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Kritik an der Vorrangstellung der USA bei der Internet-Kontrolle

Die deutsche Internet-Forscherin Jeanette Hofmann hat anlässlich des Internet-Gipfels in Tunesien das Gastgeberland kritisiert. Entgegen früherer Versprechen hätten tunesische Organisationen keine Möglichkeit zur Beteilung. Zufrieden äußerte sich Hofmann über die gestern erzielte Einigung über die künftige Kontrolle des Internets. Die Europäer hätten hier gegen die USA einen Sieg errungen.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Am Telefon ist nun die deutsche Internetforscherin Jeanette Hofmann vom Wissenschaftszentrum in Berlin, guten Morgen nach Tunis.

    Jeanette Hofmann: Guten Morgen nach Köln.

    Heinlein: Tunesien als Gastgeber des Weltinformationsgipfels, wir haben es gehört in kaum einem anderen Land der Welt ist die Zensur so allgegenwärtig. Hat man damit den Bock zum Gärtner gemacht?

    Hofmann: Ja, genau so würde ich das auch beschreiben. Die Situation ist hier wirklich bizarr. Entgegen aller Zusicherungen, die wir ja im Vorfeld bekommen haben, gibt es außerhalb des Gipfelgeländes keine Versammlungsfreiheit. Das bedeutet, dass all die tunesischen Nichtregierungsorganisationen, denen die Akkreditierung verweigert worden ist, keine Möglichkeit haben, sich selber an den Gipfelaktivitäten zu beteiligen. Wir hatten ja selber vor, auch außerhalb des Gipfelgeländes Veranstaltungen zu organisieren, damit tunesische Bürger auch teilnehmen können und das ist uns in jeder Form verwehrt worden. Nicht mal der deutsche Botschafter hier hat Zugang zu einer solchen Veranstaltung bekommen.

    Heinlein: Massive Behinderungen also für die Gipfelteilnehmer, Zensur und Beschränkungen gibt es im Internet in Tunesien. Wie muss man sich das praktisch vorstellen, wie ist eine Zensur im Netz in einem Land wie Tunesien überhaupt möglich?

    Hofmann: Das ist ganz einfach: man blockiert den Zugang zu bestimmten Webseiten. Man kann von hier aus sehr viele Informationen einfach gar nicht empfangen, man bekommt von hier aus zum Beispiel keinen Zugang zu französischen Tageszeitungen, die kritisch über Tunesien berichten. Hier gibt es keinen Zugang zu Le Monde zum Beispiel.

    Heinlein: Das Internet als demokratisches Datennetz für alle, das ist also nur eine Legende auf dem Papier?

    Hofmann: Auf dem Papier nicht, man kann ja schon immer auch solche Zensurmaßnahmen umgehen, aber es ist ein Kampf, der sich täglich neu abspielt und die Tunesier hier, kann man sehen, sind schwer frustriert. Sie haben sich halt erhofft, dass zumindest in der Zeit, wo der Gipfel hier tagt und die Weltaufmerksamkeit sich auf Tunis richtet, sie selber auf ihre Anliegen aufmerksam machen können und auch das ist ihnen verwehrt, weil der Zugang zu ihren Webseiten nicht gegeben ist. Anders als uns zugesagt wurde, können wir nicht mal vom Hotel oder vom Gipfelgelände auf diese Seiten zugreifen.

    Heinlein: Ist denn diese staatliche Zensur, wie Sie und die Tunesier sie gerade erleben, auch ein Hauptgrund für diese digitale Kluft, also das Auseinanderdriften der Informationsgesellschaften zwischen Industrie- und Entwicklungsländern?

    Hofmann: So würden wir das nicht sehen, also der Gipfel hat ja, was die digitale Kluft anbelangt wenig nach vorne bewegt, aber er hat doch allgemein das Bewusstsein verstärkt dafür, dass die digitale Kluft keine zwischen Nord und Süd und zwischen Demokratie du Diktatur ist, sondern sich eigentlich vollzieht zwischen denen, die Zugang zum Internet haben und kompetent genug sind, davon wirklich zu profitieren und denen, bei denen das nicht der Fall ist. Und diese Spaltung findet sich im Norden bei den entwickelten Ländern genauso wie hier im Süden.

    Heinlein: Wie kann denn diese digitale Kluft überwunden werden?

    Hofmann: Wir sprechen ja hier neuerdings von capacity building und das schließt vor allem Ausbildung der Bürger mit ein und eben Zugang zur Netzinfrastruktur, zu allen Formen der Kommunikationsinfrastruktur und das ist auch eine Frage der Investitionen. Als dieser Gipfel geplant wurde, gab es sehr viel Geld, das war vor dem Börsencrash 2000. Zu der Zeit waren alle ganz optimistisch, dass dieser Gipfel neues Kapital nach Afrika und auch nach Asien lenken würde, aber zu dem Zeitpunkt jetzt, wo der Gipfel stattfindet, sagen alle Länder und alle großen Unternehmen: wir haben kein Geld mehr. Und das ist ein etwas unglückliches Zusammentreffen, deshalb kommt dieser Solidaritätsfond zustande, der ja auf freiwilliger Basis eingerichtet wird.

    Heinlein: Aber ist es nicht eine Illusion zu glaube, man könne jedem überall auf der Welt einen Internetzugang finanzieren? Es gibt doch in Ländern, gerade in Afrika, ganz andere Prioritäten: Nahrung und Wasser.

    Hofmann: Der Gipfel hat ja gerade festgestellt, dass diese beiden Dinge eng zusammenhängen, dass sich auch die praktische Lebenssituation, die Einkommensmöglichkeiten vieler Bürger verbessern würden, wenn sie Zugang zu diesen Technologien haben. Auch das Gesundheitssystem, die einzelnen Bürger profitieren durch diese Technologien. Eine Illusion ist es schon deshalb nicht, weil Kosten für die Einrichtung einer solchen Infrastruktur ständig sinken in den letzten zehn Jahren, also die Kosten, das Kapital, was man aufwenden muss, um die Bürger zu vernetzen, sinkt. Aber leider ist auch die Bereitschaft zu investieren gesunken in den letzten Jahren.

    Heinlein: Gestern Abend bereits vorab vor Beginn des Gipfels die Einigung über die künftige Kontrolle des Internet. Ist das, was man nun ausgehandelt hat, für Sie eine tragfähige Lösung in diesem lange geführten Streit?

    Hofmann: Ich glaube, dass wirklich alle Seiten sehr zufrieden sind mit dieser Lösung. Zum einen muss man sehen, dass dieser Abschlusstext sehr viele Formulierungsvorschläge der Europäer aufgreifen wird. Er sagt zum Beispiel, dass alle Staaten anerkennen, dass künftig stärker kooperiert werden muss und dass alle Regierungen dabei auf gleicher Basis zusammenarbeiten müssen. Insofern - indirekt ist doch eine starke Kritik im Text zu finden an der Vorrangstellung, die die USA bisher bei der Verwaltung der Netzinfrastruktur einnehmen. Da haben die Europäer tatsächlich einen Sieg errungen. Was nicht erwähnt wird oder wo der Deklamationstext vage bleibt ist bei der Frage der institutionellen Form: Welche Form wird diese künftige Kooperation einnehmen? Das einzige, worauf man sich da hat einigen können, ist dass der UN-Generalsekretär eine initiierende und möglicherweise auch kontrollierende Rolle einnehmen wird, aber darüber hinaus hat man sich auf nichts festlegen können, das heißt, die künftige Ausarbeitung dieser Vorschläge ist doch ein Kampf gegen den Wind, weil vor allem die Amerikaner wenig Interesse daran haben, dass diese verstärkte Kooperation auch tatsächlich zustande kommt. Zweitens bekommen wir ja dieses Forum, das ist auch etwas, was die Europäer stark unterstützt haben, das heißt, es wird ein neues Organ geschaffen, wo alle, wie man hier sagt Stakeholder, alle Interessen- und Akteursgruppen künftig zusammenarbeiten und sich über das Internet verständigen können. Damit ist auch eine neue Qualität der Öffentlichkeit in der Berichterstattung über das Internet geschaffen.

    Heinlein: Sind aber nicht gerade Länder wie Tunesien oder Nordkorea und China, dort wo staatliche Zensur ausgeübt wird, ein Beleg dafür, dass die amerikanische Internet-Hegemonie, ihre Vorherrschaft und Kontrolle, vielleicht doch nicht so schlecht ist?

    Hofmann: Ich glaube nicht, dass das die Alternative ist. Man reduziert es ja gerne in einer politischen Auseinandersetzung auf die schlechteste und die beste Lösung. Ich glaube, wir haben genug Flexibilität und Handlungsmöglichkeiten, um das Terrain dazwischen auszuloten und das ist eben nicht entweder ein unilaterales Regime durch die Amerikaner oder eine Kontrolle durch Diktaturen wie China. Es gibt da jede Menge dazwischen und dafür ist dieses Forum gut, um genau diese Details auszuarbeiten und sich darauf dann auch zu einigen.

    Heinlein: Aber dieser Kompromiss, der jetzt gefunden wurde vorab in Tunis ist in jedem Falle ein Schritt in die richtige Richtung, auch aus Ihrer Sicht?

    Hofmann: Das ist mehr, als wir in den letzten Tagen erwartet hätten. Es sah zwischenzeitlich tatsächlich so aus als würde jeder indirekte Verweis auf die Frage der politischen Kontrolle der Autorität über die Netzinfrastruktur auf dem Abschluss des Konvent getilgt werden.