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Kritik an Rürup-Kommission

Liminski: Die letzten Wochen und Tage waren für den Professor aus Darmstadt nicht immer einfach, sobald ein weiteres Detail aus der Arbeit der nach ihm benannten Kommission bekannt wurde, gab es andere Experten oder Verbandfunktionäre, die dagegen hielten. Die Kritik nahm überhand, selbst der Kanzler distanzierte sich, allerdings mit dem Hinweis auf eine nicht zu überbietende metaphysische Ebene, der Bericht einer Kommission sei keine Bibel, sagte er. Wie immer, die Kritik war so stark, dass eine Zeitung diese Woche titelte: "Rettet Rürup". Nun ist der schon vorher bekannte Bericht also da, er wird von Fachleuten genauestens angeschaut werden, eine haben wir am Telephon. Es ist die Sozialministerin von Niedersachsen, Ursula von der Leyen. Sie war auch Mitglied in der Konsensrunde zur Gesundheit und ist Mitglied der Herzog-Kommission, die für die Union Vorschläge für die Reform der Sozialsysteme erarbeitet. Frau von der Leyen, alle sind gegen Rürup, werden auch Sie sich am Rürup-Bashing beteiligen?

    von der Leyen: Ich denke, man sollte einen Entwurf, der vorgelegt wird, nicht vorverurteilen, bevor man ihn gelesen hat. Was mich allerdings misstrauisch macht, ist die Tatsache, dass Herr Rürup seit etwa sieben, acht Jahren fast jede Rentenreform begleitet hat. Er hat zum Beispiel maßgeblich die Riesterreform mit gestaltet und die ist gescheitert, so dass ich, ehrlich gesagt, nicht allzu viel erwarte.

    Liminski: Zur Rente, sie haben es eben genannt, das Thema das alle umtreibt, denn die Mathematik ist ja auch unbarmherzig, es kann nicht mehr gezahlt werden, als rein kommt. Weniger Beitragszahler, aber mehr Leistungsempfänger und diese auch für längere Zeit. Also, es kommt immer weniger rein, es fließt aber immer mehr raus. Wie wollen Sie, das heißt die Union, die Logik der Mathematik außer Kraft setzen? Hat man in der Herzog-Kommission vielleicht schon das Ei des Kolumbus für die Rente gefunden?

    von der Leyen: Also, in der Herzog-Kommission werden wir am 6. Oktober gebündelt die Ergebnisse präsentieren und das unterscheidet die Herzog-Kommission von der Rürup-Kommission, wir schweigen bis dahin, damit eben im Gesamtwerk unsere Vorstellungen dargestellt werden können.

    Liminski: Sie waren Mitglied in der Konsensgruppe für Gesundheit, soll es eine Konsensrunde für die Rente geben?

    von der Leyen: Ich denke, die Regierung wird im Herbst vor den Scherben einer verfehlten Rentenpolitik stehen. Es ist verhängnisvoll, wenn wir am Rande dieser Debatte, die unter dem hohen ökonomischen Druck des Finanzministers entzündet worden ist, jetzt ganz schnell eine langfristige Reform basteln würden. Mit anderen Worten, es wird mit Sicherheit im Herbst keine Konsensrunde zur Rente seitens der Union geben. Im nächsten Jahr wird man eine langfristige Reform sicherlich verabschieden müssen. Aber, man muss an diesem Punkt auch mal die Frage stellen, wie die Regierungsfähigkeit einer Partei noch gegeben ist, wenn sie zur Veränderung und zur Reform dann stets die Opposition als Geburtshelfer braucht.

    Liminski: Im Zusammenhang mit den Rürup-Vorschlägen ist immer wieder von einer Erhöhung des Renteneinstiegsalters die Rede. In Frankreich hat man sich bei der Rentenreform im Frühsommer auf eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit geeinigt. Wofür plädieren Sie?

    von der Leyen: Ich denke, man darf nicht undifferenziert ein Renteneinstiegsalter mit 67 Jahren starr vorschreiben. Ich tendiere mehr dazu, zu sagen, die Lebensarbeitszeit muss stimmen, es gibt nun mal Berufe, da fängt man relativ früh an, auch früh an einzuzahlen, die sind verbunden mit harter körperlicher Arbeit und da sind dann zu einem früheren Zeitpunkt zum Beispiel 45 Rentenjahre zusammengearbeitet worden. Es gibt andere Berufe, da fängt man später an und da kann man durchaus auch länger arbeiten. Insofern, das starre Renteneintrittsalter von 67 halte ich für falsch, die Lebensarbeitszeit ist der richtige Berechnungsfaktor.

    Liminski: Stichwort Rentenkürzung, soll sie für alle gelten und weiterhin nur lohnabhängig sein oder soll sie auf das Gesamteinkommen eines Haushaltes berechnet werden. Konkret, soll die Erziehungsleistung stärker berücksichtigt werden?

    von der Leyen: Die Erziehungsleistung muss in Zukunft stärker berücksichtigt werden. Es zeigt sich, dass meine Generation, die jetzt 35 bis 55 Jährigen, das wir ein Problem haben, denn in unserer Generation gibt es einen Teil, der auf Kinder verzichtet und stark privat konsumiert und es gibt einen Teil, der Kinder erzieht und damit auch viel Geld investiert in diese Kindererziehung. Wenn eines Tages das Rentenalter eintritt, dann kann es nicht mehr so sein, dass diejenigen, die viel privat konsumiert haben, ohne Kinder zu erziehen, dann sagen, jetzt sollen die anderen Kinder aber für meine Rente voll aufkommen und arbeiten. Hier müssen wir Leistungsgerechtigkeit herstellen und ich denke, wir werden als zentralen Faktor einer Rentenreform die Frage der Honorierung der Erziehungsleistung stellen.

    Liminski: Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt darauf hingewiesen, Frau von der Leyen, zuletzt im Pflegeurteil vom April 2001, dass Kindererziehung und Beitragsleistung gleich zu behandeln seien. Das geht ja auch in die Richtung dessen, was Sie sagen. Eltern leisten einen generativen Beitrag zur Bestandserhaltung des Systems, das sollte auch finanziell einen Niederschlag finden. Halten Sie in diesem Sinn die Rürup-Vorschläge für Konform mit dem Geist der Karlsruher Urteile?

    von der Leyen: Nein, ich denke, da ist zu wenig geleistet worden. Man darf nicht unterschätzen, dass die Erziehungsleistung einen hohen Beitrag überhaupt zum Bestand unserer Gesellschaft, auch was das Phänomen des Humankapitals angeht, erbringt. Allein die Innovationskraft einer Gesellschaft, also das, was unsere Wirtschaft am Laufen erhält und das was unsere Zukunft auch im Wohlstand bestimmt, diese Innovationskraft kann nur durch Kinder vorangetragen werden. Wir müssen wieder viel stärker in den Vordergrund stellen, es gehört zum Leben mit dazu, Kinder zu erziehen und damit einen Beitrag zum Fortbestand unserer Gesellschaft zu leisten.

    Liminski: Nun sind 80 Prozent der Deutschen dafür, dass Kinderlose stärker herangezogen werden zur Finanzierung der Rente. Andere wollen lieber die Eltern entlasten, sie sollen Freibeträge bei den Rentenbeiträgen bekommen. Wofür sind Sie denn?

    von der Leyen: Ich lasse gerade in meinem Haus die verschiedenen mathematischen Modelle durchrechnen. Denn man muss zwei Dinge bedenken. Einerseits ist es natürlich attraktiv zu denken, dass Familien, wenn sie mitten in der Aufbauarbeit mit ihren Kindern sind, von den Rentenbeiträgen entlastet werden, also nicht so viele Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen, um später dann eine gleich hohe Rente zu erhalten. Andererseits darf man nicht vergessen, es gibt viele Frauen, die erziehen, die zahlen gar keine Rentenbeiträge, die wären dann stark benachteiligt. Für die muss man ein System erarbeiten, dass sie im Alter, proportional zu dem, was sie an Erziehungsleistung gebracht haben, eine entsprechende Rente bekommen. Dies ist ein rentenmathematisches Problem, das gelöst werden muss. Und ich denke, man kann da nicht dieses Für oder Wider, oder die eine oder andere Lösung nur anbieten, sondern man wird eine Mischung finden müssen.

    Liminski: Was halten Sie denn für das Schlüsselproblem bei der Rente?

    von der Leyen: Das Schlüsselproblem bei der Rente ist, dass wir uns im Laufe der letzten zwanzig, dreißig Jahre darauf verlassen haben, dass anonym irgendwer unsere Rente schon erarbeiten wird und vergessen haben, dass wir dazu den Beitrag Kinder auch bringen müssen. Wir brauchen leistungsfähige, verantwortungsbewusste, starke und glückliche Kinder, dass unser Rentenanspruch später erfüllt werden muss und dieses Wissen ist verloren gegangen in unserer Gesellschaft. Das müssen wir wieder wecken.

    Liminski: Und die Vorschläge der Rürup-Kommission werden dem nicht gerecht?

    von der Leyen: Ich sagte am Anfang des Interviews schon, ich muss sie mir im Detail durchschauen. Nur, was mir bisher aufgefallen ist, dass da viele Einzelteile sind, nur die Komponente Kinder, die die zentrale Frage sein müsste, die ist offensichtlich viel zu wenig beachtet. Aber im Detail werde ich das erst beantworten können, wenn ich die Vorschläge dann auch durchgearbeitet habe.

    Liminski: Das war die Sozialministerin von Niedersachsen, Ursula von der Leyen, besten Dank für das Gespräch.