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Krisenfeste Kooperativen

In Spanien erweisen sich Kooperativen als ausgesprochen krisenfest: Während anderswo Stellen gekürzt werden und Firmen Sparprogramme auflegen, floriert das genossenschaftliche Modell. Gerade für junge Menschen sind die Kooperativen eine Möglichkeit, zu arbeiten und im Land zu bleiben.

Von Julia Macher | 14.06.2013
    Eine Werkstatt in Barcelonas ehemaligem Arbeiterviertel Poble Nou. Vorsichtig entfernt ein junger Mann Farbreste von einer alten Tür, ein anderer schneidet einen Holzbalken zurecht: Aus der Tür soll ein Esstisch werden. In ein paar Tagen wird das Möbel im Schaufenster von L'Estoc stehen, versehen mit einer sorgsam an den Rand gepinselten laufenden Nummer als Zeichen seiner Einzigartigkeit.

    Knapp 130 solcher Recycling-Unikate hat der kleine Betrieb inzwischen gezimmert. Keine schlechte Bilanz für eine Firma, die ausschließlich geistig Behinderte beschäftigt - derzeit noch als Praktikanten, irgendwann einmal als vollwertige Mitglieder der Kooperative..

    "Der genossenschaftliche Gedanke passt einfach zu unserem Konzept: Wir sind eine Non-Profit-Gesellschaftsfirma mit einer sozialen Aufgabe. Die Jungs, die bei uns arbeiten, sollen natürlich auch Teil der Genossenschaft werden, aber das geht erst, wenn wir Gewinn erwirtschaften und ihnen ein Gehalt zahlen können. Damit wir ein gutes Produkt liefern können, müssen sie sich als Teil des Projekts fühlen","

    sagt Agrarökonom Jordi Mayals, der L'Estoc gemeinsam mit einer Innendesignerin und einem Tischler gegründet hat.

    Ihre Firma ist eine von 147 Genossenschaften, die im letzten Jahr in Katalonien entstanden sind. Seit 2008 steigt die Zahl der Neugründungen stetig an, spanienweit arbeiten inzwischen 275.000 Menschen in Kooperativen: von der Biohühnerfarm bis zur Onlinezeitung.

    Während traditionelle Unternehmen über die Kreditklemme klagen, hat sich im Windschatten der Krise ein reges Netzwerk aus kooperativen Kreditinstituten, Bürgschaften und Crowdfunding-Projekten gebildet, das genossenschaftliche Vorhaben gezielt fördert. Kooperativen, sagt Tischler und Ausbilder Manuel Fito, werden für immer Spanier mehr zur Alternative:

    ""Die Politik unternimmt nichts, also tun sich die Leute zusammen. Gemeinsam sind wir stärker, wir glauben an eine bessere Zukunft und holen die Kastanien selbst aus dem Feuer."

    Innendesignerin Sol Bucalo ergänzt:

    "Wer für sich selbst arbeitet, ist einfach flexibler: Wenn es kein Geld für Gehälter gibt, dann gibt es eben erst mal keins, fertig."

    So muss erst mal das Ersparte dran glauben: Krisenpragmatismus, der den Glauben an das Modell nicht erschüttert. Für die drei Gründer von L'Estoc war der feste Arbeitsplatz - beim genossenschaftlichen Modell hat der Erhalt der Stelle Priorität - mindestens ebenso wichtig, wie die Möglichkeit selbstbestimmt zu arbeiten und die Verantwortung zu teilen.

    Raus aus dem Hamsterrad
    Auch für Jordi Vinadé war die andere Arbeitskultur ausschlaggebend. Im April 2011 hat er sich mit zehn anderen Heilpraktikern, Hebammen, Ärzten und Psychologen zu COS zusammengeschlossen, einem alternativen Gesundheitszentrum, offen für alle Behandlungsmethoden: Von traditioneller chinesischer Medizin über Homöopathie bis zu Schulmedizin. Aus den ursprünglich 14 interessierten Familien, fast alles Freunde der Gründer, sind inzwischen knapp 500 Patienten geworden; in diesem Jahr wird COS voraussichtlich zum ersten Mal eine schwarze Null schreiben: eine Erfolgsgeschichte in Zeiten der Krisen. Jordi Vinadé:

    "Dass das kooperative Modell so wächst, ist eine logische Entwicklung. Bisher waren wir doch in einer Art Hamsterrad gefangen. Es ging darum, immer mehr auszugeben, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Dafür haben wir einen hohen Preis bezahlt: Wir haben unsere Entscheidungen von anderen treffen lassen, bei der Ernährung, der Energieversorgung, in der Arbeitswelt, im Gesundheitswesen. Das wieder rückgängig zu machen, ist nicht einfach."

    Im alternativen Gesundheitszentrum soll es anders laufen. Die Patienten können über die Entwicklung des Gesundheitszentrums mitentscheiden, als Mitglied der Genossenschaft, der sie monatlich Beiträge zahlen. Wenn das Interesse groß genug ist und es sich finanzieren lässt, könnten sie sich im COS eines Tages beispielsweise auch operieren lassen.

    Mehr verdienen würde Jordi Vinadé dadurch nicht. Wie alle Genossenschaftler bekommt er am Monatsende 1500 Euro brutto, sehr wenig im Vergleich zu seinem vorigen Salär. Aber tauschen, sagt Jordi Vinadé und lacht, käme für ihn nicht infrage. Um keinen Preis.