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Kritik an Schaloms Äußerungen zu Europa

Hans-Joachim Wiese: Am Telefon begrüße ich jetzt Professor Gudrun Krämer. Sie ist Islamwissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin. Guten Tag, Frau Krämer.

    Gudrun Krämer: Guten Tag.

    Wiese: Der israelische Außenminister Silvan Schalom hat die zunehmende anti-israelische und antisemitische Stimmung in Europa mitverantwortlich für die Anschläge von Istanbul gemacht. Heißt das also, wer Israel kritisiert, ist nicht nur anti-israelisch, sondern automatisch auch antisemitisch und fördert so den internationalen Terrorismus?

    Krämer: Ja, wenn man dem israelischen Außenminister glaubt, dann ist das so, aber ich würde mich ganz entschieden dagegen wehren. Ich finde das hochgefährlich und alles andere, um das so diplomatisch auszudrücken, als hilfreich. Es kann nicht angehen, dass politische Kritik am Staat Israel, der ja mit dem jüdischen Volk und der jüdischen Geschichte nicht identisch ist, in eins gesetzt wird mit Antisemitismus. Das darf nicht geschehen, das darf von allen Seiten nicht geschehen, und wenn der israelische Außenminister diese Äußerungen tut, dann ist das eine Instrumentalisierung eines schrecklichen Zusammenhanges. Das kann man so nicht akzeptieren.

    Wiese: Wo verläuft denn Ihrer Meinung nach die Grenzlinie zwischen legitimer Kritik an der israelischen Regierungspolitik und Antisemitismus?

    Krämer: Ich glaube, das ist im Prinzip leicht zu tun. Israel ist ein modernern Staat, ein Nationalstaat, der sich als jüdischer Staat versteht, der aber staatliche Politik betreibt. Wenn Israel eine Besatzungspolitik verfolgt, die völkerrechtliche Normen bricht und verletzt, dann wird man das kritisieren wie bei jedem anderen Staat. Und Vorbehalte, die dagegen geäußert werden mit der Begründung, es handele sich aber um eine jüdischen Staat, sind ihrerseits latent rassistisch. Ich finde, man muss im Prinzip an Israel die Latte anlegen, die man an einen anderen Staat anlegen würde. Und wenn die Mongolei oder Iran oder Kuba eine solche Politik betreiben würden, dann müsste man das in der gleichen Weise kritisieren, nicht mehr und nicht weniger.

    Wiese: Gilt das auch und gerade für Deutsche, die ja durch die besondere Geschichte, durch den Holocaust besonders belastet sind?

    Krämer: Natürlich. Aber nochmals gilt für mich, dass Israel nicht einfach identisch ist mit der jüdischen Geschichte und dem jüdischen Volk. Dass selbstverständlich hier eine andere Empfindsamkeit gegeben ist, ein anderes historisches Bewusstsein und man nicht elefantenhaft trompeten wird, ist ganz selbstverständlich. Aber das wird in der deutschen Politik auch verinnerlicht und in der deutschen Diplomatie. Und gerade die deutsche Diplomatie und Politik ist gegenüber Israel ja nun außerordentlich vorsichtig und sich ihrer besonderen Verantwortung auch außerordentlich bewusst. Also, hier wird ja gerade von europäischer Seite gegenüber Israel öffentlich jedenfalls doch eine sehr, sehr zurückhaltende, behutsame Sprache geführt und das muss man auch für richtig halten. Aber man kann ganz sicherlich nicht, wie das der israelische Außenminister jetzt getan hat, in der Kritik, die auch von europäischer Seite an israelischer Politik geäußert wird, und ja nicht an jüdischer, sondern an israelischer Politik, verantwortlich machen für brutale Attentate wahrscheinlich islamistischer Täter, die sich auch nicht besonders danach orientieren werden, was die deutsche oder die französische Politik zu Israel sagt.

    Wiese: Frau Krämer, jetzt gibt es ja nicht nur in Europa Kritik an der israelischen Regierungspolitik, sondern auch und teilweise noch viel schärfer in Israel selbst. So hat sich zum Beispiel gerade der frühere Knessetpräsident Avraham Burg zu Wort gemeldet und dem Zionismus seine moralische Überlegenheit abgesprochen und vier ehemalige Geheimdienstchefs haben der Politik Ariel Scharons bescheinigt, dass sie Israel politisch, militärisch und moralisch in die Katastrophe führe. Sind denn diese Kritiker im Sinne von Außenminister Schalom anti-israelisch und damit antisemitisch?

    Krämer: Nun, anti-israelisch wird er sie möglicherweise nennen und ich würde sagen, die Tatsache, dass in Israel so etwas möglich ist und von Stützen der Gesellschaft öffentlich vorgetragen wird, spricht ja für die Qualität der israelischen Gesellschaft, der zivilen wie auch der staatlichen, und sollte anderen, auch gerade kritischen Geistern insofern ein Vorbild sein, dass in Israel selber Dinge sehr nüchtern gesagt werden können, die außerhalb Israels sehr leicht als latent oder offen rassistisch, wenn nicht antisemitisch benannt werden. Nun wird Herr Schalom sicher nicht so weit gehen zu sagen, dass führende Vertreter der israelischen Gesellschaft ihrerseits antisemitisch seien. Hier wird sicherlich im Allgemeinen eine Grenze gezogen zwischen Kritikern, die selber Israelis sind oder zumindest Juden, und solchen, die es nicht sind. Da muss man auch wieder wahrscheinlich mit der historisch geprägten Vorsicht vorgehen. Also, ganz sicherlich gehe ich nicht davon aus, dass der israelische Außenminister hier so locker mit dem Antisemitismusvorwurf umgeht, dass er selbst Israelis davon nicht verschont.

    Wiese: Die Anschläge fanden ja im islamischen Fastenmonat Ramadan statt, in dem fromme Moslem nicht nur fasten, sondern auch der Gewalt abschwören müssen, auch der Gewalt gegen Ungläubige. Nun kamen aber bei den Anschlägen vor allem Moslems ums Leben und die Anschläge fanden ja auch in einem islamischen Land statt. Gegen wen richteten sich diese Anschläge also?

    Krämer: Also, Sie sagen es mit Recht, alles an diesem Anschlag ist entsetzlich und skandalös und bricht mit grundlegenden Vorschriften des islamischen Glaubens wie anderer Glaubensvorstellungen. Nun, der Anschlag richtet sich, soweit wir das erkennen können, ganz sichtlich gegen die türkische Regierungsführung, gegen die Türkei, einmal, möglicherweise weil sie generell als laizistisch eingestuft wird, vor allem aber, weil sie sich doch sehr deutlich ins westliche Lager eingereiht hat, an die Seite der USA gestellt und weil sie seit Jahren recht eng mit Israel zusammen arbeitet und zwar gerade auf dem Sektor von Rüstung, übrigens auch von Wasserlieferungen, so dass hier alle möglichen Angriffspunkte gegeben sind. Und dass unter den Opfern nur Türken sind, jüdischen wie muslimischen Glaubens, steht offensichtlich da ganz dahinter an.

    Wiese: Das war in den Informationen am Mittag im Deutschlandfunk die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer. Vielen Dank, Frau Krämer, und auf Wiederhören.

    Krämer: Wiederhören.