungefähr jedenfalls geht, welche drei Punkte im Mittelpunkt der Beratungen stehen: Zugang für humanitäre Hilfe zum einen, Wege hin zu einer Feuerpause, möglicherweise einem Waffenstillstand, und zum dritten, einen Weg zu finden, wie die Gespräche, die Wiener Gespräche unter dem Dach der Vereinten Nationen Ende des Monats weitergehen können. Wie hoffnungsfroh stimmt Sie, über was dort in München gesprochen wird?
    Al-Mousllie: Ich bin sehr vorsichtig mit meinem Optimismus, denn die Lage auf dem Boden spricht eine ganz andere Sprache. In München wird natürlich darüber gesprochen. Bis jetzt haben die keine konkreten Ergebnisse. Man spricht eventuell von so etwas wie einem Durchbruch vielleicht am Samstag, dass man dann doch was erreicht. Allerdings hatten wir das schon in den letzten Tagen und Monaten auch gehabt mit der russischen Führung und es ist immer am Ende gescheitert an den russischen Bomben. Man hat aus Moskau vielleicht in München neue Ideen, aber die Russen schicken dann neue Bomben nach Syrien und neue Raketen leider.
    Barenberg: Weil Sie sagen, neue Ideen, und damit aufgreifen, was aus Moskau zu hören war im Vorfeld des Treffens heute Abend, ist das denn überhaupt eine neue Idee? Denn auf der anderen Seite des Tisches hörte man, dass die Vereinbarung eines Waffenstillstands ja schon zu der Verabredung zählte, die unter anderem die USA und Russland schon vor Wochen, vor Monaten getroffen haben.
    Al-Mousllie: Ja! Wir hatten das ja in der UN-Resolution 2254, die Feuerpause, beziehungsweise auch, dass die Fassbomben gestoppt werden, dass die Belagerung aufgehoben wird, dass Hilfsgüter zu den belagerten Orten reinkommen, dass entführte beziehungsweise verhaftete freigelassen werden, insbesondere Frauen, Kinder, alte Männer. Das alles ist nicht passiert und das Regime kam dann nach Genf letztens und wollte über diese Punkte verhandeln. Das waren der 12. und 13. Punkt der UN-Resolution. Das Problem ist, dass wir hier nicht genug Druck aufbauen, weder auf das syrische Regime, noch auf Russland. Russland genießt zurzeit die Gunst der Stunde, macht was es will auf dem Boden. Die Kräfte werden bombardiert, die oppositionellen Kräfte werden bombardiert und werden geschwächt weiterhin. Wir haben eine immense Zahl von Flüchtlingen, die sich jetzt an der syrisch-türkischen Grenze bewegen. Wir haben über 150 Flüchtlingslager mittlerweile, die sehr schlecht versorgt werden. Dort leben ungefähr 150 bis 200.000 Menschen, die sehr schlecht versorgt sind. Es ist keine gute Lage. Es ist auch keine gute Ausgangslage. Ich bin sehr vorsichtig mit dem, was jetzt auch in München sein wird. Selbst wenn darüber gesprochen wird, ob das wirklich umsetzbar ist - die russische Regierung hat uns gezeigt, dass das nicht der Fall ist.
    "Wir können von einer ethnischen Säuberung sprechen"
    Barenberg: Ist für Sie offensichtlich und steht für Sie fest, dass es das Kalkül Russlands ist, dem eigenen Verbündeten Baschar al-Assad zu einem militärischen Sieg zu verhelfen, gegen die bewaffnete Opposition?
    Al-Mousllie: Auf jeden Fall! Die Lage auf dem Boden zeigt dies und im besten Falle ist es eine Verbesserung der Verhandlungschancen für Baschar al-Assad, dass man sagt, wir haben hier Gebiete, wir können darüber verhandeln, und so setzt man auch die syrische Opposition unter Druck, schwächt man sie auch mit der Zeit. Wir sehen aber auch: Das was jetzt läuft, läuft auch nicht ohne eine passive Haltung der Amerikaner. Die Amerikaner haben bis jetzt maßgeblich mit ihrer Passivität dazu beigetragen, dass die Russen so brutal geworden sind, so massiv vorgegangen sind und Syrien in einer Invasionsmacht sozusagen überfallen, und natürlich der ganze Ort, die ganze Region wird dadurch zu einer sehr instabilen Region. Und wir sehen auch, dass bestimmte Orte bombardiert werden, die eine bestimmte ethnische Zugehörigkeit haben. Das heißt, wir können hier klipp und klar von einer ethnischen Säuberung auch sprechen.
    Barenberg: Sadiqu Al-Mousllie, ich wollte Sie gerade fragen. Sie haben gesagt, die USA und der Westen insgesamt übt nicht genug Druck auf Moskau aus und nicht genug Druck auf Baschar al-Assad in Damaskus. Was meinen Sie, welchen Druck könnte der Westen ausüben?
    Al-Mousllie: Ganz einfach. Wir haben ein Volk, dieses Volk ist gegen die eigene Regierung, eine diktatorische Regierung aufgestanden. Und wir haben eine Opposition, diese Opposition ist nicht gut bewaffnet. Wir sehen jetzt zu seit fünf Jahren. Der Westen kann statt reden endlich mal diese Leute unterstützen auf dem Boden der Tatsachen, die Menschen stärker humanitär unterstützen und auch die moderate Opposition mit bestimmten Mitteln bewaffnen, damit sie sich selbst verteidigen können. Das würde den Druck massiv steigern. Assad würde in Nullkommanichts wieder zurückgedrängt werden, weil die Russen werden das nicht durchhalten können mit diesen Bombardierungen.
    "Es ist ein Bild ohne gleichen, eine Brutalität ohne gleichen"
    Barenberg: Die meisten Beobachter sagen, noch mehr Waffen würde nur dazu führen, dass es noch mehr Gewalt gibt, noch mehr Vertreibung, noch mehr Tote und noch mehr Flüchtlinge.
    Al-Mousllie: Herr Barenberg, was gibt es noch mehr Gewalt? Es fehlt nur noch die Nuklearbombe, die jetzt auf syrischen Gebieten geworfen wird. Mittlerweile werden Gebiete bombardiert, zivile Orte bombardiert. Die Menschen werden zerfetzt. Es ist ein Bild ohne gleichen, eine Brutalität ohne gleichen. Wenn ich Leute bewaffne, dass sie sich zumindest verteidigen können, dann lassen wir die Waffen weg, dann lassen Sie uns bitte eine Flugverbotszone auch machen, wo die Menschen sich zurückziehen können. Nicht mal das ist erlaubt, nicht mal das wird zugelassen, und das ist eine sehr gefährliche Lage. Die wird auf uns auch in Europa irgendwann mal zurückkommen, denn die Flüchtlinge werden weiter kommen, das wird nicht abreißen.
    Barenberg: ... sagt Sadiqu Al-Mousllie vom Syrischen Nationalrat. Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch an diesem Abend.
    Al-Mousllie: Bitte schön, Herr Barenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.