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Kriegsende in Deutschland
"Es war Befreiung und Zerstörung"

Das Kriegsende 1945 sei in Deutschland ein sehr ambivalenter Tag gewesen, sagte der Historiker Michael Stürmer im Deutschlandfunk. Er sei zugleich "Befreiung und Zerstörung" gewesen, denn am 8. Mai sei die Illusion der "one world" zu Ende gegangen.

Michael Stürmer im Gespräch mit Michael Köhler | 03.05.2015
    Michael Stürmer, Historiker, aufgenommen am 03.07.2013 während der ARD-Talksendung "Anne Will".
    Michael Stürmer, Historiker, aufgenommen am 03.07.2013 während der ARD-Talksendung "Anne Will". (Karlheinz Schindler, dpa picture-alliance)
    Der 8. Mai sei auch ein Tag der Stille gewesen, sagte der Historiker Michael Stürmer, der das Kriegsende als kleiner Junge miterlebte, im Deutschlandfunk. "Es gab keine Bomber mehr." Ein Tag, "den auch die Erwachsenen mit einem großen 'Gott sei Dank, es ist zu Ende' erlebten." Erlebt habe man dennoch einen sehr doppeldeutigen Tag: Auf der einen Seite das Kriegsende und die Befreiung, auf der anderen Seite zerstörte Städte und zerstörte Moral. "Selbst das Geistige war zerstört".
    "Die Deutschen haben jeden Grund, dankbar zu sein, dass Hitler sich umbrachte und dass das deutsche Reich zerschlagen war", sagte Stürmer. "Aber gleichzeitig hat das so ungeheure Opfer gekostet, nicht nur auf alliierter Seite, sondern auch auf deutscher Seite." Das sei auch das Dilemma der Widerstandsbewegung gewesen. "Man konnte Deutschland nur retten, wenn man die Niederlage wollte."
    Nach Kriegsende sei ein schuldiges Schweigen spürbar gewesen, "ein Staunen darüber, was möglich war, was man vor sich selber aber nicht zugeben wollte", sagte Stürmer. Die Verfolgung der Juden sei zwar unübersehbar gewesen, "der Massenmord an Millionen wurde aber versteckt".
    "Mit dem Kriegsende gab es in Mitteleuropa plötzlich kein Machtzentrum mehr, Mitteleuropa wurde gespalten", sagte Stürmer. Mit dem 8. Mai sei eine große Illusion zu Ende gegangen, die Illusion der "one world".
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