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Kritik am Zölibat
"Wenn Kirche sich nicht ändert, verfehlt sie ihren Auftrag"

Elf katholische Priester aus dem Rheinland haben in einem offenen Brief gegen den Zölibat Stellung bezogen. Einer der Unterzeichner, Pfarrer Wolfgang Bretschneider, sagte im Deutschlandfunk, es entstünden große Probleme, wenn ein Single in Ehelosigkeit leben müsse.

Wolfgang Bretschneider im Gespräch mit Christoph Heinemann | 27.01.2017
    Ein Pfarrer sitzt in einer Kirchenbank und betet.
    Ein Leben lang allein? Immer wieder wird Kritik am Zölibat laut. (dpa)
    Den Zölibat habe es nicht seit den Anfängen des Christentums gegeben. Er sei erst im Mittelalter eingeführt worden, erläuterte der Priester und Hochschullehrer für Kirchenmusikgeschichte. Er verwies zudem auf die heutige Ostkirche. Dort seien die Priester in der Regel verheiratet und nur die Bischöfe hielten den Zölibat. "Das ist ein großes Argument", betonte Bretschneider.
    Zudem sei die Ehelosigkeit von Anfang an eine Form für die Gemeinschaft, etwa im Kloster oder für eine Priestergemeinschaft, gewesen. Da sei der Zölibat seiner Meinung nach "sehr sinnvoll". Da könne er "Kräfte entfalten, da kann er für die Spiritualität besonders ergiebig sein".
    Doch er werde zum "Problem, wenn man ihn als Einzelner, als Single leben soll", warnte Bretschneider. "Da haben wir gesagt, 'liebe Leute' - also an die Bischöfe, Entscheidungsträger - 'überlegt bitte noch einmal, ob sich da in absehbarer Zeit etwas ändern kann'. Nicht als Vorwurf, sondern als eindringliche Bitte zu überlegen, mit zu suchen", betonte Bretschneider. Deshalb sei der Brief geschrieben worden.
    "Zölibat ist kein Wundermittel"
    Der Kölner Kardinal Rainer Maria Wölki habe bisher noch nicht reagiert, aber sein Generalvikar habe sich gemeldet und den Verfassern des Briefes gedankt, so Bretschneider. Er hoffe auf eine Änderung in absehbarer Zeit, denn er glaube, "dass es für die Kirche, für den Auftrag der Verkündigung, besser ist". Er sei sich aber auch darüber klar: "Das wird nicht die Lösung sein. Es gibt ganz andere Probleme." Ein Blick zur evangelischen Kirche, die kein Zölibat habe, zeige, "dass das nicht das Wundermittel" sei.
    Wenn die Kirche sich nicht verändere, verfehle sie ihren Auftrag, betonte Bretschneider weiter. Sie müsse sich wandeln, weil die Zeit sich wandele und mit ihr die Menschen und die Kultur. Es würden heute zudem Fragen aufgeworfen, etwa in Bezug auf den Populismus, die für Theologen hochgradig interessant seien und die Antworten erforderten.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: "Ich wäre gern Vater geworden." Das ist ein ungewöhnlicher Satz für einen katholischen Priester. Noch ungewöhnlicher für einen Erzbischof. Robert Zollitsch hat das 2008 gesagt, zu seinem Amtsantritt als Vorsitzender der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Und damit kratzte der Freiburger Katholik an der offiziellen Haltung der Weltkirche. Wer katholischer Priester werden möchte, verpflichtet sich zur Ehelosigkeit. Roma locuta, causa finita - diesen lateinischen Satz könnte man mit dem italienischen Wort "basta" übersetzen. Basta reicht allerdings längst nicht mehr. Der Verzicht auf Partnerschaft und Sexualität schreckt junge Menschen ab. Die Priesterseminare gleichen lehren Kästen. Und es mehren sich auch die Stimmen erfahrener Priester, die den verpflichtenden Zölibat infrage stellen.
    Der Münchner Pfarrer und Buchautor Rainer Schießler etwa, oder die elf katholischen Geistlichen, die heute in Düsseldorf gemeinsam ihr 50jähriges Priesterjubiläum feiern mit einer Messe und einem offenen Brief, den sie an die Gemeinde verteilen wollen. Sie blicken auf die Krise des Glaubenslebens in Deutschland. Sie werben dafür, dass verheiratete Männer und Frauen zum Priesteramt zugelassen werden.
    Einer von ihnen ist der Priester und Hochschullehrer für Kirchenmusikgeschichte, Professor Wolfgang Bretschneider. Guten Morgen.
    Wolfgang Bretschneider: Herzlich willkommen! Danke schön! Guten Morgen.
    Die Erwartung einer lebendigen, kreativen Kirche habe sich nicht erfüllt
    Heinemann: Herr Professor Bretschneider, ist Ihr Priesterjubiläum ein Grund zum Feiern?
    Bretschneider: In jedem Fall. Wenn es das nicht wäre, dann wäre ich vielleicht nach Florida oder Mallorca gefahren und hätte es mir da gemütlich gemacht. Aber weil wir in dieser Kirche in diesen 50 Jahren wirklich gute Erfahrungen gemacht haben und wir sie auch als eine Gemeinschaft erlebt haben, die eben lebt, wir waren inspiriert worden damals vom Konzil, das war wie ein Frühling, grandios, wir hatten Riesenerwartungen, auch Illusionen, wie sich nachher herausstellte, aber insgesamt unterm Strich, muss ich sagen, war das Ergebnis absolut positiv ermunternd.
    Heinemann: Sind die Erwartungen enttäuscht worden?
    Bretschneider: Zum Teil und zum Teil deshalb, weil wir wohl - im Rückblick kann man das dann sagen - übertriebene Erwartungen hatten. Wir hatten gedacht, wenn jetzt das Konzil sich durchsetzt, wenn wir wieder mehr an die Botschaft Jesu kommen, dann können wir das auch den Leuten besser vermitteln, die Leute werden Freude daran bekommen, sie werden Freude bekommen, eine lebendige, inhaltsreiche, kreative Kirche zu erleben, dann kommen sie auch wieder in die Kirche. Und diese Erwartung hat sich zumindest so nicht erfüllt.
    "Der alte Mann mit dem weißen Bart versperrt den Zugang zu Gott"
    Heinemann: Woran liegt das?
    Bretschneider: Das liegt an vielen Dingen. Es fängt an schon mal mit der Sprache, die wir gebrauchen. Die Botschaft bleibt dieselbe, Gott sei Dank, und wir sind der Meinung, dass diese Botschaft weiterhin und mehr denn je hoch aktuell ist. Wenn es um Frieden geht, Versöhnung, Gerechtigkeit, gegen Hass, gegen Populismus, gegen falsch verstandene Globalisierung, dann ist das eine Botschaft, die hoch aktuell ist. Nur die muss verständlich gemacht werden und da hat sich auch in unseren Erfahrungen gezeigt, dass die Sprache das so nicht mehr hergibt, dass wir viele Vokabeln benutzen, die früher mal gefüllt waren, die die Leute auch verstanden haben, aber heute irgendwo leer geworden sind. Deswegen haben wir auch in unserem Brief an zweiter Stelle gesetzt die Bitte, die Forderung, auch an der Sprache etwas zu tun, also zu überlegen, wie können wir die Botschaft Jesu ins Heute aktuell verständlich übertragen.
    Heinemann: Ein anderes Thema ist der verpflichtende Zölibat. Besteht, Herr Professor Bretschneider, ein Zusammenhang zwischen dieser Glaubenskrise, von der Sie schreiben, und der Verpflichtung zur Ehelosigkeit?
    Bretschneider: Wenn Sie sagen, Glaubenskrise, dann würde ich sagen, vielleicht an dritter oder vierter Stelle. Das primäre Problem, das wir haben - und das war der Grund unseres Briefes -, ist die Gotteskrise. Das heißt, dass wir erleben, dass in unserer Gesellschaft dieser Gott, den die Christen verkünden wollen, wo sie auch den Auftrag zu haben, zerbröselt. Dass Leute oft nicht mehr wissen, um welchen Gott geht es da, man braucht immer Bilder dazu, dass die Bilder nicht mehr überzeugen, dass immer noch der alte Mann mit dem weißen Bart dasteht, und das versperrt natürlich den Zugang zu dem wirklichen Gott. Wir haben und ich persönlich habe immer mehr erfahren, was ich über Gott sagen kann, dass er Geheimnis ist, den ich nicht irgendwie handhaben kann und genau zu wissen, was denn um diesen Gott ist. Gott ist für mich Geheimnis, aber ein anziehendes, faszinierendes Geheimnis.
    Zölibat werde zum Problem, "wenn man ihn als Single leben soll"
    Heinemann: Zum Brief gehört wesentlich das Thema auch des Zölibats. So ist es in der letzten Zeit auch dargestellt worden. So haben sich Ihre Mitbrüder auch geäußert. Wie haben Sie sich ein Leben im Zölibat vorgestellt, bevor Sie zum Priester geweiht wurden?
    Bretschneider: Natürlich haben wir das gewusst. Ich bin mir nicht sicher, wir haben auch viel im Semester darüber gesprochen, wie viele von uns den Zölibat freiwillig übernommen hätten. Das ist jetzt theoretisch zu fragen. Nur es ging nicht anders, wir wollten Priester werden. Das war das Primäre. Wir haben den Zölibat übernommen, wir haben ihn aufgenommen, wir haben auch versucht, ihn zu füllen, dass das nicht nur als Zwang ist. Das ist sehr unterschiedlich gelungen. Und es wurde dann natürlich auch immer bewusster, dass der Zölibat nicht das zentrale Thema ist, sondern er ist eine Form für die Verkündigung des Evangeliums. Und die Geschichte zeigt, dass es ja nicht immer so war. Die Verpflichtung ist ja erst gekommen im Mittelalter. Oder wenn man auf die ganzen Ostkirchen schaut. In der Regel sind die Priester verheiratet, nur die Bischöfe halten den Zölibat. Auch das ist ein großes Argument.
    Und ein zweites Argument: Der Zölibat war von Anfang an eine Form der Gemeinschaft, dass er in der Form der Gemeinschaft etwa des Klosters oder einer Priestergemeinschaft gelebt wurde, wie etwa hier in Bonn am Bonner Münster. Da waren 40 Geistliche, die lebten in einer Gemeinschaft. Da, denke ich, ist der Zölibat auch sehr sinnvoll. Da kann er Kräfte entfalten, da kann er für die Spiritualität besonders ergiebig sein. Das Problem wird, oder vielleicht das wichtigste Problem, wenn man ihn als Einzelner, als Single leben soll. Da entstehen Probleme und da haben wir gesagt, liebe Leute, Bischöfe, die Entscheidungsträger, überlegt bitte noch einmal, ob sich da in absehbarer Zeit nicht etwas ändern kann - nicht als Vorwurf, sondern als eindringliche Bitte zu überlegen, mit zu suchen. Deswegen haben wir unseren Brief geschrieben.
    "Das Zölibat ist nicht die primäre Frage"
    Heinemann: Wie hat denn Ihr Erzbischof zum Beispiel, Kardinal Woelki, auf Ihren Brief reagiert?
    Bretschneider: Er selbst hat noch nicht reagiert, jedenfalls nicht offiziell. Ich habe noch nichts bekommen.
    Heinemann: Nicht oder noch nicht?
    Bretschneider: Ich weiß es nicht. Wir haben ja heute unseren Weihetag. Vielleicht bekommen wir heute einen Brief. Aber sein Generalvikar hat sich gemeldet und das fand ich ermunternd. Er hat gesagt, ich danke euch, denn ihr habt euer Wort uns geschenkt, das heißt, die Erfahrung, die ihr in 50 Jahren gemacht habt, und wir sind auch in der Suchbewegung. Wir wissen es ja auch nicht. Und wenn ihr bereit seid, mit uns zu sprechen, euch auf den Weg zu begeben, um gemeinsam zu suchen auf Augenhöhe, ehrlich, authentisch, dann ist das gut. Das fand ich eine tolle Reaktion.
    "Die Kirche muss sich verändern"
    Heinemann: Erwarten Sie eine Änderung?
    Bretschneider: In absehbarer Zeit? - Ich hoffe darum. Ich hoffe darum, weil ich glaube, dass es für die Kirche, für ihren Auftrag der Verkündigung besser ist, wobei ich mir ganz klar bin, das wird nicht die Lösung sein. Es gibt ganz andere Probleme. Die Frage nach Gott ist die viel entscheidendere Frage. Dass das nicht das Wundermittel ist, zeigt ja zum Beispiel die Evangelische Kirche. Die hat keinen Zölibat und trotzdem wenden sich da auch Menschen ab. Das ist nicht die primäre Frage. Aber ich hoffe dennoch, weil ich glaube, dass dann auch noch junge Menschen angesprochen werden, die sagen, zum Zölibat bin ich nicht geeignet, ich schaffe das nicht, ja.
    Heinemann: Und dann käme ja noch die Priesterschaft für Frauen eventuell dazu. - Was passiert, Herr Bretschneider, wenn nichts passiert, wenn die Kirche so bleibt, wie sie ist?
    Bretschneider: Dann verfehlt sie ihren Auftrag. Kirche hat sich immer verstanden als eine Gemeinschaft, die sich verändert, die sich verändern muss. Es gibt ja dieses alte Wort: Ecclesia semper reformanda est. Die Kirche muss sich verändern, weil die Zeit sich verändert, die Menschen sich verändern, die Kultur sich verändert, die Dinge weiterlaufen. Und ich finde, wir stehen heute in einer wahnsinnig spannenden Zeit. Ich sehe das ganz positiv. Das fängt an mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaft, die Auswirkungen haben auf unser Gottesbild. Ich sehe es in der gesamten Politik. Wir erleben es jetzt mit Populismus, mit dem, was sich in den USA tut. Da steigen Fragen auf und das sind Fragen, die die Theologen hochgradig interessieren, interessieren müssen und darauf eine Antwort zu suchen, damit die Menschen besser leben können, damit mehr Frieden kommt, mehr Gerechtigkeit. Wir wollen keinen Gottesstaat, wahrhaftig nicht, aber wohl einen Staat mit Gott.
    "Kirche sind alle, die getauft sind"
    Heinemann: Aber das ist ja nicht nur ein Problem für Theologen. Müssen sich die Laien die Kirche wieder aneignen?
    Bretschneider: Das war das Konzil, das gesagt hat, die Kirche besteht nicht nur aus Priestern oder sogenannten Hochwürden, sondern Kirche sind alle, die getauft sind. Und an diesem Grundsatz, der ja am Anfang der Kirche steht, arbeiten wir wieder, damit er wirklich sich in alle Köpfe und alle Herzen einsetzt und damit wir, alle, die getauft sind, Kirche sind und sein können und Freude daran haben, Kirche zu sein. Das könnte ich mir sehr spannend vorstellen. Allerdings verlangt das Ehrlichkeit, Offenheit und, was wir auch festgestellt haben, es sind viele Ängste da. Das heißt, wenn wir das aufgeben, dann könnte das ins Wanken geraten, es könnte ins Rutschen kommen. Aber ich denke, wenn man ehrlich ist, sich auf Augenhöhe anschaut, mit Respekt, in Offenheit, dann kann das eine tolle Sache werden, und dann habe ich auch keine Angst um die Zukunft der Kirche.
    Heinemann: Der katholische Priester und Hochschullehrer Professor Wolfgang Bretschneider. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Bretschneider: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.