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Kritik an Auflagen für Fleischindustrie
"Es geht nicht nur allein um die Schlachtbetriebe"

Der FDP-Politiker Reinhard Houben kritisiert die beschlossenen Maßnahmen in der Fleischindustrie als reine Symbolpolitik. Es werde nur für einen kleinen Industriebereich eine Sonderlösung geschaffen, sagte er im Dlf. Probleme bei Saison-Arbeitern in anderen Bereichen würden außer Acht gelassen.

Reinhard Houben im Gespräch mit Sandra Schulz |
Reinhard Houben (FDP) spricht bei der 77. Sitzung des Bundestages. Thema der Sitzung ist der Jahreswirtschaftsbericht 2019
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Reinhard Houben appelierte im Dlf an den Verbraucher, gutes und lokales Fleisch zu kaufen (picture alliance / Kay Nietfeld / dpa)
Das Bundeskabinett hat nach den jüngsten Ausbrüchen des Coronavirus in der Fleischindustrie ein Verbot von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassungen in der Branche beschlossen. Von kommendem Januar an dürfen demnach nur noch Mitarbeiter des eigenen Betriebes Tiere schlachten und das Fleisch verarbeiten. Zusätzlich will die Regierung stärkere Kontrollen veranlassen, um die Arbeitgeber zur Einhaltung der Gesundheitsstandards zu zwingen. Die Unternehmen sollen auch zu einer digitalen Arbeitszeiterfassung verpflichtet werden. Das Bußgeld für Arbeitszeitverstöße soll auf bis zu 30.000 Euro verdoppelt werden.
Schlachtstraße in einem Schlachthof
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Die hohe Zahl der Corona-Infizierten in Schlachthöfen lenkt den Fokus auf die dortigen Arbeitsbedingungen. Die Strukturen begünstigen die Ausbreitung des Virus und auch die Politik trägt ihren Teil dazu bei. Doch warum häufen sich die Fälle gerade dort?
Reinhard Houben ist wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und kritisiert die Maßnahmen als reine Symbolpolitik. Die Gesamtproblematik bei den Saison-Arbeitern werde dadurch nicht angegriffen. Im Dlf empfiehlt er außerdem generell weniger Fleisch zu konsumieren. Er wendet sich aber strikt gegen eine Preisregulierung beim Fleisch, wie es etwa die Grünen fordern.
Habeck fordert Mindestpreis für Fleisch
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hat die Forderung seiner Partei nach einem Mindestpreis für Fleisch verteidigt. Die permanente Entwertung von Lebensmitteln müsse aufhören, sagte er im Dlf.
Das Interview im Wortlaut:
Sandra Schulz: Werkverträge und Leiharbeit sollen jetzt tatsächlich verboten werden – ab dem kommenden Jahr -, jedenfalls in diesen ganz großen Betrieben, in den Schlachthöfen, in denen jetzt diese Ausbrüche gespielt haben. Ist das richtig?
Reinhard Houben: Ich bin schon ziemlich schockiert, dass Minister Heil jetzt als weißer Ritter auftritt. – Zu den Fakten: Es hat am 27. und 28. November eine Sitzung der Arbeits- und Sozialminister in Rostock gegeben. Dort hat es einen Antrag gegeben des Schleswig-Holsteinischen Sozialministers Heiner Garg zu diesem Thema. Dort ist gefordert worden, was eben auch ausgeführt wurde, dass man den betrieblichen Arbeitsschutz auf alle Beschäftigten, auch auf Werkvertragsnehmer erweitern soll. Es ist beschlossen worden, dass auch privat angemietete Unterkünfte den Arbeitsstättenrichtlinien unterworfen werden müssen, und außerdem ist dort auch die digitale Zeiterfassung empfohlen worden. Das ist einstimmig beschlossen worden am 28. November 2019 in Rostock – einstimmig!
"Maßnahme für einen ganz kleinen Teil von Unternehmen"
Schulz: Das ist bestimmt wichtig auch zur Vorgeschichte, Herr Houben. Aber jetzt konkret auf diese Frage: Die Werkverträge sind ja nach wie vor Praxis in wohl 90 Prozent der Schlachthöfe. Ist das richtig, das jetzt einzudämmen?
Houben: Ja, meiner Meinung nach ist es eine Maßnahme für einen ganz kleinen Teil von Unternehmen – weiß ich nicht, in Deutschland 50 vielleicht. Aber dann wird es eine Rangelei geben: ist man noch Schlachtbetrieb oder ist man noch Lebensmittelbetrieb. Es wird hier eine sehr starke Symbolpolitik vor allen Dingen betrieben. Anstatt im November die einstimmigen Vorschläge umzusetzen, kommt man ein halbes Jahr später dann mit dem Thema um die Ecke. Herr Heil hätte Gelegenheit genug gehabt, diese Änderungen auch vorzunehmen, auch die jetzt beschlossenen für die Werkverträge.
Mich stört einfach die Zeitschiene und mich stört, dass jetzt Hubertus Heil so auftritt, als ob er plötzlich erkannt hätte, was es für ein großes Problem gibt, obwohl wir doch wissen, dass es seit Jahren diese Probleme gerade in den Schlachtbetrieben gibt.
"Das ist Zuständigkeits-Wirrwarr"
Schulz: Aber wenn Sie mit dem Timing so unzufrieden sind, dann stellt sich doch die Frage, warum das bisher überhaupt so eine breite Praxis in den Fleischbetrieben ist und war? Was ist da die Antwort des FDP-Politikers drauf?
Houben: Ja, das ist Zuständigkeits-Wirrwarr. Der Arbeitsschutz ist Ländersache. Die privat gemieteten Unterkünfte sind von den kommunalen Ordnungsämtern zu prüfen. Die Arbeitssicherheit – da kümmert sich die Berufsgenossenschaft drum. Und der Zoll kümmert sich um Schwarzarbeit und Mindestlohn.
Das hätte alles schon vernünftig geregelt werden können. Diese Probleme sind seit Jahren bekannt, und jetzt auf einmal tritt man auf und sagt, wir schaffen die große Gerechtigkeit und die große Befreiung einer bestimmten Gruppe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem EU-Ausland. Ich halte das für eine Nebelkerze. Es wird jetzt für einen ganz kleinen Industriebereich eine Sonderlösung geschaffen, aber die Probleme zum Beispiel bei den Saison-Arbeitern, wenn es um Spargel- oder Erdbeerernte geht, werden damit natürlich nicht angegangen. Die sitzen doch weiterhin in den schlechten, zu engen Unterkünften und man hat keinen Zugriff und kann nicht kontrollieren, ob dort der entsprechende Abstand gewährleistet wird. Es ist für mich – ich muss das leider so sagen – eine Symbolpolitik bei einigen wenigen Schlachtbetrieben in Deutschland. Die Gesamtproblematik wird dadurch aber leider nicht angegriffen.
Vorschläge der Länder hätten längst umgesetzt werden können
Schulz: Da sollte der Arbeitsminister dann auch jetzt schon mit durchregieren - verstehe ich Ihre Forderung da richtig -, was die Spargelernte, was die Erdbeerernte betrifft?
Houben: Ja, er sollte die Vorschläge, die ja die Länderminister ihm im November gemacht haben – die hätte er doch schon längst umsetzen können. Da geht es nicht nur allein um die Schlachtbetriebe.
Schulz: Okay. Das ist eine interessante Botschaft auch an unsere Hörer, dass das Missstände sind, die die FDP schon lange kritisiert, wenn ich Sie da jetzt richtig verstehe.
Houben: Ja.
Schulz: Lassen Sie uns weitergehen zu der Diskussion, die jetzt sich weiter in den Fokus schiebt: Die Diskussion auch um die Fleischpreise. Ich habe heute mal geschaut in ein aktuelles Discounter-Angebot. Da finde ich die Barbecue-Grillbox: Zwei Kilo Fleisch kosten 5,99 Euro, ein Kilo Grillfleisch drei Euro. Ist das ein guter Preis?
Houben: Das kann ich nicht beurteilen. Am Ende werden ja alle Geld daran verdienen. Sonst würde es das Produkt nicht geben. Wir sollten mal lieber die Frage stellen, welches Qualitätsniveau haben wir denn bei dem Produkt und unter welchen Bedingungen wird es hergestellt.
"Niemand wird in der Produktionskette und im Handel etwas verschenken"
Schulz: Wenn Sie sagen, Sie können es nicht beurteilen; Sie haben nicht den Anfangsverdacht, dass drei Euro vielleicht für ein Kilo Grillfleisch zu billig sein könnte?
Houben: Nein, es ist nicht die Frage, ob es zu billig oder zu teuer ist. Die Frage ist doch, wird damit Geld verdient, und es wird im Moment weiterhin damit Geld verdient, denn niemand wird in der Produktionskette und im Handel etwas verschenken. Davon können wir ausgehen.
Schulz: Sollte man an den Zusammenhängen was ändern, vielleicht auch vor der aktuellen Debatte, die wir führen?
Houben: Mein privates Konsumverhalten kann ich natürlich nicht anderen aufstülpen. Aber ich kann nur empfehlen, seltener Fleisch, besseres Fleisch, regionales Fleisch, und das ist dann auch teurer.
Schulz: Ich frage das, weil diesen Zusammenhang zwischen Fleischpreis und Tierwohl und jetzt auch den Arbeitsbedingungen, die stärker im Fokus waren, den sieht jetzt neuerdings auch die CSU. Die ist jetzt nicht unbedingt verdächtig, Bauern- oder Fleischwirtschaft in den Rücken zu fallen. Da sagt der Unions-Fraktionsvize Nüßlein, der unanständige Preiskampf beim Fleisch sei die Wurzel vieler Übel. – Hat er recht?
Houben: Nein. Unanständiger Preiskampf – dann sind wir bei dem unanständigen Preiskampf um die Butter oder, oder, oder.
"Es ist eine marktwirtschaftliche Preisgestaltung"
Schulz: Lassen Sie uns doch beim Fleisch bleiben. Das ist ja gerade unser Thema.
Houben: Ja, gut! Aber ich bin der festen Überzeugung, dass alle Unternehmen noch an den Produkten Geld verdienen. Wenn der Konsument für drei Euro – und dann müssen Sie ehrlicherweise noch die Mehrwertsteuer rausrechnen; dann werden die zwei Kilo ja im Preis noch bescheidener. Das kann natürlich nur funktionieren in einer industriellen Produktion sowohl des Fleisches selbst als auch durch eine industrielle Gewinnung des Produktes im Schlachtbetrieb und im weiterverarbeitenden Betrieb. Ganz klar!
Schulz: Wenn Sie das als Polemik abtun, dieses Wording unanständiger Preiskampf, dann müsste ja das Gegenteil stimmen. Dann müsste man ja sagen, dass die Preisgestaltung, so wie sie im Moment läuft, mit den Bedingungen für die Arbeiter, die wir sehen, mit den Bedingungen auch für die Tiere, wo ja vielerorts von Tierwohl keine Rede sein will, dann müsste man im Gegenschluss ja sagen, dass das eine anständige Preisgestaltung ist. Sehen Sie das so?
Houben: Nein, es ist eine marktwirtschaftliche Preisgestaltung.
Schulz: Und ist die anständig? – Wir wissen ja, dass der Markt auch anständig versagen kann.
Houben: Ich habe ja gesagt: Mein persönliches Konsumverhalten ist nicht so, dass ich ein Schnitzel kaufe, was in der Pfanne, wenn ich es brate, 30 bis 40 Prozent seines Volumens verliert. Das ist so! Aber am Ende muss der Konsument entscheiden, was er kauft, und wir können als Politik nicht dem Konsumenten vorschreiben, welches Produkt er kauft. Da sind wir halt anders als zum Beispiel Herr Habeck, der ja einen Mindestpreis gefordert hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.