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Krim-Krise und Energieversorgung
Im Moment keine großen Sorgen

Angesichts der Krim-Krise wird auch immer wieder über die Energielieferungen aus Russland diskutiert. Auch wegen des milden Winters müsse sich Deutschland keine Sorgen machen, sagte Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im Deutschlandfunk. In Zukunft müsse die Energieversorgung aber flexibler werden.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Martin Zagatta | 08.03.2014
    Martin Zagatta: In dem Konflikt um die Krim wird offenbar immer mehr die Energieversorgung zum Thema, zum Druckmittel. Die russische Führung hat auch schon angekündigt, auf Sanktionen der EU mit Gegenmaßnahmen zu antworten. Europa und Deutschland sind extrem abhängig vom russischen Gas, heißt es. Kann uns also Putin den Gashahn zudrehen? Darüber wollen wir jetzt mit Claudia Kemfert reden, der Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Guten Morgen, Frau Kemfert!
    Claudia Kemfert: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Frau Kemfert, wir haben es in dem Beitrag eben gehört – in der Ukraine und auch hier haben wir relativ milde Temperaturen. Wie ist das in Deutschland? Der Winter soll ja so gut wie vorbei sein, die deutschen Gasspeicher sind voll. Müssen wir uns trotzdem Sorgen machen?
    Kemfert: Nein, das müssen wir in der Tat im Moment nicht. Sie haben es ja gesagt, die Speicher sind relativ voll, der Winter war mild, und jetzt kommt der Frühling, das heißt, die Nachfrage ist auch nicht so groß. Selbst wenn jetzt der Gashahn zugedreht werden sollte, können wir auch auf andere Länder ausweichen. Norwegen hat noch ausreichend Kapazitäten und auch Pipelinekapazitäten. Aber es kommen auch andere Länder ins Spiel wie Katar oder Algerien. Also, da könnten wir uns schon versorgen und müssen da jetzt im Moment keine große Sorge haben.
    Zagatta: Die Energieversorger in Deutschland sind ja auch gehalten, einen Gasvorrat für drei Monate vorzuhalten. Der würde doch, wenn man das so will, fast reichen, um dann auch schon über den nächsten Winter wieder zu kommen, oder nicht?
    Kemfert: Ja, im Grunde genommen schon, aber es fehlt eben eine verbindliche Verordnung, dass diese 90-Tage-Regelung auch wirklich umgesetzt wird, denn im Moment ist es freiwillig. Die Speicher sind dann meistens gefüllt, aber eben auch nicht immer. Wir hatten Ende letzten Jahres das Problem, dass die Speicher zu leer waren. Der Winter war sehr kalt, das heißt, wir hatten eine hohe Nachfrage nach Gas, und die Speicherkapazitäten reichten teilweise nicht mehr aus. Das heißt, wir müssen uns da besser drauf vorbereiten. Ich würde dafür plädieren, dass man eine strategische Gasreserve verbindlich festlegt, das heißt, dass man auch 90 Tage wirklich auf Gas zugreifen kann, genauso, wie man es auch bei der Ölreserve macht.
    Die Energiewende in Deutschland ist nicht betroffen
    Zagatta: Könnten wir denn mittelfristig auf das russische Gas verzichten? Sie haben schon angesprochen Lieferungen aus anderen Ländern. Wenn da noch Energie aus Deutschland dazu kommt, etwas mehr alternative Energie oder vielleicht auch Kohle oder vielleicht auch Kernkraft – könnten wir uns da vom russischen Gas ganz unabhängig machen?
    Kemfert: Ja, mittelfristig ist das sicherlich möglich und ja auch angedacht durch die Energiewende, denn die Energiewende hat ja zum Ziel, dass man die erneuerbaren Energien ausbaut, dass man mehr tut, um die Energieeffizienz zu verbessern. Aber Gas spielt da schon auch eine Rolle. Denn Gaskraftwerke sind ja gut kombinierbar mit den erneuerbaren Energien. Sie sind auch sehr effizient. Aber dann muss man eben sehen, woher man das Gas bezieht, in einem mittelfristigen Zeitraum beispielsweise eben aus anderen Ländern wie Katar oder Algerien. Oder wir produzieren auch selbst unser eigenes Gas, jetzt nicht gerade mit Fracking, aber zum Beispiel über Biogas oder auch synthetisches Gas, was man herstellen kann aus erneuerbaren Energien. Da gibt es ja jetzt schon viele Forschungsanstrengungen in Deutschland. Das ist perspektivisch durchaus machbar und möglich, aber es ist ein recht langer Weg dahin. Man kann jetzt nicht erwarten, dass das kurzfristig so funktioniert.
    Zagatta: Dann hat also der Chef des Ifo-Instituts wahrscheinlich recht, der Chef des Münchener Ifo-Instituts, Werner Sinn, der sagt nämlich, zumindest so wird er zitiert: "Wir können uns Sanktionen gegen Russland gar nicht leisten, weil sonst die deutsche Energiewende gefährdet wird." Das wäre die Konsequenz, möglicherweise?
    Kemfert: Nein, das würde ich überhaupt gar nicht teilen. Da will ich vehement widersprechen, weil die Energiewende ja zum Ziel hat, dass man sich gerade immer unabhängiger machen sollte. Das eine hat im Übrigen jetzt auch mit dem anderen wenig zu tun. Die Energiewende hat ja zum Ziel, die erneuerbaren Energien auszubauen und die Energieeffizienz zu verbessern. Sicherlich werden wir auch auf Gas setzen, aber wir haben genügend Möglichkeiten, auch Gas zu beziehen. Und Russland war auch immer schon ein verlässlicher Partner, aber die Energiewende hängt jetzt nicht davon ab, was mit Russland passiert. Im Gegenteil, sie ist ja dafür da, dass man gerade unabhängiger wird von Russland, und die Diversifikation der Gasbezüge ist ja ein wichtiger Punkt, aber die Energiewende ist davon unbenommen.
    Flüssiggas aus den USA ist noch Zukunftsmusik
    Zagatta: Zeigt sich jetzt aber nicht doch, dass all die doch irgendwie recht hatten, die davor gewarnt haben, bei der Energieversorgung zu stark auf Russland zu setzen?
    Kemfert: Ja. Und da haben wir ja in den letzten Jahren auch immer sehr stark vor gewarnt und fühlen uns da immer wieder bestätigt, weil das politische Druckmittel doch immer wieder da ist, dass man Gas als politische Waffe einsetzt oder überhaupt die Energieexporte aus Russland nach Europa. Da muss man sich vor schützen. Europa hat ja auch diverse Maßnahmen eingeleitet, versucht zu diversifizieren, aus vielen Ländern Gas und auch Öl zu beziehen. Mehr Flüssiggasterminals gebaut, was sehr wichtig ist, weil man dann flexibler wird und dann auch nicht nur auf Russland gucken muss. Und die Speicherkapazitäten erhöhen, auch das ist sehr wichtig. Und dann machen wir uns insgesamt auch unabhängiger von den Lieferungen aus Russland, und das muss die Strategie auch langfristig sein.
    Zagatta: Frau Kemfert, Stichwort Flüssiggas. Die USA wollen jetzt angeblich Flüssiggas in ganz großen Mengen nach Europa liefern. Ist das realistisch? Was könnte das bewirken?
    Kemfert: Na ja, es ist erst mal noch nicht realistisch. Es ist Zukunftsmusik, wenn die Amerikaner das wirklich vorhaben sollten. Aber LNG (die englische Abkürzung LNG steht für Liquified Natural Gas – verflüssigtes Erdgas; Anmerkung der Redaktion) ist ein gutes Stichwort, weil Flüssiggas gibt es auf den internationalen Märkten im Überschuss, weil eben Amerika als Nachfrager ausfällt, gibt es sehr viel Gas, und das kann man auch nach Europa transportieren aus Ländern wie Katar oder Algerien oder aus dem kasachischen Raum. Und das wäre gut, und da ist es auch wichtig, dass man ein Flüssiggasterminal hat auch in Deutschland. Da wurde leider geplant, aber dann verworfen zugunsten der Ostseepipeline nach Russland. Also da würde ich dringend für plädieren, dass man auch in Deutschland einen solchen LNG-Terminal hat, aber die Amerikaner haben im Moment ja gar nicht die Möglichkeit, überhaupt LNG auf dem Markt anzubieten. Im Moment können sie gar nicht exportieren, haben weder die Infrastruktur dafür noch die rechtlichen Voraussetzungen. Insofern ist das Zukunftsmusik, aber wenn die Amerikaner das vor haben, soll man sie da nicht stoppen.
    Russland hat ein großes Eigeninteresse
    Zagatta: Gazprom will jetzt seinen Marktanteil in Deutschland noch steigern, so hieß es bisher, und weitere Leitungen nach Westeuropa bauen. Sollte man dem auf alle Fälle entgegenwirken?
    Kemfert: Ich denke schon. Es ist zwar gut, dass man auch gute Beziehungen hat mit Russland, sie sind ein verlässlicher Lieferant, aber man sieht im Moment, es können eben Krisenzeiten auftreten, wo man da sich nicht mehr so sicher sein kann. Und wir hatten in Europa eine Planung, eine zusätzliche Pipeline zu bauen, die sogenannte Nabucco-Pipeline, die in den kasachischen Raum führen sollte und uns damit auch unabhängiger von russischen Gaslieferungen hätte machen sollen. Nur leider wurde diese Planung aufgegeben zugunsten einer zusätzlichen Pipeline aus Russland, die sogenannte South-Stream-Pipeline. Das ist natürlich höchst bedauerlich, weil so machen wir uns noch abhängiger von russischen Gaslieferungen. Und es müsste eigentlich umgekehrt sein.
    Zagatta: Hätte denn Deutschland irgendwelche Druckmittel direkt gegen das Unternehmen Gazprom in der Hand?
    Kemfert: Druckmittel nicht, aber man muss ja schon deutlich sagen, Russland hat ja ein berechtigtes Interesse, die Energiebeziehungen und überhaupt die wirtschaftlichen Beziehungen mit Europa nicht aufs Spiel zu setzen, weil sie erhebliche wirtschaftliche Vorteile dadurch hat. Wir bezahlen ja hohe Preise für Energie, für Gas und auch für Öl. Und über 60 Prozent der Staatseinnahmen kommen eben aus diesen Energielieferungen zu Russland. Das setzt man nicht aufs Spiel, sodass ich glaube, dass man da auch wirklich von beiden Seiten einvernehmliche Lösungen finden wird, weil niemand kann daran gelegen sein, dass man solche wirtschaftlichen Einbußen wirklich hinnimmt.
    Zagatta: Also keine Sanktionen gegen Gazprom, auch keine leichten, also etwa das Konto oder die Konten von Altkanzler Schröder einfrieren, der für die russische Gazprom ja tätig ist?
    Kemfert: Also, das muss man jetzt alles mal besprechen, glaube ich, welche Möglichkeiten da wirklich anstehen würden, aber natürlich kann man jetzt deutlich machen, also, wir müssen hier einen gemeinsamen Weg finden, und der kann alles Mögliche bedeuten. Ich bin immer gegen Sanktionen, weil es beiden Seiten schadet, aber wenn dann sozusagen auch die eine Seite sehr aggressiv reagiert, muss man natürlich auch auf der anderen Seite reagieren. Ich hoffe, dass sich das nicht hochschaukelt und dass wir eine gute Lösung finden werden.
    Zagatta: Claudia Kemfert, die Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Frau Kemfert, herzlichen Dank für das Gespräch!
    Kemfert: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.