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Krise der EU
"Eine kleine Katastrophe für Verbraucher"

Mehr Wahl, mehr Sicherheit und Fairness - Europa habe sehr viel Gutes für den Verbraucher gebracht, sagte die Vorsitzende des europäischen Verbraucherschutzdachverbands BEUC, die Belgierin Monique Goyens, im Dlf. "Wenn das abgebaut werden würde, wäre das schlimm für den Verbraucher."

Monique Goyens im Gespräch mit Jule Reimer | 02.07.2018
    Monique Goyens bei einer Pressekonferenz in Brüssel am 11. Juli 2012.
    Monique Goyens, die Chefin des europäischen Verbraucherschutzdachverbandes BEUC: "Europa hat wirklich sehr viel Gutes für den Verbraucher gebracht." (picture alliance / dpa / epa /Julien Warnand)
    Jule Reimer: Am 11. Juli ist es soweit: Dann wird EU-Ratspräsident Donald Tusk gemeinsam mit dem japanischen Premierminister das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan unterzeichnen. Über die Vor- und Nachteile dieses Abkommens aus Verbrauchersicht wollte ich ursprünglich heute Morgen mit der Belgierin Monique Goyens sprechen, der Chefin des europäischen Verbraucherschutzdachverbandes BEUC. Angesichts der großen Auseinandersetzungen zwischen diversen EU-Nationalstaaten und der teilweise nicht besonders europa-freundlichen Stimmung in Deutschland fragte ich Monique Goyens jedoch als erstes, wie sie die derzeitige politische Krise aus Verbrauchersicht bewertet.
    Monique Goyens: Aus Verbrauchersicht ist das ja eigentlich eine kleine Katastrophe, weil Europa hat wirklich sehr viel Gutes für den Verbraucher gebracht, auch für den deutschen Verbraucher. Mehr Wahl, weil es einen größeren Markt gibt; mehr Sicherheit, weil es sehr strenge Regeln gibt, sei es bei Lebensmittelsicherheit, bei Chemikalien oder bei Medizin; und auch Fairness in Verbraucherverträgen. Wir finden, wenn das abgebaut werden würde, wäre das wirklich schlimm für den Verbraucher.
    Reimer: Nun hat aber die deutsche Bundesregierung auch gerade bei der Chemikalienpolitik immer mal gebremst.
    Goyens: Ja, natürlich! Aber das ist natürlich das Problem Europas. Man geht immer sehr langsam daran, weil ja immer irgendein Mitgliedsstaat bremsen will. Aber wir haben doch über die Jahre und die Jahrzehnte ein sehr gutes, sicheres System aufbauen können. Es ist natürlich nicht perfekt, aber ich bin immer, wenn ich nach Amerika gehe oder nach Australien, sehr stolz, sagen zu können, dass wir eigentlich eines der sichersten Systeme haben in der Welt.
    Freihandel mit Japan: Keine Zugeständnisse bei Datenschutz
    Reimer: Jetzt waren Sie als Verbraucherverband mit manchen Entscheidungen nicht ganz so glücklich – zum Beispiel, was das Thema Freihandelserträge anging. Da konnten Sie Vor- und Nachteile sehen. Wir rechnen jetzt damit, dass in der kommenden Woche das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Japan, kurz genannt JEFTA, unterzeichnet wird. Wie sehen Sie dieses Freihandelsabkommen aus Verbraucherschutzsicht?
    Goyens: Aus der Verbrauchersicht ist das Abkommen wirklich kein gefährliches Abkommen. Wir sind eigentlich ziemlich froh – aus zwei Gründen. Der erste Grund ist, dass die Schiedsgerichte außen vor sind. Das war ja eines unserer großen Probleme mit dem Handelsabkommen. Das waren die parallelen Justizsysteme, die da früher eingeleitet wurden.
    Reimer: Die zu Gunsten großer Investoren möglicherweise dann handeln konnten.
    Goyens: Ja, genau. Das war gefährlich für die Verbraucher und das war auch nicht nötig, und das ist auch nicht nötig mit Japan, weil beide Systeme, das europäische System und das japanische System, das sind gute Justizsysteme. Die Entscheidung, die die Kommission getroffen hat, um diese Schiedsgerichte nicht in dieses Abkommen reinzulassen, ist für uns wirklich die einzig richtige Entscheidung. Das war für uns wirklich schon ein positiver Punkt.
    Der zweite positive Punkt in diesem Abkommen ist, dass die Europäische Kommission keine Zugeständnisse zum Thema Datenschutz gemacht hat. Es gab so einen Trend in den letzten Jahren, dass der Transfer von Daten, auch von persönlichen Daten in Handelsabkommen geregelt würde, und das bringt aus der Verbrauchersicht natürlich ziemlich viele Risiken. Der Effekt, dass das jetzt nicht mehr im japanischen Abkommen steht, ist für uns auch wirklich eine sehr gute positive Neuigkeit.
    Reimer: Umweltverbände warnen davor, es könnte wieder das alte Thema Wasserprivatisierung aufkommen, dass das nicht ausreichend im EU-Handelsabkommen mit Japan abgesichert sei.
    Goyens: Das ist für uns wirklich ein Beispiel! Das Wasser ist ein Beispiel, warum die Menschen eigentlich Handelsabkommen skeptisch gegenüberstehen. Es wird manchmal so viel geregelt über das Handelsabkommen, dass nationale Kompetenzen eigentlich beschnitten werden. Das ist der Fall bei Wasser, das ist aber auch der Fall bei Verbraucherschutz, bei Gesundheit oder Lebensmitteln. Dafür möchten wir wirklich eine sehr limitierte EU-Kompetenz in Handelsabkommen haben, um solche Fragen, die nationale Kompetenzen sind, gar nicht aufkommen zu lassen.
    "Mit CETA behalten wir regulatorische Freiheit in Europa"
    Reimer: Könnten Sie uns bei den vielen anderen Abkommen, die die Europäische Union gerade verhandelt – es gibt eins mit Südamerika, was in der Pipeline ist; Neuseeland ist im Gespräch -, könnten Sie uns Beispiele nennen, wo Sie sagen, aus Verbrauchersicht müssten da eigentlich noch Dinge geändert werden? Haben Sie überhaupt Zugang zu diesen Texten?
    Goyens: Das ist eigentlich das Positive der letzten Jahre. Wir haben viel mehr Transparenz und das ist wirklich einer der Kritikpunkte der nationalen und europäischen Verbraucherverbände gewesen. Es war alles viel zu geheim. Jetzt haben wir Transparenz. Wir haben jedenfalls Zugang zu den europäischen Texten.
    Was wir sagen können, ist eigentlich, dass in diesen Abkommen nichts wirklich Gefährliches steht für die Verbraucher. Was uns aber fehlt, ist ein aktiver Verbraucherschutz. Man sieht die Handelsabkommen immer aus der Perspektive der Unternehmen oder der Industrie, und man stellt keine positiven aktiven Verbraucherschutzregeln in den Handelsabkommen auf. Das ist eigentlich für uns für die nächste Generation der Handelsabkommen nötig, wenn man wirklich ein inklusives Handelsabkommen verteidigen will.
    Reimer: In Verbindung mit CETA, dem Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada, gab es immer die Bedenken, dass die Begrifflichkeit - Dinge dürfen erst verboten werden, die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln - immer unter dem Vorbehalt steht, dies sei nur erlaubt, wenn etwas wissenschaftlich hundert Prozent erwiesen ist. Die Europäische Union sagt aber vom Prinzip her, wir bauen auf das Vorsorgeprinzip. Und es gab immer die Sorge, dieses Vorsorgeprinzip könnte ausgehebelt werden durch CETA. Sehen Sie weiter diese Gefahr?
    Goyens: Wir sehen diese Gefahr nicht, weil die Kooperation im CETA-Abkommen, die zwischen den Agenturen vorgesehen ist, im CETA-Abkommen nicht verpflichtend ist. Man kann keiner europäischen Agentur vorschreiben, dass sie das Vorsorgeprinzip nicht anwenden darf.
    Reimer: Mit Agentur meinen Sie jetzt was, bitte? Die Lebensmittelbehörde?
    Goyens: Die Behörden! Ja, genau.
    Reimer: Das heißt, da ist man doch auf der sicheren Seite?
    Goyens: Wir als Verbraucherverbände glauben, dass es wirklich in CETA viel besser geschrieben wurde als in dem jetzt natürlich toten TTIP. TTIP war viel verpflichtender für die Behörden in Europa als CETA. Wir denken, dass wir wirklich diese regulatorische Freiheit in Europa behalten werden, auch mit CETA.
    "Tarifsenkungen grundsätzlich gut für den Verbraucher"
    Reimer: Angesichts der Politik, die US-Präsident Trump betreibt, meinen Sie als Verbraucherverband, dass Europa gut daran tut, möglichst viele andere Freihandelsabkommen abzuschließen?
    Goyens: Das ist natürlich ein Problem, was da in Amerika passiert. Aber das soll nicht heißen, um das ein bisschen zu kompensieren, dass man jegliche Handelsabkommen durch die Parlamente jagen muss. Es muss immer eine Qualität bestehen und man muss nicht alles einfach akzeptieren, einfach nur, um ein Abkommen zu haben. Wir müssen noch immer hohe Normen haben, hohe Standards haben, und die müssen wir eigentlich durch die Handelsabkommen auch in der Welt durchdrücken, weil wir in Europa eigentlich global leitend werden könnten mit unseren Normen. Das haben wir gesehen mit dem Datenschutz, wo jetzt die Regelung eigentlich seit dem Facebook-Skandal wirklich als eine weltweite Regelung gesehen wird, und das müsste man eigentlich auch mit unseren Gesundheits- und mit unseren Sicherheitsnormen machen können.
    Reimer: Wir sehen, die Zölle gehen diesseits und jenseits des Atlantiks in die Höhe. Wie sind eigentlich Ihre Erfahrungen als Verbraucherverband mit Zollerhöhungen und mit Zollsenkungen? Überwälzen die Unternehmen eigentlich in jedem Fall Zollerhöhungen beziehungsweise geben sie auch Preissenkungen weiter, wenn Zölle sinken?
    Goyens: Tarifsenkungen sind natürlich grundsätzlich gut für den Verbraucher. Wenn man einen Wettbewerbsmarkt hat und da gehen die Kosten der Unternehmen runter, dann müssten eigentlich auch die Verbraucherpreise nach unten gehen. Aber was wir sehen ist: Die Beweise dazu sind eigentlich dünn und der Zusammenhang zwischen Tarifsenkung und Verbraucherpreissenkung hängt von vielen Faktoren ab. Die Kommission hier in Brüssel hat auch zugegeben, dass es ihr schwerfällt, genauere Angaben zu diesem Zusammenhang zu machen. Zum Beispiel wenn es eine Kostensenkung gibt, kann das eigentlich auch nur bei der Firma bleiben und nicht an den Verbraucher weitergeleitet werden. Da haben wir nicht Beweise, dass Tarifsenkungen auch Verbraucherpreissenkungen mit sich bringt. Aber mit Tariferhöhungen erwarten wir, dass eigentlich sofort, wenn die Kosten erhöht werden, diese auch durchgeleitet werden an den Verbraucher. Das wird natürlich jetzt noch ein paar Wochen dauern, ehe dass das sichtbar ist oder fühlbar ist, aber da haben wir wirklich sehr viel Angst vor, dass das die Konsequenz werden wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.