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Kriminologie
Der CSI-Effekt

Krimis und Polizeiserien richten den Blick auf Verbrechen und deren Aufklärung. Sie prägen aber ihrerseits die Sicht auf Straftaten und die Arbeit der Ermittler. Wie Medien die gesellschaftlichen Vorstellungen von Sicherheit beeinflussen, war Thema eines Diskussionspanels im Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung.

Von Jakob Epler | 03.04.2014
    "Meine Eltern gucken jeden Sonntag Tatort und manchmal gucke ich mit. - Die neue Sherlock-Serie ist sehr gut. - Barnaby. - Ja, was ich gerne gucke ist 'Monk'. - Hauptsächlich skandinavische Krimis. - Nur die alten: Agatha Christie. - 'Tatort', weil meine Eltern das gucken. - Dieses ganze amerikanische Zeug, 'CSI' und so was oder 'Castle' habe ich heute erst geguckt."
    Krimiserien gehören sowohl im Internet als auch im klassischen TV zu den beliebtesten Sendungen. Und es wird viel ferngesehen in Deutschland. Der durchschnittliche TV-Konsum liegt, je nach Studie, zwischen dreieinhalb bis vier Stunden. Nicht mitgezählt ist dabei die Zeit, die Zuschauer Fernsehinhalte online anschauen. Medienforscher glauben, dass der Konsum von Krimis, beeinflusst, wie Menschen über Sicherheit denken.
    "Sicherheit ist ein Begriff, der gefüllt wird durch einen Konsens von Gesellschaftsmitgliedern, von politischen Vertretern, von möglicherweise der Polizei, von der Gesetzgebung und dergleichen mehr", sagt der Kommunikationswissenschaftler Professor Jo Reichertz von der Universität Duisburg-Essen.
    "Was als sicher gilt und was man von Sicherheit erwarten kann, ist natürlich nicht in jeder Zeit das Gleiche. Sondern darüber gibt es einen gesellschaftlichen Diskurs. Der wird geführt in Universitäten, der wird geführt in politischen Debatten, der wird aber zunehmend auch in Medien geführt. Und das meint 'Writing Security'. Was als sicher in einer Gesellschaft gilt und was man tun muss, um sicher zu leben, das erfahren wir jetzt nicht mehr nur durch die Politik, durch die Polizei, durch die Schule, durch den Pfarrer, sondern wir lernen es vor allem und maßgeblich durch die Medien."
    Ein besonders eindrückliches Zeichen dafür ist der sogenannte CSI-Effekt. Demnach verändern Menschen ihr Verhalten, weil sie Krimiserien schauen. Der Effekt wurde bereits in den 1990er-Jahren beobachtet und später nach einer US-amerikanischen Serie benannt, die im Jahr 2000 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde: "CSI - Dem Verbrechen auf der Spur".
    Wir sind hier nicht bei "CSI" - oder doch?!
    Die Titelmusik von "CSI - Den Tätern auf der Spur" stammt von der Band The Who und heißt "Who are you" - wer bist du. Um diese Frage zu beantworten, den Täter zu finden, nutzen die Ermittler vor allem Mittel der Gerichtsmedizin und der forensischen Kriminaltechnik. Sie werten also beispielsweise DNA-Spuren aus. Sie verbringen erheblich viel Zeit in Laboren. Mit hoch technisierten Gerätschaften und naturwissenschaftlicher Genauigkeit lässt sich in der Serie jeder Täter aufspüren. Studien gehen davon aus, dass das in den USA unter anderem Geschworene beeinflusst, die bei Gerichtsverfahren über das Wohl und Wehe der Angeklagten entscheiden. Carina Jasmin Englert erforscht den CSI-Effekt an der Universität Duisburg-Essen:
    "In den USA ist natürlich ein ganz anderes Strafverfolgungssystem, als das bei uns ist. Da zeigen sich aber die Tendenzen ganz klar vor Gericht und in Gerichtsverfahren. Dass Juroren eben sagen, 'OK, ich brauche jetzt eine DNA-Analyse, sonst kann ich meine Entscheidung gar nicht fällen. Oder dass in Gerichtsverfahren tatsächlich Experten drin sitzen müssen, die sagen müssen, 'jetzt ist erst mal, bevor wir anfangen, noch zu bemerken, dass es hier nicht bei 'CSI' ist, sondern dass wir tatsächlich in der Realität sind, dass es da anders abläuft."
    Religion und Erziehung
    Die fiktionale Serie setzt also Maßstäbe, die Menschen in der Realität einfordern, wenn sie mit Straftaten konfrontiert werden. In Deutschland ist der Effekt nicht so eindeutig nachzuweisen. Dass liege zum einen am anderen Strafverfolgungssystem. Zum anderen gebe es hier noch zu wenig Daten, sagt Englert. Aber erste Untersuchungen zeigen, dass die Serien Polizisten und Staatsanwälten beeinflussen. Auch die Opfer von Straftaten stellen plötzlich ganz spezifische Forderungen. Das könne dann so aussehen, meint Englert, "dass Laien an die herantreten und sagen: 'Hä, bei mir wurde doch eingebrochen und jetzt gibt es die DNA-Analyse. Also habe ich da ein Anrecht drauf und dann wird es ja auch Ruckzuck gehen, was soll denn das, dass es nicht angewendet wird?' In der Realität ist es meistens so, dass es wesentlich längere Zeit braucht und es ist auch immer eine finanzielle Frage. Man kann jetzt leider nicht bei jedem kleinen Diebstahl und jedem kleinen Einbruch eine DNA-Analyse veranlassen."
    Gerade die Serie "CSI" transportiert eine Art naturwissenschaftliches Heilsversprechen. Englert sieht das als eine quasi religiöse Botschaft an: Mit Technik und in Laboren können unfehlbare Ergebnisse hergestellt werden. Der denkende, schlussfolgernde Mensch kann so als Fehlerquelle weitgehend ausgeschlossen werden. Diese Idee passe gut in die Zeit, meint Professor Jo Reichertz.
    "'CSI' ist eine extrem frohe Botschaft. Die da lautet: Mithilfe des Einsatzes von Wissenschaft und Verstand kriegen wir jeden. Die, die glaubten zu entkommen und jetzt auch die letzten Jahre entkommen sind, die kriegen wir trotzdem noch - selbst nach 20 Jahren, weil wir damals ihre DNA-Spuren entdeckt haben. Insofern ist das in einer Gesellschaft, die sich nicht mehr sicher ist darüber, ob die Guten belohnt werden und die Bösen weggesperrt werden, ist das eine extrem frohe Botschaft, die natürlich für eine Gesellschaft sehr integrierend wirkt."
    Allerdings gibt es auch eine ganze Reihe von Formaten, die anders funktionieren. Eines der bekanntesten ist der deutsche "Tatort". Carina Jasmin Englert bescheinigt ihm im Gegensatz zur religiösen 'CSI'-Botschaft einen erzieherischen Auftrag. Weil der "Tatort" oft die Ermittler und ihre Fähigkeit zum Schlussfolgern in den Mittelpunkt stelle. Forensische Ergebnisse sind demnach im Tatort meist nur ein Puzzlestück in einer komplexeren Ermittlung.
    "Medien als Akteure der Inneren Sicherheit" (Buchtitel)
    Medien erschaffen nicht nur on air Bilder, die beeinflussen, wie in einer Gesellschaft über Kriminalität und Sicherheit gesprochen und gedacht wird. Sie greifen mittlerweile auch off air aktiv in das Geschehen ein. Zum Beispiel bei dem RTL2-Format "Tatort Internet - Schützt endlich unsere Kinder". Jo Reichertz spricht in diesem Fall von "Securitainment".
    "In dem Bereich hat sich ja das Fernsehen sehr sehr stark engagiert - 'Tatort Internet', vielleicht erinnern sich sich. Da hat ja das Fernsehen aktiv eingegriffen, um Pädophile - vermeintliche oder echte - zu outen und auch der Gerichtsbarkeit zuzuführen. Eine Sache, wo die Polizei bisher weitgehend machtlos war."
    Das Format lief 2010. In zehn Folgen wollten die Macher Männern auf die Spur kommen, die in Internetchats Kinder ansprechen. Dazu wurden Schauspieler engagiert, die sich für Kinder ausgaben und Treffen mit den Männern vereinbarten. Bei den Treffen wurden die Männer dann vor laufender Kamera mit ihrem strafbaren Verhalten konfrontiert. Bei diesem - wie Jo Reichertz es nennt - "Securitainment" geht es also um weitaus mehr als die Idee vom "Writing Security". Es werden nicht nur Sicherheitsdiskurse über mediale Inhalte mitbestimmt. Medien werden zum Ermittler und Richter. Sie verfolgen dabei ein wirtschaftliches Interesse. Nur was Quote macht, ist für Werbeetats interessant. Plötzlich haben die staatlichen Instanzen Konkurrenz bekommen und sind nicht mehr die Einzigen, die den Täter finden wollen - und auch können.