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Krise in Griechenland
Keine Arbeit, keine Krankenversicherung

Langzeitarbeitslose fliegen in Griechenland automatisch aus der Krankenversicherung - und mit ihnen ihre Kinder. Weil das mittlerweile jeden dritten Griechen betrifft, gibt es soziale Arztpraxen, in denen sich Ärzte ehrenamtlich um Patienten kümmern. Wer jedoch ins Krankenhaus muss, hat ohne Versicherung mit monatelangen Wartezeiten zu rechnen.

Von Rodothea Seralidou | 20.01.2016
    In einer Gemeinschaftsklinik in Helliniko, Athen gibt ein Freiwilliger Medikamente an einen Patienten ohne Krankenversicherung aus. Hundert Apotheker und Ärzte arbeiten dort ehrenamtlich.
    In sozialen Arztpraxen und Kliniken in Griechenland werden Patienten ohne Krankenversicherung behandelt und bekommen Medikamente. (picture alliance / dpa / Orestis Panagiotou)
    Im Wartezimmer der sozialen Arztpraxis von Elliniko, im Süden der griechischen Hauptstadt. Wer hierher kommt, ist längst am Boden der Gesellschaft angekommen. So auch der 58-jährige Apostolos, ein großer Mann mit vollem grauen Haar und Brille. Der ehemalige Buchhändler erklärt:
    "Ich hatte zwei Geschäfte. Mit der Krise musste ich sie schließen. Dass ich noch lebe, verdanke ich dieser Arztpraxis. Ich habe Diabetes und hohen Blutdruck und komme einmal im Monat hierher, um meine Medikamente abzuholen. Ein gleichaltriger Freund von mir, der hatte weniger Glück. Er verstarb, weil er nicht zum Arzt konnte."
    Das, was Apostolos schildert, sei kein Einzelfall, sagt Katerina Papaggika. Die pensionierte Ärztin engagiert sich seit drei Jahren ehrenamtlich in der sozialen Arztpraxis. Rund 1.000 Patienten kämen im Monat, um hier kostenlos behandelt zu werden oder um ihre Medikamente zu bekommen - alles Spenden aus dem In- und Ausland.
    Doch der Zugang zur nötigen Medizin sei nur ein Problem, dass diese Menschen hätten, sagt die Ärztin. Das andere sei der Zugang zu den staatlichen Krankenhäusern. Zwar gebe es seit anderthalb Jahren die Möglichkeit, auch kostenlos behandelt zu werden, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen:
    "Damit ein unversicherter Patient in ein Krankenhaus eingewiesen werden kann, muss sein Anliegen von einem dreiköpfigen Chefarztkomitee überprüft werden. Und nur wenn dieses Komitee eine absolute Notwendigkeit sieht, nur dann kann er kostenlos behandelt werden. Das Ganze kann bis zur Genehmigung Monate dauern. Als Onkologin muss ich sagen: Bei einem Krebspatienten kann eine so lange Wartezeit bedeuten, dass er zum Zeitpunkt der OP schon Metastasen hat."
    "Regierung hat neuen Kürzungen im Gesundheitswesen zugestimmt"
    Die derzeitige linke Syriza-Regierung habe zwar versprochen, diese Bürokratie abzuschaffen und eine Gleichstellung zwischen Versicherten und Unversicherten zu schaffen. Doch bisher sei nichts dergleichen geschehen.
    "Wir denken, der Druck seitens der Geldgeber ist zu groß. Und diese Regierung hat nun mal das dritte Sparpaket unterschrieben und neuen Kürzungen auch im Gesundheitswesen zugestimmt. Da reicht ihr guter Wille alleine nicht aus, um etwas zu verändern. Wir geben aber die Hoffnung nicht auf und wir werden weiterhin für diese bedürftigen Menschen kämpfen."
    Für dieses Engagement wollte die Europäische Kommission die soziale Arztpraxis von Elliniko 2015 mit dem europäischen Bürgerpreis ehren. Doch die Praxis lehnte die Auszeichnung ab. Schließlich sei die EU als Verhandlungspartner mitverantwortlich für die Einschnitte im griechischen Gesundheitswesen, die die soziale Arztpraxis überhaupt notwendig machten, sagt Papaggika. Und mit der geplanten Rentenreform werde sich die Situation noch mal zuspitzen, befürchtet die Ärztin:
    "Von dem, was wir hören, sollen die Renten nochmals sinken, das Rentenalter soll angehoben werden und es soll schwieriger werden, überhaupt einen Anspruch auf Rente zu bekommen. Das wird bedeuten, dass noch mehr Menschen entweder gar keine oder nur eine kleine Rente beziehen werden und dadurch auch kein Geld für die nötigen ärztlichen Untersuchungen und Medikamente haben werden."
    Das befürchtet auch der 58-jährige Apostolos. Er wird nach heutigen Berechnungen in sieben Jahren in Rente gehen können - mit 65 und knapp über 1.000 Euro monatlich bekommen. Ob das auch nach der geplanten Rentenreform so sein wird, wagt er zu bezweifeln. Doch er nimmt es hin:
    "Wir können noch so laut dagegen protestieren, verhindern werden wir es nicht. Denn es fehlt nun einmal das Geld und das Land muss sparen. Das Problem ist aber: Die Griechen geben ihre Rente nicht für sich aus, sie helfen damit ihren Kindern und Enkelkindern. Werden also die Renten erneut gekürzt, wird das Folgen für die ganze Familie haben."
    Zumindest in dieser Hinsicht muss sich Apostolos keine Sorgen machen, sagt er erleichtert. Sein Sohn sei schon samt Frau und kleinem Kind nach Deutschland ausgewandert.