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Krise ohne Ende

Seit 255 Tage ist Belgien mittlerweile ohne Regierung. Auch ein monatelang agierender Vermittler konnte keine Einigung zwischen dem flämische Separatist Bart de Wever und dem französischsprachigen Sozialist Elio di Rupo erreichen. Jetzt ist der nächste Vermittler am Werk.

Von Doris Simon |
    So lange ist das schon her, 255 Tage genau, der flämische Separatist Bart de Wever und der französischsprachige Sozialist Elio di Rupo hatten die Wahlen in Belgien gewonnen. Beide Männer, die bis zu diesem Tag noch nicht einmal die Telefonnummer des anderen kannten, bekundeten guten Willen, natürlich werde man miteinander sprechen, und das mit der Bereitschaft, Belgien zu stabilisieren, versicherte am Abend des 13. Juni 2010 Sozialistenchef Elio di Rupo, dem da noch gute Chancen eingeräumt wurden, der erste französischsprachige Premierminister Belgiens seit vielen Jahrzehnten zu werden.

    Die belgische Politik wollte es dieses Mal besser machen als 2007: Vorneweg sollten die jahrzehntealten institutionellen Probleme angepackt werden, die Forderungen der Flamen ebenso ernst genommen werden wie die Sorgen der französischsprachigen Belgier. Belgien sollte nicht wieder in institutioneller Lähmung versinken.
    Separatistenchef Bart de Wever war sich sicher: Die Herausforderung sei enorm, gigantisch, nie gesehen. Aber er, so de Wever, glaube felsenfest daran, dass sie es schafften.

    Doch beide, Elio di Rupo und Bart de Wever, scheiterten mit ihren Versuchen, zwischen flämischen und französischsprachigen Parteien den erforderlichen Konsens herzustellen über eine Verlagerung von Macht, Geld und Zuständigkeiten weg vom belgischen Staat in die Regionen Flandern, Wallonie und Brüssel. Das gelang auch nicht dem angesehenen Vermittler Johan Vande Lanotte, trotz monatelanger Sondierungen.

    Mal gingen die Zugeständnisse der französischsprachigen Seite den flämischen Parteien nicht weit genug, mal wehrten sich vor allem flämische Christdemokraten und Separatisten gegen eine bessere Finanzausstattung der chronisch unterfinanzierten Hauptstadtregion Brüssel, mal lehnten die französischsprachigen Verhandler die flämischen Forderungen nach mehr Gesetzgebung und Geld für die Regionen ab. Es gab inzwischen Demonstrationen gegen den Stillstand, Männer ließen sich Protestbärte wachsen, Studenten haben die Frittenrevolution ausgerufen und ganz Belgien amüsiert sich über den Ruf einer flämischen Senatorin und Frauenärztin nach einem Sexstreik der Politikerfrauen.

    Das einzige, was fehlt, ist eine neue belgische Regierung. Dafür gibt es nun seit drei Wochen einen neuen königlichen Vermittler, zur Abwechslung ein französischsprachiger Liberaler, Finanzminister Didier Reynders, dessen Partei bisher nicht zu den Beratungen geladen war. Reynders versprach umgehend, sein Bestes zu geben, um Belgien aus der politischen Sackgasse zu führen, und räumte - Enttäuschung vorbeugend - ein, das werde ziemlich schwierig:

    Nun soll ausgerechnet der französischsprachige Liberalenchef Reynders einen Kompromiss finden für die Umschichtung von Macht und Geld im belgischen Staatsgefüge und für die Zukunft des letzten gemischtsprachigen Wahl- und Gerichtsbezirks Brüssel Halle Vilvoorde BHV. Dessen Spaltung fordern die flämischen Parteien seit Jahrzehnten, und es sind Reynders französischsprachige Liberale, die sich dagegen aufs heftigste wehren: Auch, weil sie in den flämischen Umlandgemeinden der Hauptstadt viele französischsprachige Wähler haben, die sie bei einer Spaltung verlieren würden. Und während Reynders noch sondiert und fragt bei den Parteien auf beiden Seiten der Sprachgrenze, hat sein Vorgänger als Vermittler jüngst einen ganz anderen Vorschlag lanciert: Neben Flandern, der Wallonie und Brüssel sollte eine vierte Region geschaffen werden, für die 70.000 deutschsprachigen Belgier im Osten des Landes. Ein interessanter Vorschlag von Johan Vande Lanotte mit dem Schönheitsfehler, dass er leider nicht die anderen jahrzehntealten institutionellen Probleme löst.

    Sicher scheint derzeit nur eines in Belgien: Die geschäftsführende belgische Regierung unter dem einst glücklos agierenden, abservierten, inzwischen aber zunehmend populären Yves Leterme – sie muss noch lange nicht die Schreibtische räumen.