Mittwoch, 24. April 2024

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Kritik an sozialen Medien
Die größte Propaganda-Maschine?

Komiker Sacha Baron Cohen hat Facebook, Twitter und Google als „größte Propaganda-Maschine der Geschichte“ bezeichnet. Netz-Expertin Ingrid Brodnig gibt ihm teilweise recht. Sie geht davon aus, dass die Politik 2020 neue Gesetze für soziale Medien auf den Weg bringt, wie Brodnig im Dlf sagte.

Mike Herbstreuth im Corsogespräch mit Ingrid Brodnig | 27.12.2019
Sacha Baron Cohen spricht auf einer Gala vor rotem Vorhang
Bei einer Rede in New York im November 2019 übte Komiker Sacha Baron Cohen heftige Kritik an Facebook und Co. (AFP/Getty Images/Kevin Winter)
Mike Herbstreuth: Facebook, Google, YouTube und Twitter als "größte Propagandamaschine der Geschichte" – Frau Brodnig, übertreibt Sacha Baron Cohen da oder hat er Ihrer Meinung nach recht?
Ingrid Brodnig: Ich glaube, da ist schon etwas dran. Was Sacha Baron Cohen da ja anspricht, ist die enorme Reichweite, die enorme Macht, die diese Plattformen haben. Ich sage nur eine Zahl: Jeden Tag kann Facebook ungefähr rund 1,6 Milliarden Menschen erreichen. Es gab in der Geschichte der Menschheit nie eine Zeitung oder einen Fernsehsender, der jeden Tag 1,6 Milliarden Menschen vor sich versammelte. Und mit dieser Reichweite kommt eine Macht. Und wenn man sich das ansieht, merkt man, dass diese Plattformen nicht aus einem demokratischen Bedürfnis heraus gegründet worden sind, sondern mehr zur Unterhaltung, zur Vernetzung von Menschen und mehr und mehr wurden sie politisch wichtig.
Unsensibles Vorgehen von Facebook
Aber gleichzeitig erfüllen sie diese Position manchmal nur suboptimal. Manchmal äußern sie sich auch seltsam. Ich erinnere mich: Vergangenes Jahr hat Mark Zuckerberg einmal gesagt, er findet das auch ganz furchtbar, wenn der Holocaust geleugnet wird. Aber er denkt eher nicht, dass das von der Plattform runtergenommen werden sollte. Und das hat viele Menschen vor den Kopf gestoßen - nicht zuletzt deshalb, weil es zum Beispiel in Deutschland und Österreich verboten ist, den Holocaust zu leugnen. Und da fällt immer wieder auf, dass Facebook unsensibel vorgeht und teilweise auch schlecht - also dass dort Dinge stehenbleiben, wo man einfach nicht nachvollziehen kann, was da passiert.
Herbstreuth: Also wenn die sich aber so schwer damit tun, was wäre denn dann Ihrer Meinung nach eine Lösung? Also helfen da nur staatliche Regulierung? Hilft da nur die Androhung von Strafen, so wie es Sacha Baron Cohen auch fordert? Lassen Sie uns mal kurz reinhören:
"Vielleicht ist es Zeit, Mark Zuckerberg und den Chefs dieser Unternehmen zu sagen: Ihr habt schon zugelassen, dass sich eine ausländische Macht in unsere Wahlen eingemischt hat. Ihr habt schon einen Genozid in Myanmar ermöglicht. Tut so etwas noch einmal, und ihr geht ins Gefängnis."
Wie realistisch ist sowas? Staatliche Regulierung von Facebook oder härtere Strafen - sogar Gefängnisstrafen?
Brodnig: Also dass Mark Zuckerberg in Kürze im Gefängnis sitzt, glaube ich nicht. Und darum gehts mir persönlich auch überhaupt nicht. Ich finde, man sollte das gar nicht so auf die Person zuspitzen. Aber der Staat, gerade demokratische Länder, können schon sehr viel machen. Zum Beispiel Faktenchecks - da gibt es derzeit überhaupt keine Regeln. Das machen sich die Plattform selbst aus. Gleiches Beispiel: politische Werbung im Wahlkampf. Da können die Plattformen derzeit selbst entscheiden, was sie offenlegen, wie viel sie verraten, was sie nicht sagen.
Neue Mindeststandards notwendig
Ich glaube, das sind Felder, da könnten wir Leitlinien vorgeben, zum Beispiel Mindeststandards, die jede große Plattform erfüllen muss. Zum Beispiel: Wie viel Geld hat ein Inserat einer Partei gekostet? Welche Zielgruppen wurden angesprochen? Das sollten wir nicht den Plattform allein überlassen. Ich glaube nicht, dass wir mit Regulierung das gesamte Problem der Desinformation im Internet wegbekommen. Das wird nie weggehen. Aber wir können es eine Spur besser machen! Ich glaube, wir müssen jetzt nicht über strenge Strafen reden, sondern eher über neue Mindeststandards in der politischen Debatte im Netz. Weil wir alle in einem Spiel mitspielen, wo wir die Regeln nicht kennen. Und ich glaube, das ist einfach nicht gut genug.
Die österreichische Autorin und Journalistin Ingrid Brodnig während einer Diskussionsrunde zum Thema "Fakenews" im Rahmen der 24. Österreichischen Medientage in Wien
Die österreichische Autorin und Journalistin Ingrid Brodnig (picture alliance / APA / Georg Hochmuth )
Herbstreuth: Glauben Sie, dass das funktionieren kann? Dass die Politik da wirklich Einblick bekommt und dann so eine Kooperation mit den sozialen Netzwerken zustande kommen kann?
Brodnig: Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren definitiv auf neue Regeln zuströmen, regelrecht. Sie müssen bedenken: Kommendes Jahr, 2020, findet die nächste US-Wahl statt. Da kann man davon ausgehen, dass wieder emotionalisierende, vielleicht auch falsche Inhalte sichtbar werden. Das wird die Debatte antreiben. "Oh mein Gott, hast du gesehen, was jetzt schon wieder passiert ist auf Facebook?" Und gleichzeitig kann man sagen: In Europa arbeitet die EU-Kommission schon an sehr vielen Gesetzesvorhaben. Man kann davon ausgehen, dass da nächstes Jahr auch einiges kommt. Also ich gehe schon stark davon aus, dass wir in den nächsten Jahren tatsächliche Gesetzesverstöße erleben werden. Und da muss man halt sehen: Sind die gut genug? Was gehört verbessert? Aber ja, warum sollte das Internet die eine Branche sein, wo wir keine Mindeststandards schaffen? Machen wir doch in anderen Branchen auch.
Herbstreuth: Also glauben Sie dann, dass es 2020 wirklich besser werden könnte im Hinblick auf Desinformationen oder Verschwörungstheorien auf sozialen Netzwerken? Kriegen wir das besser in den Griff? Oder ist es erst einmal nur ein bisschen eine Wunschvorstellung?
Brodnig: Ich glaube, dass wir 2020 noch mehr darüber reden werden. Weil mit jeder US-Wahl, und das ist die wichtigste und meistdiskutierte Wahl der Welt, werden auch immer solche emotionalisierenden, problematischen Geschichten im Netz diskutiert. Ich gehe schon davon aus, dass auch bei der US-Wahl 2020 problematische Dinge auf sozialen Medien passieren werden, vielleicht auch von einem politischen Kandidaten, an den man da jetzt denken könnte. Und das treibt die Debatte an, und gleichzeitig ist in Europa die neue EU-Kommission am Start, die schon angekündigt hat, dass sie Dinge vorlegen wird. Und da kann man davon ausgehen, dass die sich mit Algorithmen beschäftigen werden, also mit Software und welche Transparenz da vielleicht notwendig ist, also auch mit der Haftung großer Plattformen. Und das führt zumindest dazu, dass wir eine Debatte haben werden.
Wir haben noch länger mit Ingrid Brodnig gesprochen - hier finden Sie die Langfassung des Corsogesprächs
Die tatsächlichen Gesetze - das dauert dann oft ein paar Jahre. Das Problem im Netz ist ja, dass digitale Plattformen wahnsinnig schnell vorpreschen, aber der Rechtsstaat, der ist langsam. Und der ist auch aus gutem Grund langsam - weil man Gesetze nicht einfach aus dem Boden stampfen kann und sollte. Das heißt, nächstes Jahr werden wir wahrscheinlich noch keine fixe Regulierung haben, aber wir werden eine Debatte haben. Und ich gehe davon aus: Mit jedem Jahr, wo auch die Teilnahme an sozialen Medien wächst, werden wir mehr und mehr darüber reden und auch einfach reden müssen.
Kaum jemand löscht das eigene Profil
Herbstreuth: Das wäre jetzt die politische Seite - wenn wir jetzt mal auf die Seite der Nutzerinnen und Nutzer gucken. Was können die denn tun? Es gab ja zum Beispiel Aktion wie #deletefacebook und ich kenne auch einige Leute, die damals tatsächlich ihren Account gelöscht haben. Nur: diese Gesamtzahl der UserInnen und User, auf die hatte da ja überhaupt keine Einwirkung, oder? Facebook hat danach Rekordzahlen präsentiert. Bringt das also gar nichts?
Brodnig: Wenn man sich die Nutzungsdauer anschaut, zumindest in den USA, da gibt es schon den Verdacht, dass manche Menschen kürzer auf Facebook sind. Aber Sie haben recht: diese große Ankündigung, "delete facebook!", also "löscht dein Profil!", das haben nur wenige gemacht. Und ich muss Ihnen sagen: Das ist überhaupt kein Wunder. Weil: Facebook hat jeden Tag ungefähr 1,6 Milliarden User. Und wenn ein großer Teil Ihrer Freunde, Ihres sozialen Netzwerkes dort ist, dann ist es schwierig, darauf zu verzichten. Das nennt man Netzwerkeffekte: Ein Netzwerk ist umso attraktiver für User, je mehr andere User dort sind. Und darum können Sie nicht einfach Ihr Facebook-Profil löschen, weil Ihre Freunde nur auf Facebook sind und vielleicht nicht auf Twitter oder auf Diaspora. Deswegen ist es so schwierig, sich von den großen Plattform zu verabschieden: Weil es keine richtigen Alternativen gibt.
Und ich glaube, es ist falsch zu sagen, der User muss durch eigenen Boykott das Problem lösen. Boykott kann sinnvoll sein, aber in dem Fall ist die Marktmacht so groß, dass man glaube ich eher politisch, also gesamtgesellschaftlich einschreiten sollte. Das heißt: notfalls Auflagen machen. Oder: In den USA gibt es sogar eine Debatte, ob Facebook zerschlagen werden sollte. Also, ich glaube, es ist zu viel, die Verantwortung für das Problem dem Einzelnen umzuhängen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.