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Kritik an italienischer EU-Ratspräsidentschaft

Jochen Spengler: Wir bleiben beim Rückblick auf ein halbes Jahr EU-Vorsitz durch Silvio Berlusconi. Am Telefon ist die italienische Europaabgeordnete der Grünen, Monica Frassoni. Hat denn, Frau Frassoni, in Ihren Augen Berlusconi Europa in irgendeinem Punkt vorangebracht?

    Monica Frassoni: Wirklich nicht, aber ich muss auch sagen, dass es für ihn und auch für viele andere sehr schwierig gewesen wäre, Europa ein wenig voranzuziehen, weil Europa jetzt in einer Krise ist. Man kann dies nicht mit sechs Monaten Präsidentschaft ändern.

    Spengler: Nun ist ja Berlusconi Ihr politischer Gegner, das könnte Ihnen ja ganz recht sein, denn nun sehen alle in Europa, wozu er imstande oder wozu er eben nicht imstande ist. Oder sind Sie soweit italienische Patriotin, dass Sie sein Versagen eher ärgert?

    Frassoni: Ich glaube, ich bin ein wenig gespalten. Weil ich überzeugt bin, dass Herr Berlusconi weder für Italien noch für Europa gut ist. Es ist irgendwie gut, dass auch die anderen Länder gesehen haben, wie er regiert, nicht nur Italien sondern auch Europa. Aber natürlich bin ich traurig, weil diese sechs Monate sehr wichtig waren, vor allem für die Verfassung. Ich glaube, dass wir vielleicht ein besseres Ergebnis für die Verfassung gehabt hätten, wenn Italien eine normale italienische Präsidentschaft gehabt hätte.

    Spengler: Das heißt eine andere Ratspräsidentschaft hätte möglicherweise die Europäische Verfassung durchgebracht?

    Frassoni: Nicht jede Präsidentschaft, ich glaube, dass es einige Länder gibt, die eine größere Verantwortlichkeit für die Einheit Europas haben als andere. Was ich meine ist, dass Italien immer ein Land war, das sehr viel für Europa gearbeitet hat und total einverstanden mit einem föderalen Europa war. Natürlich, wenn andere Länder, wie zum Beispiel Spanien oder Dänemark oder auch England die Präsidentschaft gehabt hätten, dann wäre die Sache wirklich nicht besser gewesen.

    Spengler: Ist dieses Scheitern, das Scheitern des Verfassungsgipfels für Sie die größte Niederlage im letzten halben Jahr?

    Frassoni: Ja, ich glaube, dass das eine große Niederlage ist. Natürlich ist die italienische Präsidentschaft nicht allein schuld. Aber ich glaube, wenn man die Sache ein wenig im Allgemeinen sieht, war die größte Niederlage der italienischen Präsidentschaft die, Europa nicht stärker und einheitlicher zu machen. Das wäre in sechs Monaten möglich gewesen.

    Spengler: Wenn Sie nun dieses Scheitern der Verfassung charakterisieren, wie würden Sie das bezeichnen, ist das eine Katastrophe oder ist das doch nicht ganz so schlimm?

    Frassoni: Ich glaube, dass das eine große Krise ist, aber wie bei allen Krisen kann man etwas Besseres haben. Ein schlechte Verfassung wäre für uns natürlich schwieriger gewesen als keine Verfassung im Dezember. Aber das Problem, das wir jetzt haben, ist, dass wir nicht nur keine Verfassung im Dezember haben sondern überhaupt keine Verfassung haben. Das wäre natürlich ein Problem.

    Spengler: Das heißt Sie glauben nicht, dass im nächsten halben Jahr unter irischer Präsidentschaft sich irgendetwas positiv verändert in Sachen Verfassung?

    Frassoni: Ich glaube, wenn wir etwas machen wollen, dann müssen wir das sofort machen. Wir haben das der irischen Präsidentschaft gesagt und ich hoffe, sie werden etwas bewegen. Mein Problem hiermit ist natürlich, dass die Regierungskonferenz als Instrument die Verfassung einbringt, dies ist nicht das Beste. Ich glaube, dass wir den Konvent noch mal wiederholen müssen, bald, schnell, um diese Krise zu lösen.

    Spengler: Was sollte denn dieser Verfassungskonvent jetzt noch tun? Er hat doch seine Aufgabe erledigt.

    Frassoni: Ich glaube, dass wir, wenn wir jetzt in den nächsten zwei Wochen den Konvent wiedereinberufen und sagen, o.k., es gibt zwei oder drei Probleme mit der Entscheidungsmethode, die der Konvent gefunden hat. In dem Konvent gibt es Parlamentarier, gibt es Regierungen, o.k.. Sie haben einen Monat, um eine neue Übereinkunft zu finden. Ich glaube, dass wäre demokratischer, transparenter und klarer als eine andere Regierungskonferenz, die für alle Regierungen jetzt ein wenig gefährlich ist, denn wenn sie wiederum zu keinem Ergebnis kommen, dann haben wir eine große politische Krise.

    Spengler: Aber, Frau Frassoni, Sie haben keine Anhaltspunkte dafür, dass es zu so einer Wiedereinberufung des Konvents kommen wird, oder?

    Frassoni: Nein, natürlich, das ist ein wenig schwierig, aber was ich meine, ist, dass ich nicht überzeugt bin, dass die Regierungen das alleine lösen werden. Da ich Politik mache, muss ich die beste Lösung für mich suchen und dann, wenn Sie mich fragen, was ich jetzt machen würde, wenn der Konvent nicht wiedereinberufen wird, dann würde ich eine große Veranstaltung von allen nationalen und dem Europäischen Parlament organisieren, weil, wie gesagt, ich wirklich nicht glaube, dass wir mit einer anderen Regierungskonferenz etwas lösen würden. Ich glaube, wir müssen die ganze Sache jetzt bewegen.

    Spengler: Was auf jeden Fall feststeht, ist, dass ab ersten Mai 2004 die EU zehn neue Mitglieder hat. Dann also insgesamt 25 Staaten umfasst. Die gescheiterte Verfassung sollte die EU ja nicht nur transparenter und demokratischer sondern vor allen Dingen auch regierbarer machen. Ist die EU ab Mai noch regierbar?

    Frassoni: Ich glaube, dass die EU jetzt wirklich weniger regierbar ist als vor sechs Monaten, weil die Gefühle nicht positiv sind. Wenn Sie sehen, warum zum Beispiel die Spanier und die polnische Regierung nicht für die Verfassung waren: Sie dachten, dass sie den Entscheidungsprozess nicht einfach genug blockieren könnten. Das heißt sie wollen ein System haben, das die Blockierung einfach macht und das geht einfach nicht. Wenn wir diese Art von Meinungen und Gefühlen haben, dann können wir wirklich nicht einfach weitermachen. Deswegen habe ich gesagt, dass das, was die italienische Regierung in diesen sechs Monaten nicht gemacht hat, gerade das ist, Europa nicht mit einem besseren Gefühl weitergehen zu lassen.

    Spengler: Angesichts dieser doch miserablen Analyse, im Juni wird das Europaparlament neu gewählt. Mit welchen Argumenten überreden Sie denn Ihre Freunde doch wählen zu gehen?

    Frassoni: Wir haben zwei Instrumente gefunden um das zu tun und dieses Ergebnis zu erreichen. Erstens: Wir sind überzeugt als Grüne in Europa, dass ein Teil der europäischen Bewegung, die uns wählt, Europa liebt, denkt, dass Europa notwendig ist und deswegen müssen wir den Weg zeigen, um dieses Europa besser zu machen. Das werden wir natürlich in unserer Wahlkampagne machen, denn ich bin überzeugt, dass die Leute heute wirklich nicht ohne Europa leben können. Das zweite Argument, das wir natürlich benutzen werden, ist, dass die Demokratie auch für Europa notwendig ist und dass das Europäische Parlament nicht nur ein schönes Ideal oder eine folkloristische Versammlung ist sondern auch ein notwendiges Element um die europäische Demokratie weiterzutreiben.

    Spengler: Danke schön für das Gespräch. Das war Monica Frassoni, italienische Europaabgeordnete der Grünen.