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Krim-Krise
"Es wäre fatal, wenn Krieg entstehen würde"

Der Konflikt um die Ukraine könne die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen auf Jahre sehr vergiften, sagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn im Deutschlandfunk. Man müsse Russland zeigen, dass diese Entwicklung eine Entwicklung in die falsche Richtung sei. Die EU dringe auf eine Deeskalation.

Jean Asselborn im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 04.03.2014
    Eine Portraitaufnahme des Außenminister Luxemburgs, Jean Asselborn, der einen dunklen Anzug und eine gepunktete Krawatte trägt.
    Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Tobias Armbrüster: Die Spannung rund um die Ukraine ist nach wie vor riesig. Nach wie vor halten russische Einheiten die Halbinsel Krim quasi besetzt. Nach wie vor ist aus Moskau Säbelrasseln zu hören. Die internationale Krisendiplomatie, die läuft derzeit auf Hochtouren. Heute reist der amerikanische Außenminister John Kerry nach Kiew. Und am Telefon hier im Deutschlandfunk ist jetzt der Außenminister von Luxemburg, Jean Asselborn. In diesem Monat hat sein Land den Vorsitz im UNO-Sicherheitsrat inne. Schönen guten Morgen, Herr Asselborn.
    Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Armbrüster?
    Armbrüster: Herr Asselborn, wie schlafen Sie in diesen Tagen?
    Asselborn: Schlecht. Politik wird ja von Menschen vehikuliert, und lassen Sie mich vielleicht als Mensch zuerst sagen, dass ich sehr enttäuscht bin - mit vielen anderen Außenministerkollegen haben wir immer daran geglaubt - ich glaube auch jetzt noch daran, dass wir zwischen der Europäischen Union und Russland einen Kontinent zu teilen haben geografisch, und dass die Geschichte uns motiviert, zusammenarbeiten. Dass die Beziehungen auf Vertrauen und gegenseitigem Respekt aufgebaut sein müssen, auf den großen Vorgaben natürlich des internationalen Rechts, und dies ist in diesem Moment infrage gestellt. Ich war letzte Woche selbst in Moskau, habe anderthalb Tage dort verbracht und einen Tag mit Sergei Lawrow. Wir haben eine öffentliche Pressekonferenz gehabt und die Integrität des Territoriums der Ukraine, hat er ausgesagt, muss verteidigt werden. Diese aggressive Linie jetzt seit Ende der letzten Woche war nicht erkennbar, aber hier wird von der russischen Seite, sagen wir mal, werden imaginäre Vorgänge konstruiert, wie wenn alle russische sprechenden Menschen in der Ukraine jetzt in Lebensgefahr wären. Diese Argumente werden dann benutzt, um ein militärisches Eingreifen zu justifizieren. Das ist wirklich ernüchternd.
    Die russischen Argumente "sind manchmal außerirdisch"
    Armbrüster: Herr Asselborn, die EU und die USA überlegen jetzt, Sanktionen gegen Moskau zu verhängen, als Strafe sozusagen. Glauben Sie, dass sich Putin dadurch beeindrucken lässt?
    Asselborn: Wir haben gestern in dem EU-Rat viel und intensiv diskutiert, nicht nur über Sanktionen. Wir haben, wenn ich das sagen darf, zum Beispiel über das Wort Invasion lange gestritten. Es war eine große Debatte, wir haben das ja dann nicht zurückgehalten, sondern die Verletzung der Souveränität des Territoriums haben wir besprochen. Aber viele Länder, die nahe an Russland gelegen sind geografisch, haben diesen Ausdruck als das Wichtigste gefunden, während andere, muss ich sagen, die Angst haben, dass die eigentliche Invasion noch bevorsteht. Wenn man diese Inszenierung zwischen der Duma und dem Herrn Präsidenten Putin von der letzten Woche sieht, und auch umgekehrt, dann könnte das ja möglich sein.
    Armbrüster: Wie groß ist denn Ihre Angst, Herr Asselborn, dass diese Invasion noch bevorsteht?
    Asselborn: Wir haben gestern im Sicherheitsrat, wo Sie ja gesagt haben, dass wir das Gremium präsidieren jetzt, haben wir die Angst empfunden, dass das Szenario von 2008, was Georgien angeht, dass sich das wiederholt. Allerdings, die Argumente, und das will ich auch klar sagen, der russischen Seite sind manchmal außerirdisch. Es gibt sehr, sehr große Widersprüche, die sich kundtun, zum Beispiel vor allem das Prinzip, dass ja Russland wie eine Monstranz durch alle internationalen Foren trägt, der Nichteinmischung. Und wenn Janukowitsch noch Präsident ist der Ukraine, dann ist Mursi ja auch noch Präsident von Ägypten, um nur dieses Beispiel zu sagen. Und ich glaube auch, dass das Dokument von Frank-Walter Steinmeier, von Radoslaw Sikorski und Laurent Fabius vom 21. Februar, was ja Russland nicht unterschrieben hat, plötzlich die große Referenz ist für die russische Seite. Es ist schwer nachzuvollziehen, aber leider in allen politischen und diplomatischen Instanzen wird das jetzt von russischer Seite hochgehalten. Sie haben nach Sanktionen gefragt …
    "Man darf Russland nicht in die Ecke drücken"
    Armbrüster: Herr Asselborn, ich würde gerne ganz kurz noch mal über das Wort Einmischung sprechen, weil viele Leute in Russland ja jetzt argumentieren, eigentlich hat die Europäische Union ja dieses Prinzip zunächst mal verletzt, weil sie sich eingemischt haben in die Ukraine, ein Land, das eigentlich traditionell sehr eng zu Russland gehört.
    Asselborn: Ja, ich glaube, die Ukraine, das ist ja aber internationales Recht, ist ein souveränes, eigenständiges Land, wo viele Menschen sind, die russisch reden, das gibt es auch in Lettland und das gibt es in anderen Ländern in diesem Bereich der früheren Sowjetunion. Wir haben uns bestimmt nicht eingemischt als Europäische Union, das kann man nicht so sagen. Es war ein Wunsch der Ukrainer, und das geht zurück auf 2004/2005, dass wir ein Assoziationsabkommen mit der Ukraine abschließen, was überhaupt nichts damit zu tun hat, dass das gegen Russland gerichtet sein sollte. Und das jetzt vergleichen, was geschehen ist, auf der Krim - wissen Sie, die Krim ist Teil, es ist eine autonome Region in der Ukraine, aber die Krim ist Teil der Ukraine, und es stimmt ja, sonst ist man blind, dass zurzeit russische Methoden angewandt werden, um eben die Krim zu besetzen, und das kann man nicht so hinnehmen. In der Europäischen Union haben wir zwar wirklich, auch wenn es nur einen Funken Hoffnung gibt für eine Deeskalation, haben wir das Mögliche noch immer möglich gehalten, nämlich eine internationale Kontaktgruppe, wo man sich um einen Tisch setzt und mit Russland über die Zukunft der Ukraine diskutieren kann. Wir haben uns nicht nur auf Sanktionen fokussiert. Wir haben natürlich eingeleitet, dass Sotschi-G8 zurzeit nicht möglich ist. Das ist ja klar. Wir haben auch angedeutet, dass wir zurzeit diesen neuen Partnerschaftsvertrag mit Russland einfrieren wollen. Und wir haben angedeutet, dass, wenn keine Deeskalation kommt, dass gezielte Maßnahmen getroffen werden können.
    Armbrüster: Ja, aber Herr Asselborn, besteht hier nicht die Gefahr, dass die Europäische Union und der Westen insgesamt Russland hier einfach immer noch weiter verprellt?
    Asselborn: Nein. Darum haben wir ja, was auch die Konsequenzen angeht, eine Tür offen gelassen. Ich glaube, dass wir wirklich in der Europäischen Union, und ich bin seit zehn Jahren dabei, dass das falsch ist, dass wir Russland außen vor lassen. Ich bin ein Befürworter wirklich einer total positiven Relation zwischen Russland und der Europäischen Union, genau wie Frank-Walter Steinmeier zum Beispiel auch. Aber hier sind wir angekommen an einem Punkt, wo diese Konstruktion der Argumente und dann nur noch die einzige Alternative, ein militärischer Einmarsch - das ist es - auf der Krim; es könnte noch Schlimmeres folgen - dass das dann die einzige Lösung ist. Das, glaube ich, hat weder die Ukraine verdient noch hat Russland das verdient noch die Europäische Union. Die Gefahr, die ja jetzt besteht, ist, dass wir eine sehr, sehr vergiftete Entwicklung haben. Wir werden eine Debatte haben über die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO. Dasselbe für Georgien, dasselbe für Moldawien. Es wird, wenn dies bis zum Ende durchgezogen wird von russischer Seite, werden es für ein Jahrzehnt sehr, sehr schwierige Beziehungen werden zwischen Russland und der Europäischen Union und auch den Vereinigten Staaten und anderen internationalen Playern. Das kann nicht im Interesse Russlands sein. Man muss – man darf Russland nicht in die Ecke drücken, aber man muss Russland zeigen, dass diese Entwicklung eine Entwicklung ist in die falsche Richtung.
    Wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen sind möglich
    Armbrüster: Herr Asselborn, wenn es nun in den nächsten Wochen zu einer wirklichen militärischen Auseinandersetzung kommt, was sollte dann die EU tun?
    Asselborn: Hier müssen wir realistisch sein. Wir müssen alles tun, dass das verhindert wird. Es wäre ja fatal, wenn jetzt Krieg entstehen würde.
    Armbrüster: Natürlich. Ich glaube, da stimmen Ihnen viele überein. Aber - laufen in der EU Planungen für ein solches Szenario?
    Asselborn: Nein. Die EU hat - sogar in der NATO, kann ich Ihnen sagen, dass alle Optionen selbstverständlich, um Russland zu zeigen, dass sie hier auf der falschen Schiene sind. Die sind politischer Natur, die sind diplomatischer Natur. Die können auch Konsequenzen wirtschaftlicher Natur oder finanzieller Natur haben. Aber es ist unter keinen Umständen auch nur ein Anfang diskutiert worden, um eine militärische Parade da zu bieten, um militärisch zu kontern.
    Armbrüster: Herr Asselborn, ganz kurz, eine halbe Minute haben wir noch – müssen wir uns jetzt, wenn diese Krise weitergeht, müssen wir uns dann in Westeuropa auf Flüchtlingsströme aus der Ukraine einstellen?
    Asselborn: Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich kann nur sagen, dass die Ukraine sehr, sehr viel gelitten hat in den letzten Monaten, und dass die Ukraine verdient hätte, dass mit der Europäischen Union, mit Russland wir einen Weg gefunden hätten, um die Ukraine wieder auf die Beine zu stellen und nicht diese Entwicklung, die jetzt seit einer halben Woche sich kundgetan hat.
    Armbrüster: Heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk war das Jean Asselborn, der Außenminister von Luxemburg. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Asselborn, und einen schönen Tag noch.
    Asselborn: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.