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Krista Sager nimmt Volmer in Schutz

Volker Wagener: Wer trägt die Schuld für einen folgenschweren Erlass im März 2000, durch den tausende Ukrainer, Russen und Weißrussen in den letzten Jahren oder in den Jahren danach durch eine einfache Visa-Änderung ohne Kontrolle nach Deutschland einreisen konnten? Die Frage steht schon jetzt in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem damaligen grünen Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer. Der hatte vor fünf Jahren auf einer Pressekonferenz in Berlin eine Korrektur beim Visumrecht verkündet: Im Kern sollte das Recht auf Reisefreiheit im Vordergrund bei der Genehmigung stehen. Sicherheitsbedenken wurden hinten angestellt, Innenminister Otto Schily hatte damals eindringlich vor den Konsequenzen gewarnt, die dann auch eingetreten waren. "Grünes Licht für Menschenhändler", titelte der Spiegel dieser Woche und dokumentierte eine Recherche, die den Grünen, vor allem ihrem Aushängeschild Joschka Fischer, noch schwer zu schaffen machen kann, vor allem, weil unter dem Visa-Erlass von 2000 die Unterschrift des Ministers steht. Mittlerweile beschäftigt sich der Bundestagsuntersuchungsausschuss mit den längst vergangenen Vorgängen um vereinfachte Visa. Sprengstoff für Rot-Grün in den Wahlkampfländern Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen und auch für die Bundesregierung. Am Telefon begrüße ich nun die Fraktionschefin der Bündnis-Grünen im Bundestag, Krista Sager. Frau Sager, für Asyl- und Zuwanderungspolitik ist der ehemalige grüne Otto Schily zuständig - leider, fanden und finden viele Grüne. Wollte Ihre Partei mit dem Visum-Erlass selbst ein bisschen Ausländerpolitik betreiben? Der Zugang dazu war ja die Besuchererlaubnis und wer in Deutschland nur besuchen wollte, oder will, darüber entscheiden ja immer noch die Botschaften und die unterstanden und unterstehen dem Fischer-Ministerium.

Moderation: Volker Wagener |
    Krista Sager: Dieser Erlass aus dem März 2000 wird aus meiner Sicht vollkommen falsch einsortiert und auch bewertet. Dieser Erlass galt ja für alle Auslandsvertretungen und nicht nur für Kiew oder für Moskau. Wenn es also dann zu kriminellem Visa-Missbrauch, vor allen Dingen in Kiew, aber auch in Moskau gekommen ist, dann kann das offensichtlich nicht ein unmittelbares Ergebnis dieses Erlasses sein. Außerdem ist zu diesem Erlass zu sagen, dass er nicht zustande gekommen ist, weil das irgendwelche grünen Parteitage beschlossen haben, sondern er ist entstanden, weil parteiübergreifend, auch von Abgeordneten der CDU und der FDP sich Klagen häuften über die Praxis der Visa-Vergabe und ich kann das als damalige Wissenschaftssenatorin noch sehr gut in meiner Erinnerung zurückrufen. Es gab unendliche Klagen von Wirtschaftsvertretern, von Wissenschaftsvertretern, Vertretern von Kirchen, von Sportorganisationen, von Kulturorganisationen, von Abgeordneten im Menschenrechtsausschuss, im Petitionsausschuss, dass die Visa-Praxis nicht mehr tragbar sei, weil hier sozusagen immer zu Lasten der Antragstellenden im Zweifelsfall entschieden wurde und die Formulierung "Im Zweifelsfall für die Reisefreiheit" heißt nicht immer, "Lasst sie mal alle kommen", sondern das war eingebettet in eine Formulierung, wo es hauptsächlich um Familienbesuche ging und wo gesagt wurde, wenn man den Einzelfall rechtsmäßig geprüft hat und Für und Wider bei der Frage, "Glaube ich an die Rückkehrbereitschaft?" sich die Wage halten, dann sollte man nur bei ganz gravierenden Zweifeln dagegen entscheiden und wenn es sich die Waage hält, dann soll man dafür entscheiden.

    Wagener: Darf ich Sie trotzdem mit zwei widerstreitenden Einstellungen dazu konfrontieren: "Das Ziel des Erlasses war eine Änderung der deutschen Ausländerpolitik", so der stellvertretende Referatsleiter im Auswärtigen Amt Wolfgang Manig, der an der Ausarbeitung beteiligt war. Mittlerweile haben sich schon Gerichte mit den Folgen dieses Erlasses befasst. In Köln zum Beispiel wurde ein Schleuser im vergangenen Jahr zu fünf Jahren verurteilt und der Richter sprach in seinem Urteil unter anderem von einem kalten Putsch gegen die bestehende Gesetzeslage. Wollte man die Folgen nicht sehen damals?

    Sager: Also ich glaube, wir müssen über andere Dinge reden, aber was den Visa-Erlass angeht, der hat die Rechtslage nicht verändert, sondern der Visa-Erlass hat im Grunde den Auslandsvertretungen - und zwar allen Auslandsvertretungen, nicht nur denen in Kiew - eine Handreichung gegeben, wie mit der Rechtslage umzugehen ist und es wird auch in dem Erlass ausdrücklich immer wieder betont, dass wir hier in einem Spannungsfeld uns bewegen zwischen der Abwehr illegaler Einreise und dem Wunsch, dass wir Geschäfte machen wollen, dass wir Freunde zu Besuch haben wollen, dass wir auch Touristen ins Land lassen wollen und dass wir auch wissenschaftliche und kulturelle Tätigkeit und internationalen Austausch ermöglichen wollen. In diesem Spannungsfeld hat dieser Erlass auf der Basis geltenden Rechts eine Handreichung gegeben. Dass das zu kriminellen Machenschaften ausgenutzt worden ist, vor allen Dingen in Kiew, das sind aus meiner Sicht andere Verfahren, die zum Teil auch in Auslandsvertretungen schon eingesetzt wurden unter der Kohl-Regierung und die dann durch sehr viel kriminelle Energie vor allen Dingen in Kiew unterlaufen oder missbraucht worden sind. Da geht es vor allen Dingen um die so genannten Reisebüro-Verfahren. Bei den Reisebüro-Verfahren ging es darum, dass gesagt worden ist und zwar auch schon unter der Kohl-Regierung in den 90er Jahren, wenn jemand Mitglied einer Reisegruppe ist, muss er nicht 100 Kilometer anfahren, um in einer deutschen Botschaft sein Visum persönlich zu beantragen, sondern das macht dann das Reisebüro für ihn. Und wenn dann aber fingierte Reisebüros gegründet wurden und Hotels gebucht worden sind, die dann später gar nicht angefahren worden sind und fingierte Busfahrten organisiert worden sind, die dann in Wirklichkeit nach Portugal und Spanien und Italien führten, wo die Reisemitglieder dann illegal gearbeitet haben, dann ist da natürlich schon eine kriminelle Energie dahinter gewesen, die erst im Ermittlungsverfahren erkannt wurde.

    Wagener: Aber wenn das alles so ist, wie Sie das darlegen, warum schweigt dann Joschka Fischer seit Wochen darüber? Es ist kein Wort von ihm zu hören.

    Sager: Das ist ja so, dass diese Fragen, die jetzt diskutiert werden und Gegenstand eines Untersuchungsausschusses sind, die sind schon mehrfach in den Ausschüssen des Bundestages auch in Debatten des Bundestages debattiert worden und es hat von der Opposition dazu 100 Anfragen gegeben. Diese 100 Anfragen sind alle beantwortet worden, die füllen Aktenordner, das Auswärtige Amt hat diese Dinge alle akribisch dargestellt, man kann das auch alles nachlesen. Wenn jetzt die Opposition sagt, "Das reicht uns alles noch nicht", dann wird Joschka Fischer diese Fragen im Untersuchungsausschuss beantworten.

    Wagener: Kann es sein, dass es sich hier um einen Konflikt, vielleicht auch nur einen unterschwelligen Konflikt zwischen dem ungeliebten Schily, den von den Grünen ungeliebten Schily und der grünen Partei zu lasten der geltenden Gesetze gehandelt hat?

    Sager: Auch im Innenausschuss ist ja ausgeräumt worden, dass der damalige März-Erlass aus dem Jahre 2000, dass der in irgendeiner Weise dem Schengen-Abkommen oder so etwas zuwider geht, sondern es wird explizit positiv gesagt, Schengen-Regeln gelten. Ich glaube auch, dass die Rolle des Innenministeriums oder auch die Rolle der Innenbehörden, zum Beispiel was die Missbrauchssituation in Kiew angeht, noch etwas komplizierter ist. Was zum Beispiel auch Gegenstand von kriminellen Missbrauchspraktiken gewesen ist, sind die so genannten Reiseschutzversicherungen gewesen, die Reiseschutzversicherungen zum Beispiel der Firma Kübler. Die sollten ein anderes Verfahren ersetzen. Es ging nämlich zum Beispiel bei der Visa-Erteilung auch darum, zu prüfen, dass den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern durch die Einreise einer Person keine Kosten entstehen. Das passierte durch Verpflichtungserklärungen von Einladern. Ob diese Einlader finanziell seriös und belastbar waren, das mussten die Ausländerbehörden der Länder prüfen, waren also den Innenbehörden der Länder unterstellt und die haben sich dabei oft sehr schwer getan und das war auch aus Sicht des Auswärtigen Amtes nicht so, dass das wirklich seriös geprüft war. Deswegen hat man dann bei diesen Reiseschutzversicherungen versucht, die Kostenrisiken auf große Versicherungsgesellschaften zu übertragen. Das war durchaus auch im Interesse der Innenbehörden und die Innenbehörden haben durchaus auch unterstützt, dass dieses Verfahren, was es auch schon in der Kohlregierung in einigen Ausländervertretungen gab, dass dieses Verfahren ausgeweitet wurde.

    Wagener: Was aber offensichtlich dann nicht so passiert ist, wie man sich das gedacht hatte...

    Sager: Nein, dann ist es diese Firma Kübler gewesen und gegen diese Firma Kübler wurden dann auch Ermittlungen eingeleitet. Die hat dann offensichtlich auch in Kiew wiederum dazu geführt, dass das Leute ausnutzen konnten und als die Ermittlungen gegen diese Firma anliefen, wurden dann auch diese Dinge gestoppt.

    Wagener: Bevor unsere Zeit ganz vorbei ist, muss ich Sie noch in einer anderen Angelegenheit, in einer anderen Dimension dieses Problems mit zur causa Volmer konfrontieren: Als Bundestagsabgeordneter hat Volmer offensichtlich Mandat und private Geschäfte miteinander verbunden. Über die Firma Synthesis, an der Volmer ja beteiligt ist, gibt es lukrative Verträge mit der Bundesdruckerei, die auch den Reiseschutzpass gefertigt hatte. Der CDU-Obmann im Untersuchungsausschuss, Eckhard von Klaeden nennt das die dreisteste Verquickung von Amt und Mandat, die ihm je untergekommen sei. Wie nennen Sie das?

    Sager: Ludger Volmer hat mit den Reiseschutzversicherungen überhaupt nichts zu tun gehabt. Die Behauptung, dass die Tätigkeit seiner späteren Firma mit der Auslandsabteilung der Bundesdruckerei, dass das irgendwas zu tun hat mit den Reiseschutzversicherungen, die Herr Kübler verkauft hat und die deswegen von der Bundesdruckerei gedruckt wurden, weil auch die Innenministerien ein Interesse daran hatten, dass diese privatwirtschaftlichen Papiere fälschungssicher waren, damit hat Herr Volmer nichts zu tun gehabt, mit dieser fälschungssicheren Druckerei dieser Versicherungsdokumente.