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"Kriegserklärung an den Sozialstaat"

Dirk Müller: Mit der Union sind wir jetzt verbunden, nämlich genau mit Herman-Josef Arentz, Chef der CDU Sozialausschüsse. Guten Tag.

Moderation: Dirk Müller |
    Hermann-Josef Arentz: Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Arentz, klare Worte der Union fehlen, sagt der DGB-Chef. Wohin geht denn die Reise?

    Arentz: Ich glaube nicht, dass da klare Worte fehlen, denn das, was Herr Rogowski da gesagt hat, ist ja eine Kriegserklärung an den Sozialstaat und an 100 Jahre deutsche Sozialgeschichte. Niemand hat diese Sozialgeschichte in Deutschland stärker geprägt als christliche Demokraten und in der Weimarer Republik Politiker aus der Zentrumspartei. Wer, wie Rogowski, sagt, die Arbeitnehmer sollen mal die soziale Sicherheit alleine bezahlen, der hat offensichtlich noch nicht einmal das Grundgesetz gelesen, denn im Grundgesetz steht, dass Eigentum sozialpflichtig ist und dass Deutschland ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat ist. Offensichtlich ist es wirklich so und das finde ich ganz schlimm, dass Leute wie Rogowski glauben, dass durch die langanhaltende Arbeitslosigkeit vieler Millionen Menschen die Arbeitnehmer und die Öffentlichkeit inzwischen so weich gekocht sind, dass sie jetzt alles abräumen können, was in 100 Jahren geschafft worden ist und was erheblich zur Stabilität, zur sozialen Stabilität, zum Frieden und zum Fortschritt in Deutschland beigetragen hat. Da kann man nur sagen, da ist härtester Widerstand notwendig.

    Müller: Das hört sich ja fast so an, als sei das perfide, was Herr Rogowski nun fordert.

    Arentz: Es ist zumindest, na perfide, weiß ich noch nicht mal, ob es der richtige Begriff ist, aber ich finde es ist schon eine Ungeheuerlichkeit, was Rogowski da vorgetragen hat. Man kann sicherlich über Reformen im Detail reden, das muss man auch, das tun wir ja auch innerhalb der Union. Aber wer das in der Art und Weise macht, wie Rogowski das vorträgt, der stärkt alle diejenigen, die jede, auch sinnvolle Reform verweigern, weil das den Menschen nur noch Angst macht, was da vorgetragen wird. Stellen Sie sich wirklich einmal in Praxis vor, die Arbeitgeber würden sagen, wir steigen aus der sozialen Sicherung, aus der Mitfinanzierung der sozialen Sicherung aus. Das wäre auf einen Schlag eine Verringerung der verfügbaren Arbeitnehmereinkommen um über 20 Prozent, das ist abenteuerlich, was da vorgetragen wird.

    Müller: Das heißt, Sie haben das ja mal durchkalkuliert und durchgerechnet, wenn das wegfallen würde, der Arbeitgeberanteil, der Arbeitgeberbetrag. Dann wäre das definitiv, ganz gleich ob man steuerlich noch flankiert, ja oder nein, wäre das definitiv ein Verlust für den Arbeitnehmer?

    Arentz: Wenn der Arbeitgeberanteil ersatzlos wegfällt und nur darauf kann ja die Forderung von Rogowski hinauslaufen, dann ist das eine Einkommensminderung für alle Arbeitnehmer um 21 Prozent.

    Müller: Nun gibt es ja auch Stimmen, auch aus dem Arbeitnehmerlager, beispielsweise auch aus dem sozialdemokratischen Lager, auch aus ihrer Partei selbstverständlich, die sagen, die Eigeninitiative und die Eigenverantwortung, die muss gestärkt werden. Könnte man nicht über eine neue, prozentuale Verteilung der Mitfinanzierung reden?

    Arentz: Nein. Die Stärkung der Eigenverantwortung kann ja nicht den Zweck haben, die finanziellen Lasten auf die Arbeitnehmer abzuschieben, das ist ja ein perverses Verständnis von Eigenverantwortung. Eigenverantwortung muss da ansetzten, wo der einzelne Steuerungsmöglichkeiten hat, beispielsweise im Gesundheitswesen durch eine sparsame Inanspruchnahme von Leistungen oder durch die Förderung von Prävention und gesundem Lebensstil, damit weniger Kosten entstehen. Das ist wirklich klassische Eigenverantwortung.

    Müller: Wird er dafür belohnt, wenn er das tut, was Sie jetzt sagen? Gesundheitlich verantwortungsbewusst leben.

    Arentz: Im heutigen System nicht und deswegen sind Reformen notwendig, aber auch auf der Gestaltung der Leistungsseite.

    Müller: Herr Arentz, die Union hat doch den Gesundheitskompromiss mitgetragen. Wo ist den hier das Belohnungs-, das Anreizsystem?

    Arentz: Der Gesundheitskompromiss war nichts anderes als einen lichterloh brennenden Dachstuhl zu löschen, damit das Gebäude nicht insgesamt zusammenbricht. Denn wir hatten immer mehr den Trend zur Zwei-Klassen-Medizin und immer weitersteigende Beiträge. Das war eine Notoperation am offenen Herzen, aber noch nicht die Reform, die nach unserer Auffassung notwendig ist, um das System mittel- und langfristig in Ordnung zu bringen.

    Müller: Zur Eigenverantwortung zählen Sie dann auch, wenn jemand 20 Jahre relativ hohe Beiträge in die Sozialversicherung einzahlt, dann zwei Jahre arbeitslos ist, mit Hartz IV konfrontiert wird. Hat der einen Anreiz, das alles so zu machen, wie der Staat das vorgibt?

    Arentz: Das hat nun mit der Krankenversicherung überhaupt nichts zu tun und das wissen Sie selber auch ganz genau.

    Müller: Arbeitslosenversicherung.

    Arentz: Sie vergleichen Äpfel mit Birnen fröhlich. Tatsache ist, dass in der Arbeitslosenversicherung nach meiner Auffassung noch einmal neu darüber nachgedacht werden muss, ob die generelle Verkürzung des Arbeitslosengeldes auf zwölf Monate, unabhängig davon, wie lange jemand eingezahlt hat, vor dem Hintergrund von Hartz IV noch Bestand haben kann. Da gibt es in der Union sehr, sehr viele, die darüber nachdenken und sagen, wenn der Satz, "Leistung soll sich wieder lohnen.", richtig ist, dann müssen diejenigen, die lange eingezahlt haben, bessergestellt werden als diejenigen, die nur ein oder zwei oder drei Jahre eingezahlt haben.

    Müller: Herr Arentz, Sie führen ja auch viele Gespräche in Ihrer politischen, aber auch in der persönlichen, privaten Umgebung. Wenn Sie mit der jüngeren Generation konfrontiert sind, die ja nun sehr viele Fragen hat bezüglich Alterssicherung et cetera, wie kann man denen noch überzeugend beibringen, beziehungsweise die davon überzeugen, dass das Solidarprinzip bei uns noch Bestand hat und dass sich das lohnt für dieses Solidarprinzip auch politisch einzustehen und auch finanziell?

    Arentz: Das kann man, wenn man die Karten offen auf den Tisch legt und sagt, dass vor dem Hintergrund der zahlenmäßigen Entwicklung der erwerbstätigen Generation und der Rentnergeneration in den nächsten dreißig oder vierzig Jahren die umlagefinanzierte, gesetzliche Rentenversicherung sicherlich nicht mehr in der heutigen Höhe leisten wird, weil sonst die Beitragszahler überfordert werden, aber dass sie immer noch das wichtigste Standbein der Altersicherung bleibt. Wenn Sie einmal sehen, wie rein kapitalbasierte Versicherungssysteme kollabieren, zusammenbrechen, wie in Chile, wie in England, wie in den Vereinigten Staaten die Pension Fonds, dann ist das ein klarer Beleg dafür, dass wir klug damit beraten sind, in einer Mischung von Umlageverfahren in der gesetzlichen Rente und Kapitalbildung als betriebliche Altersvorsorge oder als private Vorsorge, die eigenen Zukunft zu gestalten. Die Alterssicherung der Zukunft kann nicht mehr nur auf einem Bein stehen, auf der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern sie muss auf drei Beinen stehen.

    Müller: Deswegen bezahlt die jüngere Generation wie die anderen auch fast 20 Prozent Rentenbeitrag und soll davon dann auch noch, von dem Geld, was sonst übrigbleibt, noch privat finanzieren?

    Arentz: Es wird daran überhaupt kein Weg vorbeiführen. Im Übrigen darf ich Sie mal darauf hinweisen, dass die Rentenbeiträge zwischen 17,5 und 20 Prozent jetzt seit 20 Jahren sind. Das ist überhaupt nichts Neues. Nur ist die Wahrheit, dass wir in 30 oder 40 Jahren aufgrund der Tatsache, dass immer weniger Deutsche Kinder kriegen, "Ja" zu Kindern sagen, wir in 30 oder 40 Jahren nicht mehr wie heute zweieinhalb Erwerbstätige auf einen Rentner haben werden, sondern einen, bis anderthalb Erwerbstätige auf einen Rentner. Dann werden entweder die Beitragszahler überfordert, was keiner verantworten kann, oder aber die zukünftigen Rentner. Die heute jungen Leute müssen gucken, dass sie neben den Rentenbeiträgen, private Vorsorge machen. Das gehört allerdings zur Verantwortung der Politik, ehrlich zu sein an dieser Stelle und den Leuten nicht eine Welt vorzugaukeln, die es so nicht geben kann.

    Müller: Hermann-Josef Arentz war das, Chef der CDU-Sozialausschüsse.