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Kriegsfolgen Ukraine
Flucht im eigenen Land

Vor dem Krieg in der Ost-Ukraine sind Tausende Menschen geflohen - wie viele es tatsächlich sind, weiß niemand ganz genau. In Russland, aber vor allem auch in anderen Teilen der Ukraine versuchen viele, sich ein neues Leben aufzubauen.

Von Sabine Adler | 25.06.2014
    Ostukrainer aus Slawjansk stehen in einem Flur eines Flüchtlingslagers
    Ost-Ukrainer aus Slawjansk stehen in einem Flur eines Flüchtlingslagers (AFP/Daniel Mihailescu)
    Ein schlechtes Zeugnis stellen die Hilfsorganisationen vielen ukrainischen Behörden aus. Die eine schiebt der anderen die Betreuung der Flüchtlinge zu. Wer die gefährliche Ausreise aus der Kriegsregion im Osten geschafft hat, bleibt oft sich selbst überlassen, sofern er nicht an freiwillige Helfer gerät. Aus der Ost-Ukraine fliehen noch viel mehr als von der Krim, sagt Maksim Butkowitsch von der Hilfsorganisation "no borders".
    "Es haben mehr Menschen den Osten verlassen als die Krim. Also rund 40.000. Die Schätzungen gehen von 50 bis 70.000 aus. Nach Russland fliehen die, die dort Verwandte haben, aber das sind einige Hundert oder Tausend, nicht Zehntausende wie innerhalb der Ukraine."
    Die Arbeit in den Großstädten lockt
    Die meisten Flüchtlinge strömen in die Nachbarregionen von Lugansk und Donezk, also nach Dneprpetrows und Charkiw sowie in die Hauptstadt Kiew und nach Lemberg, den in den Großstädten gibt es noch am ehesten Arbeit. Ihnen steht laut Gesetz kostenloser Wohnraum und Hilfe bei der Arbeitssuche zu, was nicht funktioniert, sagt Julia Krasilnikowa von der Hilfsorganisation "Wostok SOS", dabei sind so viele auf die Unterstützung angewiesen. Sie selbst musste Lugansk verlassen.
    "Vor einem Monat flohen die ersten. Hauptsächlich Journalisten und pro-ukrainische Aktivisten, denn wir wurden verfolgt, angegriffen, verschleppt, in Geiselhaft gehalten. Jetzt ist die Situation schwieriger, denn es kommen massenhaft Flüchtlinge, unpolitische Leute, die jetzt alles zurücklassen müssen."
    Olga Skripkin, 27 Jahre alt, floh aus Jalta. Die Menschenrechtlerin hatte sich der Maidan-Bewegung angeschlossen. Für sie wurde es im Februar gefährlich, man drohte, sie von der Humanitären Universität der Krim zu werfen, weil sie mit Studenten an einem Meeting teilnahm.
    "Als die russischen Streitkräfte die Krim annektierten, sammelten wir Material, wo genau sie sich aufhielten, informierten darüber unsere ukrainische Armee. Wir baten die Bürger um Mithilfe, sammelten, Geld, Medikamente, Lebensmittel für unsere Soldaten. Der russische Geheimdienst FSB und die sogenannte prorussische Landwehr beobachteten uns und als am 15. März die Kaserne, die wir unterstützt hatten, von den Russen eingenommen wurde, verstanden wir, dass es Zeit wird, sofort zu gehen. Der sicherste Tag die Krim zu verlassen, schien uns der 16. März, der Tag des Referendums."
    Denn dann würde die Volksabstimmung alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie rät, sich den Fluchtweg genau überlegen. Autos werden an den Straßensperren der Separatisten oft konfisziert, Züge fahren nicht von jedem Ort, auf dem Bahnhof von Lugansk drängen sich die Reisenden, sagt sie. Die Bahn hängte vorige Woche zusätzliche Waggons an die Züge.
    "Die Leute haben Angst, was aus ihren Wohnungen wird"
    Dass Olgas Flucht richtig war, bestätigte die Festnahme zweier Aktivisten, die geblieben sind. Sie werden in Moskau wegen angeblicher terroristischer Tätigkeit angeklagt, von drei weiteren fehlt jede Spur. Zusammen mit ihrem Mann bietet jetzt sie in einer Kiewer Organisation Flüchtlingen aus der Ostukraine kostenlose juristische Hilfe an. Und sie sammeln Informationen, wenn sich jemand den von den Flüchtlingen zurückgelassenen Besitz unrechtmäßig aneignet hat.
    "Die Leute haben Angst, was aus ihren Wohnungen wird, wenn allzu sichtbar ist, dass sie fort sind. Das gilt für die Ostukraine ebenso wie für die Krim. Dort sorgen sich zudem Unternehmer was aus ihren Firmen wird, wenn die Krim in eine Sonderwirtschaftszone verwandelt wird. Wir befürchten die Konfiszierung des Eigentums, vor allem wenn es um Einrichtungen der Infrastruktur geht."
    Olga Skripkin ließ auf der Krim, im Badeort Jalta ihre Wohnung zurück, auf die glücklicherweise Verwandte aufpassen.