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Krimi "Verschwörung"
"Millenium-Trilogie kann man nicht fortsetzen"

Die Krimi-Neuerscheinung "Verschwörung" von David Lagercrantz sei mehr Marketingstrategie als Literatur, sagte Krimi-Experte Tobias Gohlis im DLF. Die Erben Stieg Larssons hätten nur die Lizenz zur Weiterführung des Themas freigegeben. Gohlis Urteil über die Trilogie und den Nachfolger fällt zudem vernichtend aus.

Tobias Gohlis im Gespräch mit Peter Kapern | 27.08.2015
    Das Cover von "Verschwörung", dem vierten Teil von Stieg Larssons "Millenium"-Trilogie
    Stieg Larssons "Millenium"-Trilogie - die Fortsetzung schreibt David Lagercrantz (picture alliance/dpa/Fredrik Sandberg)
    Das Fortschreiben von Geschichten sei in Ordnung, "davon lebt die Literatur". Dennoch unterstrich Gohlis, dass die Veröffentlichung von "Verschwörung" eine reine Wirtschaftsunternehmung sei.
    Dass der Verlag beim Fortsetzungsroman das Manuskript bis zur letzen Minute unter Verschluss gehalten habe, sei ein übliches Verfahren. Es ginge darum, das Produkt sicher zu lancieren. "Das ist Markenpolitik, darüber muss man sich nicht aufregen", erklärte der Krimi-Experte das Prozedere. Der restriktive Umgang mit Journalisten und Interviewanfragen an Autor David Lagercrantz zeige nur, dass "Verschwörung" weniger Literatur sei, sondern mehr eine Marke.
    Millenium-Trilogie literarisch "sehr dürftig"
    Die Millenium-Trilogie von Stieg Larsson sei zudem literarisch nicht herausragend gewesen, sondern als Krimi "sehr dürftig". Gohlis zeigte sich verwundert, dass die Protagonisten der drei Krimis, Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist, einen gewissen Ewigkeitswert haben wie Sherlock Holmes.
    Larsson habe aus literarischer Sicht die Trilogie "verhältnismäßig zusammengeklebt". Es werden Elemente aus anderen Kriminalromanen verwendet, erklärte Gohlis. "Stieg Larsson ist auch nur ein Fortschreiber. Literarischer Raffinesse ist die Trilogie nicht", lautete sein vernichtendes Urteil.
    Der schwedische Schriftsteller Stieg Larsson war 2004 mit 50 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben. Seine Trilogie, die posthum zum Bestseller wurde, wurde von dem erbitterten Erbstreit zwischen seiner Familie und seiner langjährigen Lebensgefährtin Eva Gabrielsson überschattet. Der Nachfolgekrimi "Verschwörung" entstand in Zusammenarbeit des Norstedts Verlags und den gesetzlichen Erben Larssons - seinem Vater und Bruder.

    Das Interview in voller Länge:

    Peter Kapern: "Verblendung", "Verdammnis" und "Vergebung" - so hießen die drei Teile einer Krimireihe, die Literaturgeschichte geschrieben hat. Als der erste Band erschien, da war der Autor, der schwedische Journalist Stieg Larsson, bereits tot, gefällt von einem Herzinfarkt. Die Trilogie mauserte sich zur erfolgreichsten Krimireihe der Welt: über 80 Millionen verkaufte Exemplare, eine Verfilmung, eine Neuverfilmung in Hollywood und ein bizarrer Erbschaftsstreit um die Rechte an diesen Büchern.
    Und heute erscheint - nanu, wie das denn - der vierte Band. Der heißt "Verschwörung". Geschrieben: Nein, nicht von Geisterhand, sondern von David Lagercrantz, einem anderen schwedischen Journalisten. Ob das Buch gut ist? - Keine Ahnung. Bislang durfte es niemand lesen.
    Bei uns am Telefon ist jetzt der Literaturkritiker und Krimiexperte Tobias Gohlis. Guten Morgen, Herr Gohlis.
    Tobias Gohlis: Guten Morgen, Herr Kapern.
    "Kein literarisches Ereignis, sondern eine wirtschaftliche Aktion"
    Kapern: Herr Gohlis, die Art und Weise der Platzierung dieses Krimititels, die ist ja nun wirklich spektakulär. Er erscheint in 27 Ländern gleichzeitig, Auflage mehrere Millionen. Da ist der Welterfolg offenbar fest eingeplant.
    Gohlis: Ja, selbstverständlich. Das Ganze ist ja auch gar kein literarisches Ereignis, sondern das ist eigentlich eine wirtschaftliche Aktion, und ich wundere mich darüber, dass die Feuilletons darüber schreiben. Das Ganze ist so, wie wenn VW eine Lizenz nach Spanien oder so vergibt. Eine Marke wird einfach noch mal weiterproduziert. Mehr ist das nicht.
    Kapern: Warum nicht?
    Gohlis: Weil das, was Eva Gabrielsson gesagt hat, die sozusagen Witwe Stieg Larssons, ist völlig richtig. Der Mann ist tot. Das, was er geschrieben hat und das, was sie geschrieben hat, nämlich diese Millenium-Trilogie, kann man nicht fortsetzen und insofern handelt es sich wenn, dann nur um eine der vielen Aktionen, die es auch bei anderen Autoren gerade im Krimibereich gibt, wo vor allem Erben (und in dem Fall sind es ja auch die Erben von Stieg Larsson, nur die juristischen Erben, sein Vater und sein Bruder) einfach die Lizenz weitergegeben haben. Das machen die Erben von Conan Doyle beispielsweise auch oder von Ian Fleming bei James Bond. Da werden andere Autoren angeheuert, um da Fortsetzungen zu schreiben.
    Kapern: Aber warum auch nicht, frage ich jetzt mal ganz unbedarft? Da gibt es tolle Charaktere, tolle Konstellationen. Warum soll da nicht jemand hingehen und diese Fäden aufnehmen und einen neuen Strang flechten?
    Gohlis: Gar kein Problem! Davon lebt ja, wenn man das mal allgemein betrachtet, die Literatur. Wagner hat, was weiß ich nicht, einen Stoff aus dem 13. Jahrhundert aufgegriffen mit Parsifal, mit Isolde und Tristan, Parsifal ist noch älter. Das ist kein Problem, das ist die normale Vorgehensweise der Literatur. Aber so wie das jetzt lanciert wird, handelt es sich zunächst mal um ein Wirtschaftsunternehmen mit einem kleinen intellektuellen Touch.
    "Stieg Larsson ist auch ein Fortschreiber"
    Kapern: Ist das eigentlich verwerflich, mit Büchern Geld zu verdienen?
    Gohlis: Nein, nein. Nein, überhaupt nicht. Was mich an der ganzen Sache nur irritiert ist, dass ein mittelprächtiges Unternehmen wie diese Millenium-Trilogie, die literarisch nicht besonders hochragend ist, und zwar jetzt unter dem Gesichtspunkt von Krimi, nicht irgendwelcher anderer literarischer Gesichtspunkte, sondern als Krimi einfach ziemlich dürftig ist, dass das nun weitergehypt wird und aus dieser Lisbeth Salander und dem noch flacheren Mikael Blomkvist versucht wird, so was wie solche Figuren zu machen, die immerhin einen gewissen Ewigkeitswert haben wie Sherlock Holmes.
    Kapern: Jetzt haben gerade die vielen Fans dieser Krimiserie eine pulsierende Halsschlagader bekommen. 82 Millionen verkaufte Exemplare und Sie sagen, mittelmäßig und dürftig.
    Gohlis: Ja. Wenn man das jetzt literaturkritisch betrachtet, ist das erste Buch von Stieg Larsson seinerzeit verhältnismäßig nur zusammengeklebt gewesen. Verschiedene Elemente aus anderen Kriminalromanen wurden da zusammengeklebt und etwas weiterkarikiert. Das heißt, er selber ist auch ein Fortschreiber.
    Beispielsweise diese Figur von Lisbeth Salander ist in einer ersten Variante erfunden worden von einer amerikanischen Autorin namens Carol O'Connell. Das ist die erste sozusagen etwas soziopathische Heldenfigur im modernen Kriminalroman. Vermutlich hat der Larsson diese Carol O'Connell und ihre Heldin Kathleen Mallory nicht gekannt, aber das zeigt nur, dass er da auch einen Trend aufgegriffen hat, aber gut kompiliert. Das ist das Werk von Stieg Larsson.
    "Interessant und faszinierend - aber nicht von literarischer Raffinesse"

    Ich finde auch Lisbeth Salander eine interessante Figur, aber mehr für das soziale Fantasieren: eine Frau, die kein Opfer ist, eine Frau, die keine Hure ist, keine Femme fatale, wie wir sie aus den Kriminalromanen kennen, sondern eine Kämpferin, die ihre Spuren schon mit sich trägt als Opfer, aber ein Opfer, das jetzt kämpft und das sich wehrt und das selber gleichwertig oder dominant sogar in der Männergesellschaft sich herumschlägt. Das ist interessant, das ist faszinierend, aber von literarischer, sagen wir mal, Raffinesse ist es nun wiederum nicht.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    "Millennium:" Das ZDF zeigte 2011 die aufwändige Verfilmung der Bücher "Verblendung", "Verdammnis" und "Vergebung". (picture alliance / dpa / Knut Koivisto)
    Kapern: Jetzt beuge ich mich Ihrem Urteil. Wir haben es also mit einem mittelmäßigen Krimi zu tun, der möglicherweise jetzt genauso mittelmäßig fortgesetzt wird. Da ist es aber umso kurioser, wie der Verlag im Vorfeld des Erscheinens mit diesem Buch umgegangen ist. Niemand durfte das Manuskript vorab lesen. Niemand, der mit dem Manuskript zu tun hatte, durfte einen Rechner benutzen, der mit dem Internet verbunden war. Wenn das Manuskript transportiert werden musste, etwa zum Übersetzer oder zur Druckerei, dann immer nur per Kurier und streng bewacht. In der Zeitung "Die Welt" war von einem Hochsicherheitsprodukt der Literatur die Rede. Ist die Paranoia jetzt ins Verlagswesen eingezogen?
    Gohlis: Das ist eigentlich ein übliches Verfahren. Ich glaube, dass bei einem Grass-Band vor Jahren das auch schon mal gemacht worden ist. Da wurden die Übersetzer alle zusammengeholt. Das ist nicht so unüblich, wie man denkt. Aber es ist der Versuch, die Marke zu schützen, das Produkt auch sicher zu lancieren. Der Verleger selbst spricht hoffnungsfroh davon, dass es der "biggest launch", der größte Start, der größte geschäftliche Erfolg auf dem Buchmarkt 2015 weltweit werden wird. Darum geht es und das ist Marketing-Politik. Da muss man sich nicht drüber aufregen.
    "Ich bin selber gespannt auf 'Verschwörung'"
    Kapern: Gehört es auch zum Marketing, wie der Verlag den Umgang von Journalisten mit diesem neuen Buch regelt? Die mussten eine strafbewährte Sperrfrist vereinbaren und unterzeichnen und wer ein Interview mit dem Autor David Lagercrantz führen wollte, der musste garantieren, dass der ihn dann nicht auf seine eher peinliche Biographie des schwedischen Fußballstars Zlatan Ibrahimovic anspricht, die er vor ein paar Jahren geschrieben hat. Was ist von solchen Regeln zu halten und was ist von Kritikern zu halten, die sich solche Regeln gefallen lassen?
    Gohlis: Wir werden das Buch lesen. Die Vorgänge sind im Prinzip normal. Auch ganz normale Verlage belegen ihre Leseexemplare mit einer Sperrfrist. Ich unterzeichne im Jahr mehrere solche Verpflichtungen. Und zwar hat das damit zu tun, dass der Verlag ja als Rechteinhaber der Vermarktungsrechte bis zum letzten Augenblick die Möglichkeit sucht, zum Beispiel Vorabdrucke selber zu lancieren, was in dem Fall ja auch geschehen ist.
    Kapern: Und wenn Sie Interviews mit Autoren führen, dann lassen Sie sich auch die Zusage abringen, dass Sie auf unangenehme Fragen verzichten?
    Gohlis: Nein, das nicht. Aber das sind manchmal die Deals. Auch das ist ein Beweis dafür, dass es sich weniger um Literatur, sondern mehr um Marketing handelt. Bei Filmstars oder so, da wird fest darauf geachtet und zensiert, was gefragt wird und welche Antworten gegeben werden. Im Zweifelsfall werden solche Interviews auch zurückgezogen und nicht autorisiert.
    Kapern: Jetzt haben wir so viel wenig Schmeichelhaftes über das Buch und seine Umstände gehört. Was sagen Sie denn jetzt denen, die die drei bisherigen Bände eigentlich ganz unterhaltsam fanden? Sollen die jetzt den vierten Band doch noch in die Hand nehmen?
    Gohlis: Ich kann doch niemanden davon abhalten, ein Buch zu kaufen. Ich bitte Sie! Ich bin selber gespannt darauf. Die Sachen, die interessanterweise hier in Deutschland in der "Bild"-Zeitung vorab gedruckt worden sind, haben mich nicht gerade davon überzeugt, dass es sich um das handelt, was mein Kollege in der "Welt" gehofft hat, nämlich dass es der beste Stieg Larsson werden würde. Dazu kommt mir die Sprache auch nicht besonders intensiv und stark vor. Aber warum nicht!
    Kapern: ... sagt Tobias Gohlis, der Literaturkritiker und Krimispezialist, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Gohlis, danke für das Gespräch! Schönen Tag.
    Gohlis: Danke Ihnen! Auch einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.