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Kriminalbeamter: Mehr Eigentumsdelikte seit Grenzöffnung

Drei Monate nach Beginn des freien Grenzverkehrs mit Polen und Tschechien ist in Deutschland die Kriminalität im grenznahen Raum offenbar deutlich angestiegen. Vor allem die Zahl der Eigentumsdelikte habe sich signifikant erhöht, sagte der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Klaus Jansen. Vor diesem Hintergrund warf er den Innenministern der betroffenen Bundesländer vor, die Bevölkerung nicht über das Ausmaß der Straftaten zu informieren.

Moderation: Christian Schütte |
    Christian Schütte: Am deutsch-polnischen Grenzübergang im Dezember vergangenen Jahres. Auf der Brücke, die Frankfurt/Oder mit der Stadt Slubice verbindet, zählen Menschen die Sekunden herunter bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Grenzkontrollen wegfallen und unter anderem Polen zum Schengen-Raum gehört. Auch an der Grenze zu Tschechien kontrollieren seit diesem Tag keine Grenzpolizisten mehr die Ausweise. 100 Tage liegt dies nun zurück. Aus diesem Anlass will Bundesinnenminister Schäuble heute mit seinen Amtskollegen aus Polen und Tschechien Bilanz ziehen. Europa wächst zusammen; so freuten sich die Politiker schon vor drei Monaten. Die Polizei dagegen warnte vor einem möglichen Zuwachs an Kriminalität. - Am Telefon ist nun Klaus Jansen, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Guten Morgen Herr Jansen!

    Klaus Jansen: Guten Morgen Herr Schütte!

    Schütte: Seit 100 Tagen ist der Weg von Osten her nach Deutschland frei passierbar. Ist jetzt also das Einfallstor für Kriminelle weit geöffnet?

    Jansen: Wir haben aktuell ja die Diskussion, dass der Innenminister Caffier aus Mecklenburg-Vorpommern zunächst politisch korrekt sagte, wir hatten dort keine Veränderung, keine Kriminalitätslage hat sich verändert. Er ist dabei, kräftig zurückzurudern. Ich weiß von meinen Kolleginnen und Kollegen aus Sachsen, dass dort bereits Sonderkommissionen aufgebaut wurden, um der Eigentumskriminalität, die sich signifikant erheblich steigert, Herr werden zu können. Das bedeutet übrigens nicht eine Kritik an polnischen oder tschechischen Kollegen, die jetzt vielleicht eine Außengrenzkontrolle nicht vernünftig machen. Wir haben zum Zeitpunkt der Schengen-Erweiterung die Bundespolizei aus ihrer Verantwortung genommen, als Grenzpolizei tätig zu sein, haben sie aber überhaupt nicht darauf vorbereitet, als Ersatz - und so ist ja der Plan - in Fahndungsbereichen tätig sein zu können. Sie hätten ausgebildet werden müssen in der Fahndung. Sie hätten ausgerüstet werden müssen für eine bewegliche Fahndung. Das hat der Bundesinnenminister verschlafen!

    Schütte: Haben Sie, Her Jansen, denn schon konkretes Material, wie sich die Kriminalitätsrate im Grenzgebiet seit der Schengen-Öffnung verändert hat?

    Jansen: Herr Schütte, alle beteiligten Landesinnenminister haben das Material und geben es nicht heraus. Für mich ein klarer Indikator dafür! Man könnte ja auch die Aussage von mir heute entzaubern, indem man die Zahlen auf den Tisch legt. Das wird man nicht tun. Das wird man erst tun im Jahre 2009. Dann wird ja regulär die Kriminalstatistik für 2008 veröffentlicht. Dann interessiert es die meisten schon nicht mehr. Man wird sich an dieses erhöhte Kriminalitätsaufkommen gewöhnt haben und zu ändern ist ja dann eh nichts mehr. Hier wurde wirklich etwas verschlafen, was man vernünftiger hätte machen können, und man hätte damit eigentlich auch die polnischen und die tschechischen Kollegen aus der Schusslinie nehmen müssen - im Sinne der Sache eine ganz, ganz wichtige Maßnahme.

    Schütte: Wenn Sie sagen, die Innenminister mauern da ein wenig, woher haben Sie dann Ihre Informationen?

    Jansen: Von den Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort arbeiten, die mitbekommen, dass dort wirklich Kriminalität insbesondere im Eigentumsbereich erheblich ansteigt. Sie haben an unterschiedlichen Polizeidienststellen dann schon ein Gefühl dafür, ob das Anzeigenaufkommen sich erhöht. Sie haben natürlich nie einen Gesamtüberblick. Aber warum geben die Innenminister nicht diese Zahlen heraus, die jetzt ja vorliegen? Unsere Meldesysteme sind tagesaktuell. Man könnte also sehr wohl einen direkten Vergleich machen und zwar sofort. Das wird aber unterlassen, weil es politisch so nicht sein soll, und dann werden wir das eben auch so ertragen müssen.

    Schütte: Eigentumsdelikte sagen Sie. Was heißt das konkret?

    Jansen: Einbruch, Diebstahl, Fahrraddiebstahl, alles was so einen hohen individuellen Wert hat, was vielleicht auch relativ einfach wegzunehmen ist, wobei man sich trefflich darüber streiten kann, ob grenznaher Raum bedeutet fußläufig zur Grenze, oder ob grenznaher Raum heutzutage bei der Mobilität nicht bedeutet bis ins deutsche Hinterland hinein. Das ist ja auch eine Definitionsfrage. Ich weiß, dass es auch in Bundesländern wie Baden-Württemberg Erkenntnisse gibt, dass dort plötzlich Nationalitäten aufschlagen, die dort vorher nicht waren. Es gibt Wanderbewegungen aus polnischen Asylantenheimen bis hin nach Frankreich hinein, in die Sozialsysteme nach Frankreich. Das ist ja so weit nicht kriminell, jedenfalls nicht im ersten Augenblick, aber es zeigt Ihnen doch, dass wir eigentlich erst wenn Menschen irgendwo aufschlagen wissen, dass sie durch Europa gekreuzt sind. Das ist ein bisschen beunruhigend, finde ich.

    Schütte: Es wird jetzt nicht mehr an den Grenzen kontrolliert. Dafür gibt es jetzt die Schleierfahndung. Sie haben es auch schon angesprochen. Damals haben Sie kritisiert, dass die Grenzer für solche Ermittlungsfahrten im Grenzbereich gar nicht ausgebildet sind. Wie machen sich denn die Kollegen inzwischen?

    Jansen: Ich glaube sie versuchen im Rahmen der Möglichkeiten das bestmögliche zu tun. Man hätte nach Bayern gucken müssen zur Landespolizei. Da gibt es eine Polizeiinspektion Fahndung, die seit Jahren erfolgreich zeigt, wie man modern als Polizei eine Fahndungsherausforderung annimmt. Das bedeutet wie gesagt die Ausbildung, die individuelle Schulung darin, aber vor allen Dingen auch die materielle Ausrüstung. Wenn sie hoch motorisierte Rechtsbrecher verfolgen wollen, dann brauchen sie etwas mehr unterm Hintern auf Deutsch gesagt als die Fahrzeuge, die zum Teil an der Grenze als Sicherungsfahrzeuge genutzt wurden. Der Motivationsverlust, der jetzt parallel dadurch hervorgerufen ist, dass insgesamt eine Umorganisation kommt, dass Kollegen nicht wissen wo sie morgen verwendet werden, das trägt ein Übriges dazu bei, dass glaube ich die Leistungsfähigkeit sehr eingeschränkt ist.

    Schütte: Sie haben angesprochen, dass Kriminelle nicht nur aus Polen kommen, sondern sozusagen Polen als Transitland benutzen. Andererseits sind doch die Grenzen nach Osten hin massiv verstärkt worden. Dort wird viel genauer kontrolliert als bisher.

    Jansen: Es gibt Vorzeige-Grenzübergänge. Ich habe mir selber auch einige angucken können. Die sehen wirklich modern und toll aus. Die grüne Grenze im Brachland ist dann so schwierig zu kontrollieren wie sie zu kontrollieren ist. Das muss man einfach mal zur Kenntnis nehmen. Grenzen insgesamt, auch Binnengrenzen innerhalb der EU, haben immer den Vorteil, dass sie noch eine weitere Kontrollstation haben. So fluktuieren geschmuggelte Menschen, Rauschgifthändler, Waffenhändler quer durch Europa. Wenn sie einmal die Außengrenze überwunden haben, dann sind sie halt drin. Das ist politisch so gewollt. Ich glaube auch da gibt es noch Möglichkeiten, an der Außengrenze professioneller zu arbeiten. Wichtig ist da insbesondere die Kooperation mit unseren Nachbarstaaten, dass man im Grenzraum kooperiert, damit die Außengrenze von beiden Seiten gesichert wird.

    Schütte: Herr Jansen, Sie machen sich aber so ein bisschen auch zum Vorwurf, dass Sie EU- und europafeindlich sind.

    Jansen: Ich glaube meine Vita sagt deutlich schon, dass ich eigentlich ein sehr international interessierter Mensch bin. Ich glaube man muss, wenn man politische Entscheidungen trifft, die Risiken klar adressieren und auch mittransportieren und damit keine EU-Furcht schüren, sondern eine Nüchternheit, in der man Entwicklungen auch ansprechen kann, die natürlich parallel dort mitlaufen. Das hat die Politik so weit versäumt.

    Schütte: Die Politiker sind europaselig?

    Jansen: Man hat manchmal den Eindruck, dass sie europaselig sind. Herr Schütte, die Entwicklungen sind nicht zurückzunehmen. Wir müssen jetzt gucken, wie wir das schnellstmöglich in den Griff kriegen, wie wir das repariert kriegen. Da sind die Landesinnenminister und der Bundesinnenminister zu einer nüchternen Bestandsaufnahme gefordert.

    Schütte: Klaus Jansen, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Ich danke Ihnen für das Gespräch.