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Krise in Rußland spielt für Deutschland relativ kleine Rolle

Gerner: Herr Rexrodt, Karl Otto Poehl, der ehemalige Präsident der Bundesbank, sagt, die Russland-Krise werde in Deutschland den Aufschwung dämpfen und das Exportwachstum beeinträchtigen. Hat er Recht?

    Rexrodt: Recht hat er immer, aber es ist die Frage, in welchem Ausmaß diese Beeinträchtigung stattfindet, und da bin ich der Meinung, das wird keine sehr großen Spuren hinterlassen.

    Gerner: Das Heißt, eine Stelle hinter dem Komma?

    Rexrodt: Ja, eine kleine Stelle hinter dem Komma, eine kleine Spanne hinter dem Komma. Keiner kann das seriös genau berechnen, ob nun 0,1 oder 0,2 oder 0,3, aber in dieser Dimension dürfte sich das bewegen. Die Asien-Krise ist, obwohl weiter entfernt, für uns, was das wirtschaftliche Wachstum angeht, viel bedeutender als die Russland-Krise.

    Gerner: Herr Rexrodt, bislang wurde uns gesagt, die russische Wirtschaftskrise sei kein Risiko für Deutschland. Der Zeitung von heute kann man entnehmen, daß 50 000 Arbeitsplätze in Gefahr sind vor allem in den neuen Ländern. Wer hat uns da die Unwahrheit erzählt?

    Rexrodt: "In Gefahr" ist ein wager Begriff. Es gibt eine ganze Reihe Leute in den Medien ich lasse jetzt mal das Institut in Halle draußen vor, das ich für seriös halte , die mit dieser Zahl operieren, um ein Angstszenario entstehen zu lassen. Ich sage hier mit aller Deutlichkeit: Das ist nicht irgend etwas, was in Russland stattfindet; das ist bedrohlich, hat eine enorme Dimension, ist eine Staatskrise mit wirtschaftlichen Wirkungen, und so etwas kann uns auch beeinträchtigen, wenn es sich ausweitet im Sinne einer weltweiten Auswirkung auf andere Märkte. Dies scheint mir aber nicht der Fall zu sein. Unmittelbar sind die russischen Wirkungen gering, weil Russland insgesamt ein Prozent am Welthandel hat und weil unsere Export-Import-Verpflichtungen ungefähr zwei Prozent des Sozialprodukts ausmachen, des Gesamtexports ausmachen.

    Gerner: Der sächsische Wirtschaftsminister Schommer sagt, den Verlust von 50 000 Arbeitsplätzen werde es dann geben, wenn die Bundesregierung keine außenwirtschaftlichen Verpflichtungen übernehme. Sie haben sich nun bereiterklärt, weitere Hermes-Absicherungen in die Wege zu leiten. Gerhard Schröder sagt, keine weiteren Hermes-Bürgschaften.

    Rexrodt: Gerhard Schröder sagt meines Erachtens etwas, was falsch ist und auch gefährlich ist und mangelnde Sensibilität mit den Menschen im Osten erkennen läßt. Wir haben das ja schon einmal gehabt im Zusammenhang mit der Vereinigung. Ich sage und letztlich haben wir darüber zu befinden , wenn Russland seine Handelsverpflichtungen, seine Verpflichtungen aus Handelsbeziehungen weiter bedient und das ist signalisiert; ich will hoffen, daß es auch Realität wird , wenn dies der Fall ist, werden wir das Hermes-Instrumentarium offenhalten und damit auch weitere Geschäfte mit Russland möglich machen, denn dies ist notwendig, daß wir Russland in vertretbarem Umfang ohne Direktzahlung weiter helfen.

    Gerner: Das heißt, Herr Rexrodt, wenn Sie sagen, weitere Hermes-Bürgschaften, dann wollen Sie die deutschen Unternehmer auch ermutigen, weiter in Russland zu investieren trotz der augenblicklichen Lage?

    Rexrodt: Hermes sind Lieferverpflichtungen. Es gibt auch noch Kapitalanlagegarantien. Die würden wir auch übernehmen. Aber beides, sowohl die Lieferverpflichtungen wie auch die Investitionen, müssen von jedem Unternehmer auf den Einzelfall hin geprüft werden. Ich kann dort gar keine generellen Empfehlungen oder Nichtempfehlungen geben. Ich kann nur sagen, Russland ist ein riesiger Markt. Russland ist ein Stück Zukunft auch für uns als Kooperationspartner. Und wenn man Freunden in vertretbarem Umfang in der Not hilft, das zahlt sich aus in der Zukunft.

    Gerner: Herr Rexrodt, die neuen Bundesländer sind viel stärker im Russland-Geschäft als die Westdeutschen, zum Teil bis zu 60 Prozent. Die MTW-Werft in Wismar etwa hat zwei Drittel ihrer Aufträge in Russland veranschlagt, was das Jahr 1999 angeht. Werden Sie den Unternehmen in Ostdeutschland helfen, wenn das Russland-Geschäft zusammenbrechen sollte?

    Rexrodt: Erstens ist das nur bedingt richtig, daß die ostdeutschen Unternehmen stärker im Russland-Geschäft seien. Das gilt für einige Unternehmen. Richtig ist, daß die ostdeutschen Unternehmen ihre Märkte, auch ihre Exportmärkte in den letzten Jahren im Westen gefunden haben. Wir haben ja die meisten Lieferungen, die es nach Russland gibt, hermes-verbürgt. Ganz selbstverständlich ist, wenn eine Hermes-Bürgschaft fällig wird, dann wird sie natürlich auch gezahlt. Das ist doch gar keine Frage, die sich dort stellt!

    Gerner: Ich lese Ihnen einmal etwas vor aus der "Welt" von heute morgen: "Die Industrie- und Handelskammer Halle/Dessau", heißt es dort, "schlägt Alarm. Die Exporte nach Russland aus ihrem Einzugsgebiet seien zum Erliegen gekommen. Die Banken verweigerten Kredite für Russland-Geschäfte". Ist das in Ordnung?

    Rexrodt: Zum einen halte ich das nicht für generalisierbar, was die IHK in Halle dort sagt. Daß die Banken zögern, wenn es um Kredite geht, die sie im eigenen Obligo übernehmen, kann ich nachvollziehen, aber ich kann auch immer nur die Banken ermuntern, von Fall zu Fall zu prüfen und nicht von vornherein abzuwehren, wie das oft geschieht. Wenn es um Hermes geht, habe ich das notwendige gesagt.

    Gerner: Um das Thema der 50 000 Arbeitsplätze noch einmal zusammenzufassen: Sie sind der Meinung, es droht überhaupt kein Arbeitsplatz verloren zu gehen?

    Rexrodt: Nein. Man kann das nicht sagen. Eine Krise in einem so großen Land, mit dem wir verbunden sind über Exporte und auch über Importe, hat natürlich, wenn es dramatische Dimensionen annimmt, Wirkungen auch auf uns und unsere volkswirtschaftliche Entwicklung. Aufgrund der Volumina ist das aber eine relativ kleine Wirkung. Die Psychologie spielt noch eine Rolle, die will ich nicht unterbewerten, aber wir haben, was die Dinge jetzt angeht, nicht zu erwarten, daß es einen Einbruch beim Bruttosozialprodukt gibt oder daß es gar Bankenzusammenbrüche gibt. Das entscheidende ist doch und das war in Krisen in der Vergangenheit so , wenn durch Turbolenzen in einem Land oder einer Region Auswirkungen auf das Finanzierungssystem in anderen Regionen entstehen, sprich wenn Bankenzusammenbrüche ins Haus stehen oder wenn große Firmen kaputtgehen und dies ist nicht der Fall, ist nicht erkennbar. Es bleibt natürlich, daß das keine Entwicklung ist, die spurlos an uns vorübergeht. Die Spuren sind jedenfalls nicht so, daß wir als Volkswirtschaft akut vor Probleme gestellt sind.

    Gerner: Herr Rexrodt, was wird mit den Schulden, die Russland gegenüber Deutschland hat? Sollen sie gestundet werden? Muß der Steuerzahler am Ende einen Teil der Ausfälle bezahlen?

    Rexrodt: Russland hat eine hohe Schuldsumme. Die meisten Beträge stammen aus der Zeit der alten Sowjetunion. Die sind ohnehin über ein Moratorium umgeschuldet und werden fällig überwiegend in der Zeit nach 2006. Die "neuen Schulden", das sind über 20 Milliarden, sind zum ganz großen Teil hermes-verbürgt. Wenn Hermes fällig wird, wird Hermes übernommen. Aber es ist ja nicht so, daß wir unsere Schulden abschreiben können, und Russland muß alles daran setzen, über Reformen so weit zu kommen, daß wieder sogenannte "frash money" von außen zufließt, daß die Wirtschaft exportiert und dann auch die Schulden bezahlt werden können.

    Gerner: Stichwort Reform. Jetzt ist ja von einer Wirtschaftsdiktatur die Rede. Beschleichen Sie da ungute Gefühle?

    Rexrodt: Ja, das ist wahr. Ich weiß nicht, wie weit Herr Tschernomyrdin dieses Wort in den Mund nimmt, um in der Duma bestimmte Prozesse in Gang zu setzen in Richtung auf Kompromisse, aber eine Wirtschaftsdiktatur, also das Verwigern von Reformen und der Rückfall in die Staatswirtschaft, das wäre nun das letzte, was Russland sich leisten könnte, und dann würde mir wirklich Angst.

    Gerner: Ist Russland denn noch auf Reformkurs?

    Rexrodt: Ich habe Gelegenheit gehabt, mich mehrere Male auch länger mit Herrn Tschernomyrdin zu unterhalten und mit vielen russischen Politikern, die in der Verantwortung in den verschiedensten Positionen sind. Ich glaube, sowohl mit Blick auf Tschernomyrdin als auch die anderen, daß Reformen erkannt worden sind als eine Entwicklung ohne Alternative. Die Frage ist, wie schnell man dort vorankommt und wie entschieden, und da wird natürlich jetzt mehr auf das machbare geachtet. Wir müssen nur als internationale Institution und bilateral darauf achten, daß dieser Begriff des machbaren nicht dazu führt, daß es Stagnation oder sogar ein Zurückrollen gibt.

    Gerner: Zur Russland-Krise war das Günter Rexrodt, der Bundeswirtschaftsminister. Vielen Dank für dieses Gespräch nach Berlin und einen schönen Tag noch!