Samstag, 04. Mai 2024

Archiv

Krimsekt
Traditionsprodukt in der Krise

Der Krimsekt ist weltberühmt und der Exportschlager der Region Donezk. Doch die Ukraine-Krise macht sich auch bei dem Traditionsunternehmen bemerkbar: Der Umsatz brach 2014 um 40 Prozent ein. Nur 30 Kilometer hinter der Grenze zum Separatistengebiet liegt die Sektkellerei - hier bleibt man trotz des Krieges zuversichtlich.

Von Florian Kellermann | 31.12.2014
    Das Etikett einer Flasche Krim-Sekt mit kyrillischer Schrift.
    Nur elf Millionen Flaschen Krimsekt verkaufte das Unternehmen 2014. (dpa/picture alliance/Marc Tirl)
    Im Osten der Ukraine liegen die Stollen eines ehemaligen Gipsbergwerks. Die Luft hier ist feucht, die Temperatur liegt konstant bei 13 bis 15 Grad. Ideal für die Lagerung und die Produktion von Schaumwein. Das erkannte auch Josef Stalin. Der Sowjet-Diktator verfügte kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, dass hier, in Artemiwsk im Bezirk Donezk, der berühmte Krimsekt hergestellt werden soll. Von der Halbinsel Krim stammt dabei nur der Wein, der Grundstoff für den Sekt, sagt Jurij Koroljow, der das firmeneigene Museum aufgebaut hat:
    "Wir kaufen dort nur die besten Trauben, darauf bin ich sehr stolz. Auch darauf, dass wir unseren Sekt nur mit der klassischen Methode herstellen. Bei uns reift er nicht in Tanks, sondern in der Flasche, wie in den besten französischen Kellereien. In der Flasche reift er ein bis drei Jahre, je nach Qualitätsstufe, nicht nur ein paar Monate wie im Tank. So sind wir zum zweitgrößten Sekthersteller in Europa aufgestiegen, mehr stellt nur Moët & Chandon her."
    Die erste in Artemiwsk hergestellte Marke hieß Sowjetskoje Schampanskoje - Sowjetischer Champagner. Die letzte Flasche mit diesem Aufdruck lief vor neun Jahren vom Band. Die neue Premium-Linie heißt Krimart. Auch die in Deutschland vertriebenen Marken Krimsekt und Krimskoye stammen aus Artemiwsk.
    Die Flaschengärung ist aufwendig. In einem der Gewölbe stehen Frauen an leicht geneigten Holzregalen. Mit jeder Hand drehen sie jeweils eine Flasche ein Stück weiter. So wandert die abgestorbene Hefe langsam in den Flaschenhals.
    Stören dürfe man sie dabei nicht, sagt Jurij Koroljow.
    "Sie schaffen 80.000 Stück in einer Schicht, in acht Stunden. Ich habe gehört, in Frankreich kommen die Frauen nur auf 20.000 am Tag. Aber wir hatten Wettbewerbe in der Sowjetunion, da haben sich die Frauen ständig verbessert. Jetzt sind 80.000 die Norm."
    Krim lieferte in diesem Jahr keinen Wein
    In einem anderen Gewölbe schichten Frauen die Flaschen um, vom Stapel links auf den Stapel rechts. Dies ist ein früherer Arbeitsschritt: Er sorgt dafür, dass die Hefe, die Alkohol erzeugt, ihre ganze Wirkung entfaltet.
    Jurij Koroljow kutschiert Gäste mit einem kleinen Golfwägelchen durch die Gewölbe - insgesamt 25 Hektar nutzt die Sektkellerei unter der Erde. Der tiefste Punkt liegt über 70 Meter unter der Oberfläche.
    Links sind große Behälter aus Aluminium zu sehen - hier wird der Sekt für einige Tage tiefgefroren. Dadurch kristallisiert der Weinstein und kann herausgefiltert werden. Aber warum sind die Behälter nicht in Betrieb?
    "Soll ich Ihnen die Wahrheit sagen? Bei uns laufen eigentlich immer alle Anlagen, wir produzieren das ganze Jahr. Aber dieses Jahr haben wir leider ein bisschen weniger Wein eingekauft - wegen des Kriegs in unserer Region. Sonst hätten wir bestimmt die Rekord-Marke von 20 Millionen Flaschen geknackt."
    Und auch das ist noch nicht die ganze Wahrheit. Die von Russland besetzte Krim lieferte in diesem Jahr überhaupt keinen Wein nach Artemiwsk. Die Vorräte reichen noch für drei Jahre. Wenn sich die politische Lage bis dahin nicht ändert, wird es keinen Krimsekt aus der Region Donezk mehr geben.
    Allerdings ist auch der Ausstoß zurzeit niedriger. Elf Millionen Flaschen werden es in diesem Jahr, ein Einbruch um 40 Prozent. Den Ukrainern ist zurzeit einfach nicht nach Sekt. Und ins Ausland verkauft die Artjomowsk Winery, wie das Unternehmen nach dem russischen Namen der Stadt offiziell heißt, nur jede fünfte Flasche.
    "Lasst uns auf den Frieden trinken"
    Dabei hätte alles noch viel schlimmer kommen können. Bis Anfang Juli versuchten separatistische Gruppen auch in Artemiwsk Fuß zu fassen. Das erzählt die Vize-Direktorin des Unternehmens, Ljumila Powaljajewa, bei einem Mittagessen, zu dem sie trockenen Rosé-Sekt reicht.
    "Die Separatisten haben unseren Betrieb nicht besetzt. Der Bürgermeister hat es geschafft, sich mit ihnen zu verständigen. Ich weiß nicht wie. Es muss irgendeinen Kompromiss gegeben haben. Aber das gelang wohl nur deshalb, weil die Kämpfer nur kurz in der Stadt waren."
    Außerdem gehört die Sektkellerei heute Personen, die mit der bis vor kurzem regierenden "Partei der Regionen" verbunden sind. Sie arbeitete zumindest am Anfang mit der separatistischen Bewegung zusammen. Als die ukrainischen Streitkräfte im Sommer nach Osten vorrückten, stießen sie in Artemiwsk jedenfalls nicht auf Widerstand. Heute verläuft die Grenze zum Separatistengebiet 30 Kilometer von hier.
    Vize-Direktorin Powaljajewa hofft, dass die Ukraine bald wieder vereint ist. Sie hebt ihr Sektglas zum Toast.
    "Lasst uns auf den Frieden trinken. Wenn geschossen wird, dann mit den Korken von Sektflaschen. Wenn die Erde aufgerissen wird, dann nur, um Weinstöcke zu pflanzen. Dass die Männer nicht in kalten Schützengräben sitzen, sondern bei ihren heißen Frauen. Diesen Toast kenne ich seit 25 Jahren, seit ich hier begonnen habe, aber er war noch nie so aktuell."