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BDI warnt vor Sanktionen gegen Russland

Wirtschaftssanktionen würden sowohl Russland als auch Deutschland empfindlich stören, sagte Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, im DLF. Auf der anderen Seite gebe es das Völkerrecht - und das sei nicht verhandelbar. Er vertraue vollständig der Bundeskanzlerin.

14.03.2014
    Christoph Heinemann: Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft mit der Bundeskanzlerin heute. Angela Merkel trifft heute die Präsidenten der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, des BDI, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und den Handwerkschef. Die Unternehmen dieser vier Verbände bilden das Rückgrat der deutschen Wirtschaft.
    Am Telefon ist Ulrich Grillo, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Guten Morgen!
    Ulrich Grillo: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Grillo, rechnen Sie mit einem Wirtschaftskrieg?
    Grillo: Wirtschaftssanktionen sind Sache der Politik
    Grillo: Herr Heinemann, das Wort "Krieg" sollten wir eigentlich vermeiden. Vielleicht reden wir über "Wirtschaftssanktionen". Natürlich haben wir erhebliche Wirtschaftsbeziehungen, fast 80 Milliarden mit Russland, fast 80 Milliarden Euro. Wirtschaftssanktionen würden beide Seiten empfindlich stören. Auf der anderen Seite gibt es das Völkerrecht und das Völkerrecht ist nicht verhandelbar. Das steht über allem. Insofern muss man das sorgfältig abwägen. Die Wirtschaft selbst sollte aber meines Erachtens nicht öffentlich über Wirtschaftssanktionen, über Maßnahmen diskutieren. Das ist eine Frage der Politik, und da vertraue ich vollständig der Bundeskanzlerin und unserem Außenminister.
    Heinemann: Herr Grillo, Deutschland bezieht aus Russland mehr, als es dorthin exportiert. Das ist eines der wenigen Länder, wo wir eine negative Handelsbilanz haben. 36 Milliarden gehen nach Russland, etwa 40 Milliarden beziehen wir von da, vor allen Dingen natürlich Energie. Wer sitzt denn am längeren Hebel?
    Grillo: Das sollte man gar nicht diskutieren. Wir brauchen natürlich Energie, wir haben aber auch andere Quellen, wo wir uns versorgen können. Unsere Waren sind sicherlich wichtig für Russland. Noch mal: Es würde beide Seiten schädigen. Wir sollten versuchen, zu deeskalieren. Wir sollten versuchen, noch einen Dialog zu betreiben. Hoffentlich gibt es noch, meines Erachtens gibt es noch ein Zeitfenster für eine diplomatische Lösung. Aber wie gesagt: Das ist die Frage der Politik und da ist sicherlich die Bundeskanzlerin auf einem vernünftigen Weg.
    Heinemann: Ist Deutschland zu sehr von russischen Gaslieferungen abhängig, wie das der polnische Ministerpräsident Tusk jetzt gesagt hat?
    Grillo: Nein, wir sind nicht zu sehr abhängig. Russland ist ein vernünftiger Handelspartner in der Vergangenheit gewesen und natürlich haben wir eine gewisse Abhängigkeit. Aber ich bin der festen Überzeugung, wir sind nicht erpressbar. Wir könnten auch diversifizieren, wir könnten auch andere Lieferquellen ausbauen. Insofern sehe ich das als ganz normalen Wirtschaftsverkehr, der natürlich im Moment etwas in der Diskussion ist.
    Heinemann: Ist diese "gewisse Abhängigkeit", von der Sie gesprochen haben, von russischem Gas nicht ein weiteres gutes Argument für die Energiewende in Deutschland?
    Grillo: Ja, das würde ich unabhängig davon sehen. Die Energiewende ist ja ein anderes Thema. Wir werden, auch wenn wir die Energiewende erfolgreich bewältigen, nach wie vor fossile Energie erzeugen, das heißt, auch Gaserzeugung haben müssen. Insofern brauchen wir auch weiterhin Gas. Insgesamt ist aber natürlich die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende für Deutschland immanent wichtig.
    Heinemann: Kurt Bock, der Vorstandsvorsitzende des Chemiekonzerns BASF, hat gesagt, ausländische Unternehmer äußerten sich nur mitleidvoll und spöttisch über die deutsche Energiewende. Werden Sie auch bemitleidet und verspottet?
    Grillo: Nein. Ich würde sagen, sie äußern sich interessiert. Wir kriegen natürlich im BDI viel Besuch von internationalen Gästen. Das Thema Energiewende ist Thema Nummer eins. Man fragt sehr interessiert, was macht ihr denn da.
    Heinemann: Was antworten Sie?
    Grillo: Man traut den Deutschen ja viel zu. Ich sage, wir stellen unsere Energiewende um, wir kämpfen, wir haben da einen klaren Beschluss gefällt, wir stehen auch dahinter und müssen ihn jetzt zielführend umsetzen, und das ist sehr schwierig.
    Heinemann: Was ist da schwierig?
    Grillo: Das ist schwierig, dass man natürlich die Kosten in Grenzen hält, dass die Industrie, die ein Wahrzeichen des deutschen Standortes ist, dass man die Industrie erhält, dass man die Arbeitsplätze erhält und trotzdem die Ziele ausbaut, das heißt den Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung, die Reduzierung der fossilen Energieerzeugung, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes erhält und damit die Bezahlbarkeit der Energie für den privaten Verbraucher und für die Industrie erhält.
    Heinemann: Und stimmt der energiepolitische Kurs der Regierung?
    Grillo: Das werden wir sehen! Wir sind ja in den intensiven Gesprächen gerade mit dem Wirtschaftsministerium über die Neufassung des EEG im Rahmen auch des Brüsseler Beihilfeverfahrens. Es ist sicherlich positiv zu sehen, dass der Wirtschaftsminister dieses Thema als erstes Thema sofort aufgegriffen hat. Aber im Detail gibt es natürlich bei den Themen Versorgungssicherheit, bei den Themen Bezahlbarkeit und insbesondere auch bei den Verhandlungen mit Brüssel noch erhebliche Hürden.
    "Es geht darum, dass wir weiterhin wettbewerbsfähige Strompreise haben"
    Heinemann: Thema Bezahlbarkeit. Welches Detail?
    Grillo: Bezahlbarkeit ist natürlich insbesondere die Bezahlbarkeit des Stroms für die Industrie. Die Industrie, die im internationalen Wettbewerb steht, hat in Deutschland wesentlich höhere Strompreise als in anderen Ländern. Deswegen wird sie teilweise von den Abgaben des EEG-Gesetzes entlastet. Das bemängelt Brüssel, das bemängelt der Wettbewerbskommissar Almunia. Da müssen Lösungen gefunden werden. Dafür kämpft auch das Wirtschaftsministerium, dafür kämpft Herr Gabriel mit Herrn Almunia, da unterstützen wir ihn. Es geht darum, dass wir weiterhin wettbewerbsfähige Strompreise haben, um nicht hunderttausende Arbeitsplätze zu gefährden.
    Heinemann: Ist die Grundidee richtig, dass man Produkte oder beziehungsweise in diesem Fall eine Idee subventioniert, bis sie sich am Markt behaupten kann?
    Grillo: Das kann richtig sein. Es hat aber gerade in der letzten Zeit Diskussionen gegeben, dass das EEG, was ursprünglich Anfang des Jahrtausends sicherlich richtig funktioniert hat, jetzt nicht mehr funktioniert. Eine Subvention sollte Innovationen auch fördern, sollte am Anfang neue Technologien fördern. Das ist im Moment nicht der Fall. Insofern ist es wichtig, dass dieses EEG ...
    Heinemann: Entschuldigung! Inwiefern ist das nicht der Fall?
    Grillo: Das war ein Ergebnis des Instituts EFI, dass man gesagt hat, durch feste Zusagen, durch feste Vergütungen an die Erzeuger gibt es keinen Wettbewerb, keinen Ansporn mehr, innovativ zu arbeiten. Deswegen ist ja das Ziel, mehr Markt in die Systematik reinzubringen, den Markt bestimmen zu lassen, richtig, um auch Innovationen voranzutreiben.
    Heinemann: Wobei die Atomkraft ja jahrzehntelang mit Steuermilliarden gepäppelt worden ist, und da hat auch keiner aufgeschrien.
    Grillo: Das ist Vergangenheit. Die Atomkraft, die werden wir demnächst bis zum Jahr 2022 nicht mehr haben. Insofern ist das Vergangenheit, aus der man vielleicht diesbezüglich auch lernen kann.
    Heinemann: Herr Grillo, Sie haben in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gesagt, es fehle ein Zukunftskonzept in dieser Bundesregierung. Der Artikel war überschrieben, ich habe ihn hier liegen: "Keine Konzeption, keine Projekte, keine Richtung". Sie haben eine Agenda 2030 gefordert. Was müsste darauf stehen?
    Grillo: Ich mache mir Sorgen. Wir reden viel derzeit über Verteilung, über Regulierung, Verteilung Altersrente mit 63, über Mindestlohn, über Quoten, über Mietpreisbremse und so weiter. Wir reden viel zu wenig über Zukunftskonzepte. Wir haben einen starken Industriestandort Deutschland, wir sind im Moment gut in Form. Das müssen wir erhalten. Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit auch in fünf Jahren, auch in zehn Jahren spitzenmäßig erhalten. Das ist die Sorge, die ich habe.
    Heinemann: Welches Zukunftskonzept genau vermissen Sie?
    Grillo: Wir müssen in verschiedenen Dingen zum Beispiel die Rahmenbedingungen ändern.
    Mehr investieren in Verkehr und digitale Wirtschaft
    Heinemann: Konkreter bitte!
    Grillo: Wir müssen die Energiewende natürlich hinkriegen. Wir haben die Lohnstückkosten, die Wettbewerbsfähigkeit der Lohnstückkosten müssen wir erhalten. Die demografischen Fragen müssen wir lösen. Wir haben im Jahr 2020 geschätzte 1,5 Millionen Fachkräfte zu wenig. Da antworten wir mit der Rente mit 63, das passt nicht zusammen. Wir müssen auch insbesondere unsere Investitionen nach vorne fahren. Wir müssen nicht mehr Konsum machen, wir müssen mehr investieren in den Verkehr, in die Breitbandverkabelung. Wir wollen die digitale Wirtschaft vorantreiben, wir wollen da spitzenmäßig sein und da müssen wir investieren. Und wir müssen vor allen Dingen das Thema Innovation wieder vorantreiben. Wir haben gerade in den letzten Tagen gesehen, dass wir bei dem Innovationsindikator in Europa zurückgefallen sind auf Platz drei oder vier. Wir sollten nicht nur im Fußball anstreben, Weltmeister zu werden, auch bei den Innovationen müssen wir das wieder werden, um unsere Wirtschaftskräfte, unsere Standortstärke zu erhalten.
    Heinemann: Wir fassen zusammen: Sie werden Angela Merkel heute nicht Danke sagen?
    Grillo: Nein, es geht nicht darum, Danke zu sagen, sondern es geht darum, konstruktiv mit ihr zu diskutieren, was wir in der Zukunft noch zusätzlich machen müssen.
    Heinemann: Ulrich Grillo, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Grillo: Auf Wiederhören, Herr Heinemann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.