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Krise in Griechenland
"Die Lage ist sehr prekär"

Arbeitslosigkeit, Kinderarmut, Rückgang der Kaufkraft - der Vize-Präsident der Deutsch-Griechischen Industrie- und Handelskammer sieht in Griechenland eine Verschärfung der humanitären Lage. Trotz der Verbesserungen im Staatshaushalt sei der Konsolidierungskurs für die Gesellschaft besonders negativ, sagte Athanasios Syrianos im DLF.

Athanasios Syrianos im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 27.12.2014
    Athanasios Syrianos, Inhaber einer Brauerei und Vize-Präsident der Deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer in der Sendung "Maybrit Illner" im ZDF
    Athanasios Syrianos warnt vor Armut und sozialer Ausgrenzung von Opfern der Krise in Griechenland. ( imago / Metodi Popow)
    In Griechenland nähmen inzwischen viele Menschen an Solidarprojekten teil, um andere mit dem Nötigsten zu versorgen. Dennoch reiche das soziale System nicht aus, sagte Athanasios Syrianos, der auch Inhaber einer griechischen Brauerei ist. Unter der Krise litten vor allem Arbeitslose, Selbstständige, Kranke und Kinder. In einem Unicef-Bericht im April sei Armut und soziale Ausgrenzung von 700.000 Kindern in Griechenland festgestellt worden. Die Hälfte davon lebe in Familien, in denen kein Erwachsener Arbeit habe, so der Vize-Präsident der Deutsch-Griechischen IHK.
    Hohe Arbeitslosigkeit, hohe Steuern
    In Europa könne und dürfe man einer "humanitären Katastrophe solchen Ausmaßes" nicht allein mit Großzügigkeit und privater Solidarität begegnen, warnte Syrianos. Die Arbeitslosigkeit liege in Griechenland bei 27 Prozent, bei Jugendlichen betrage sie gar 60 Prozent. Die Erhöhung der Steuern habe zudem zu einem drastischen Rückgang der Kaufkraft geführt. Das derzeitige Insolvenzrecht erlaube es verschuldeten Bürgern nicht, sich aus ihrer Krise zu befreien.
    Hoffnungsschimmer ist laut Syrianos der Tourismus. Die Branche sei wieder gewachsen. Im Hinblick auf die Wahl eines neuen Präsidenten sagte Syrianos, er hoffe, dass Griechenland von einer politisch instabilen Lage verschont bleibe.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Am Telefon begrüße, guten Morgen nach Griechenland!
    Athanasios Syrianos: Schönen guten Morgen aus Athen!
    Zurheide: Ich frage Sie zunächst einmal, was wir gerade gehört haben, dieser Bericht über Suppenküchen, ist das eine Zuspitzung, ist das einseitig oder ist das etwas, wo man auch wirklich im Land spürt, das gibt es leider überall?
    Syrianos: Das spürt man überall, auch in der näheren Umgebung nehmen viele Teil an Solidarprojekten, um Menschen wirklich mit dem Nötigsten zu versorgen, unter anderem mit Lebensmitteln.
    Zurheide: Wie tief hat sich das eingefressen in die griechische Gesellschaft? Die wenigen Dinge, die unsereiner davon mitkriegt, die lauten schon: Es gibt in den Familien auf der einen Seite die Solidarität, aber es gibt eben auch immer mehr Bedarf, weil nach wie vor die Arbeitslosigkeit sehr, sehr hoch ist. Wie würden Sie das im Moment beschreiben?
    Syrianos: Ja gut, in Europa kann und darf nicht eine humanitäre Katastrophe solchen Ausmaßes stattfinden und dann alleine durch die Großzügigkeit und private Solidarität begegnet werden. Dass hier in Arbeit befindliche soziale Netz ist nicht ausreichend, wir brauchen ein neues. Betroffene dieser Krise, welche in eine hohe Gefahr geraten sind, in Armut und soziale Abgrenzung zu kommen, sind natürlich die Arbeitslosen, auch die Selbstständigen, die quasi arbeitslos sind, aber sich nicht arbeitslos melden können, Kranke, die eine medizinische Versorgung nicht erhalten können. Aber auch besonders Kinder. Kinder, man hat im April einen Bericht von der UNICEF veröffentlicht, in dem Armut und soziale Abgrenzung für 700.000 Kinder in Griechenland bekundet wird. Das hat mit der Arbeitslosigkeit der Eltern, vor allem Ein-Eltern-Haushalte und Mehrfamilienkinder, also Haushalte mit mehr als drei Kindern. Oder auch in Griechenland lebende Ausländer haben große Versorgungsprobleme. Die Hälfte davon, 300.000 Kinder leben in Familien, in denen kein Erwachsener Arbeit hat.
    "Wir brauchen ein neues Steuersystem"
    Zurheide: Das heißt, die Lage bleibt außerordentlich schwierig. Denn wir hören jetzt davon, ich habe es vorhin schon gesagt, dass man wieder an die Kapitalmärkte zurückkehren will, und der Regierungschef macht das einigermaßen optimistisch. Natürlich, in Pessimismus macht niemand gerne. Das heißt, die reale Lage ist nach wie vor sehr, sehr angespannt, das höre ich auch aus Ihren Worten.
    Syrianos: Ja, die Lage ist sehr prekär, trotz der imposanten Verbesserung im Staatshaushalt und der Erreichung wichtiger Ziele dieses Anpassungsprogramms war die Ausführung der finanziellen Konsolidierung für die Gesellschaft besonders negativ. Vor allem der Verlust von Arbeitsplätzen. Wir haben eine Arbeitslosigkeit bei 27 Prozent, unter Jugendlichen ist sie wesentlich höher, bei 60 Prozent. Aber auch die Erhöhung der Steuern hat ja zu einer drastischen Kürzung der Kaufkraft der Menschen geführt. Wir hören von der Regierung, dass circa ein Drittel aller Steuerzahler ihren Verpflichtungen nicht nachkommen können.
    Zurheide: Das heißt, die Kernfrage lautet ja immer in diesem Zusammenhang, so wurde es gesagt: Wir brauchen diese Art Rosskur und danach wird es besser. Jetzt habe ich gesagt, das Wirtschaftswachstum liegt bei 0,7 Prozent. Das wollen wir jetzt nicht gering schätzen, aber vorher sind 30 Prozent verloren gegangen. Wie schätzen Sie die Stimmung der Menschen ein? Ich will zunächst bei der Befindlichkeit mal bleiben, weil, das wird dann leichter werden, nachher über Politik zu reden. Die Befindlichkeit der Menschen, glauben die nicht daran, dass nach dieser Rosskur es irgendwann jetzt aufwärts geht? Oder sehen die das eher in einer Spirale, die Hoffnungslosigkeit wächst?
    Syrianos: Man wird wohl wahrscheinlich von mehreren Gruppen sprechen können, die die Situation unterschiedlich beurteilen. Wie eben gesagt, gibt es einen großen Anteil der Bevölkerung, die aus einer Verschuldungskrise nicht herauskommen. Das gegenwärtig in Kraft befindliche Insolvenzrecht gibt keinem die Möglichkeit, der seine Steuer nicht bezahlt hat, irgendwie wieder frei zu werden. Wir brauchen auch ein neues Steuersystem. Unternehmer, die bereits nach fünf Jahren Krise Verluste geschrieben haben, sind nicht in der Lage, diese vorzutragen. Das heißt, sie verlieren ihr Eigenkapital und damit ihre Existenz. Aber auch jetzt die Hoffnung, die aufkeimen könnte durch die Liberalisierung des Arbeitsmarkts, die ja auch eine größere Wettbewerbsfähigkeit in der Wirtschaft gebracht haben soll, war ja gepaart im Programm mit dem Wachstum an Exporten. Die Steigerung der Exporte ist aber nur bedingt zu erwarten, denn die Mehrzahl von großen Industriebetrieben gehören ja ausländischen Konzernen, die ein geringes Interesse auf Exporte haben. Denn wo sollen die exportieren? Dort haben die anderen Tochtergesellschaften, die agieren, und gleichzeitig sind diese größeren Betriebseinheiten im Markt, im griechischen Markt tätig. Und verhindert ja den Export von griechischen Markenprodukten, welche kleineren, lokalen Industriebetrieben angehören und die optimale Betriebsgröße nicht erreichen. Damit beißt sich die Katze in den Schwanz. Und man könnte die Löhne quasi auf null bringen, aber man wird diese Produkte nicht in den Weltmarkt bringen können.
    Zurheide: Das heißt, die einzige Hoffnung ruht im Moment auf dem Tourismus. Der ist allerdings wieder ein bisschen gewachsen, oder?
    Syrianos: Der ist kräftig gewachsen und man geht auch davon aus, dass wir 2015 - politische Krisen mal ausgeschlossen -, wird er weiterhin wachsen. Und ich glaube, das Potenzial ist sehr groß.
    Zurheide: Jetzt kommen wir auf die politische Lage. Der eigentliche Grund unseres Gesprächs ist ja die Frage, wird es eine Mehrheit für den Präsidentschaftskandidaten im dritten Wahlgang geben? Wagen Sie da heute eine Prognose?
    Syrianos: Ich wage die Hoffnung nicht zu verlieren, dass wir nicht in eine politische instabile Lage kommen. Die Wahl des Präsidenten ist natürlich jetzt ausschlaggebend. Man benötigt einen gewaltigen Satz von zwölf neuen abstimmenden Abgeordneten, die das ...
    Zurheide: 180 Stimmen braucht er und da fehlen noch zwölf.
    "Opposition wird wahrscheinlich stärkste Partei"
    Syrianos: Da fehlen noch zwölf. Und das kann die Regierung jetzt nicht aus irgendwelchen Unabhängigen herausfischen, da muss nun schon irgendwie eine der Parteien, die gegen das Programm gestimmt haben, stimmen. Und das scheint im Moment schwierig zu sein. Man kann die Hoffnung nicht aufgeben. Allerdings, wenn jetzt der Präsident nicht gewählt wird und wir in so eine Schieflage geraten, dürfte man ja das nicht nur auf die griechischen Abgeordneten abschieben, sondern man müsste ja eindeutig sagen, das Programm hätte dann versagt. Denn man hat den Druck auf die Regierung zu hoch gemacht, sodass das Programm nicht umsetzbar war.
    Zurheide: Die entscheidende Frage wird sein: Wenn es im dritten Wahlgang keine Mehrheit gibt, dann gibt es Neuwahlen. Und da gehen eigentlich alle von aus, dass dann die Opposition, die die ganzen Rettungspläne ablehnt, gewinnen wird. Ist das auch Ihre Prognose?
    Syrianos: Nein, das ist nicht meine Prognose. Die Opposition wird wahrscheinlich als stärkste Partei herauskommen. Die Frage der Regierungsbildung muss jetzt noch genau betrachtet werden. Es wird sehr viele Splitterparteien geben und die Griechen sind es ja nicht, wie andere westeuropäische Staaten gewöhnt, Koalitionsregierungen zu bilden. Und das wird der entscheidende Knackpunkt sein. Also nicht, dass die Fortsetzung der Konsolidierungsmaßnahmen abgebrochen wird, daran glaube ich nicht, dafür sind auch die Möglichkeiten nicht gegeben von der finanziellen Seite her, sondern dass eine Regierung gebildet werden kann überhaupt.
    Zurheide: Eine außerordentlich schwierige Lage in Griechenland, sie wurde uns gerade geschildert von Athanasios Syrianos, dem Vizepräsidenten der Deutsch-Griechischen Industrie- und Handelskammer. Ich bedanke mich heute Morgen ganz herzlich für das Gespräch, auch wenn es keine so guten Nachrichten sind. Danke schön und auf Wiederhören, alles Gute, danke schön!
    Syrianos: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.