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"Kriegssplitter" von Herfried Münkler
Was bedeutet Krieg in unserer Zeit?

Die Krise in der Ukraine und die Anspannungen im Nahen Osten sind auch Bedrohungen für Europa. Die Angst vor einem großen Krieg ist zurückgekehrt. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat sich in seinem neuen Buch "Kriegssplitter" mit der Frage beschäftigt, wie sich Kriege im Laufe der Zeit bis heute verändert hat.

Herfried Münkler im Gespräch mit Thilo Kößler | 19.10.2015
    Afghanische Sicherheitskräfte versuchen die Lage in Afghanistan in den Griff zu bekommen.
    Wie haben sich Kriege im Laufe der Zeit verändert? (dpa / picture alliance / Ghulamullah Habibi)
    Thilo Kößler: Sie schildern die Evolution der Kriege, schlagen einen großen historischen Bogen in Ihrem Buch, nämlich vom Ersten Weltkrieg, dem großen Krieg, über den Zweiten Weltkrieg, beide zusammen – es gibt diese These – kann man zusammennehmen als einen neuen 30-jährigen Krieg, bis hin zu den asymmetrischen Kriegen, den hybriden Kriegen unserer Jetztzeit. In diesem Kontext führen Sie einen Begriff ein, der möglicherweise der Schlüsselbegriff in Ihrem Buch und in Ihrer Analyse ist, das ist der Begriff von der heroischen Gesellschaft und der postheroischen Gesellschaft. Wo ist der Unterschied, bzw. woran bemessen Sie ihn?
    Herfried Münkler: Postheroische Gesellschaft ist mehr als unheroische Gesellschaft. Postheroische Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die sich erinnert daran, dass sie mal heroisch war, dass sie heroische Kriege – oder was sie dafür gehalten hat - geführt hat und die die Verabschiedung davon als einen Lernprozess beschreibt. "Wir haben gelernt", sich sozusagen bewusst abgrenzen von ihrer Vergangenheit. Das unterscheidet postheroische Gesellschaften von unheroischen Gesellschaften, die es in der Geschichte der Menschheit in der Regel gegeben hat. Und diese Gesellschaften in Europa ruinieren sich gegenseitig 1914. Mit dieser Fähigkeit der Mobilisierung bis tief hinein in Kreise, die sich vorher für pazifistisch gehalten haben – die deutsche Sozialdemokratie zieht ja durchaus auch in den Krieg und die französischen Sozialisten auch und die britischen Labour-Leute auch...
    Thilo Kößler: Aber der Zweite Weltkrieg hat ja auch mobilisiert?
    Herfried Münkler: Der Zweite Weltkrieg, was die Deutschen anbetrifft, ist der Krieg einer heroischen Gemeinschaft. Der Nationalsozialismus ist der Versuch der systematischen Transformation einer Gesellschaft in die Gemeinschaft. Und da kann man sagen, o.k. es gibt da vier Kandidaten, die heroische Gemeinschaften ins Gefecht geführt haben: das sind die Italiener, Mussolini, das ist der Nationalsozialismus, das ist das kaiserliche Japan und das ist der Bolschewismus. Und wenn wir diesen Gruppierungen nun die westlichen Staaten gegenüberhalten, kann man sagen, die Franzosen kämpfen nicht mehr, kapitulieren im Prinzip relativ früh, die Briten führen den Kampf über die Luftflotte – Das ist die Veränderung gewesen.
    Thilo Kößler: Ich will noch einmal auf den Begriff des Postheroismus zu sprechen kommen: Sind offene, demokratische Gesellschaften, die allesamt postheroische Gesellschaften sind, deshalb so anfällig für das Phänomen des Terrorismus - von welcher Seite er auch kommen mag - , weil es eben dieses Moment der Sammlung, von dem Sie sprechen, nicht mehr gibt?
    Herfried Münkler: In gewisser Hinsicht. Terrorismus ist dadurch definiert, dass er nicht die ausdifferenzierte heroische Gemeinschaft, die diese Gesellschaften ja haben, angreift sondern, durchaus schlau wie die Jungs sind sagen: mit denen legen wir uns nicht an, wir umgehen sie, wie schnappen die postheroische Gesellschaft an ihrer labilen Kollektiv-Psyche. Das heißt, die andere Seite hat gelernt, wo die Verwundbarkeit, die zentrale Verwundbarkeit postheroischer Gesellschaften sind. Natürlich sind die postheroischen Gesellschaften zunächst einmal nicht wehrlos. Die ersetzen eben Manpower eigentlich durch Equipment. Da können wir jetzt über die Drohnen reden oder über die Kampfbomber oder was auch immer. Sie sind durchaus in der Lage, Blut zu sparen.
    Thilo Kößler: Sie sagen: im Grunde ist die Drohne die logische Konsequenz aus der terroristischen Bedrohung. (Ja) Es ist die technische Aufrüstung (Ja), um etwas gegen die terroristische Bedrohung zu tun? (Ja) Ist das nicht schon im Grunde der Gedanke: Wir befinden uns in einer Phase der permanenten Aufrüstung mitten in einer Gewaltspirale?
    Herfried Münkler: Vielleicht nicht in einer Gewaltspirale aber in einer Art der Gewaltanwendung, in der die klassische Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden an Bedeutung verloren hat. Also der Krieg mit Drohnen ist eine Form der Kriegführung, die eigentlich gar nicht sagt: "ich bin Krieg" sondern, die sozusagen tagtäglich stattfindet und: "stell Dir vor, es merkt keiner". Das ist natürlich auch in der Hinsicht die typische Weise für postheroische Gesellschaften, weil die gar nicht den Erregungszustand: "Es ist Krieg" auf diese Weise mitbekommen sondern: "Na ja die Amis fliegen halt mit ihren Drohnen da rum und machen mal hier was und machen mal da was" und eigentlich wissen wir das gar nicht und, bei Lichte betrachtet, eigentlich wollen wir´s auch gar nicht wissen. Das heißt an den alten Modus, den binären Modus: entweder Krieg oder Frieden und dazwischen gibt´s kein Drittes, tritt eine neue Form von Gewaltanwendung, die irgendwo im Scharnier zwischen Krieg und Frieden angesiedelt ist. Im Nato-Jargon gibt es dafür, ich glaube seit 2007, den Begriff "hybrider Krieg"
    Thilo Kößler: Deshalb die Frage: Ist der Antiterror-Kampf nicht eine Wertefalle für die demokratischen westlichen Gesellschaften?
    Herfried Münkler: Andersrum: Wir müssen uns überlegen, wie wir, weil wir nun mal postheroische Gesellschaften sind und aus unserer Haut nicht raus kommen und nicht sagen können, o.k., wir werden jetzt mal 50.000 Soldaten in Afghanistan über einen Zeitraum von 20 oder 30 Jahren stationieren, um den Laden dort in den Griff zu bekommen, müssen wir uns also gewissermaßen... ich würde mal sagen: die Drohnen sind der Rollator der postheroischen Gesellschaft, ja, müssen wir uns damit abfinden. Aber natürlich heißt es: dem muss man Regeln geben, um nicht in die Wertefalle hinein zu kommen, die Sie angesprochen haben. Man muss das kontrollieren können.
    Thilo Kößler: Aber Herr Münkler, Guantanamo, Abu Ghraib, die Folter, die Drohnen, das anonymisierte Töten. Ist das nicht der Offenbarungseid des demokratischen Rechtsstaates, der damit in die Falle geht?
    Herfried Münkler: Ich würde sagen, das ist der Offenbarungseid der postheroischen Gesellschaft, die versucht Krieg in eine Polizeiaktion zu verwandeln. Das heißt, dann dass ich den Anderen nicht als Duellpartner mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten und derlei mehr begreife, sondern als einen hinterhältigen, gemeinen Friedensbrecher, als Verbrecher. Und, das noch mal zu reflektieren und zu sagen: o.k. das ist wohl so, aber wir sollten uns davon frei halten, diese furchtbaren Lager zu errichten, ohne dass wir die Konsequenz daraus ziehen, die die Amerikaner gezogen haben, denn die heißt: keine Gefangenen mehr. Dann hat mein kein Guantanamo, dann hat man auch kein Abu Ghraib, weil, man hat ja keine Gefangenen mehr. Und das ist sozusagen die Logik der Drohne.
    Thilo Kößler: Wie gehen wir damit um?
    Herfried Münkler: Darüber nachzudenken, Herr Kößler, ich weiß jetzt auch nicht, wie man das alles macht. Ich bin Politikwissenschaftler. Mein Job besteht eigentlich darin, die Probleme offen zu legen, die Problemen zu beschreiben. Aber, wenn ich schon alle Antworten hätte, dann wäre das ja fast schon eine platonische intellektuelle Diktatur.