Freitag, 19. April 2024

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Netzaktivistin Marta Peirano
„Wir sind süchtig, weil wir süchtig sein sollen“

Die Autorin Marta Peirano gilt in ihrer Heimat als eine der versiertesten Stimmen für Datensicherheit. Ihr im Juni veröffentlichter Essay „Der Feind kennt das System“ ist bereits in der vierten Auflage erschienen. Ein Gespräch über digitale Kontrolle und unsere Abhängigkeit vom täglichen Dopamimkick.

Marta Peirano im Corsogespräch mit Julia Macher | 27.09.2019
Auf dem Bild ist die spanische Netzaktivistin Marta Peirano zu sehen. Sie lächelt in die Kamera
Die spanische Netzaktivistin und Autorin Marta Peirano (Julia Macher)
Julia Macher: Marta Peirano, wir haben uns für das Interview per Whatsapp verabredet, Google Maps hat mich zum Treffpunkt geführt und am Ende werde ich noch ein Foto für meinen Twitter-Kanal knipsen. Damit habe ich alles falsch gemacht, oder?
Marta Peirano: Letztlich hast du lediglich die Kommunikationsmittel verwendet, die wir derzeit haben, um mit Unbekannten in Kontakt zu treten. Natürlich sammeln die alle Daten über dich und entwickeln daraus Vorhersagemodelle, die dir vermutlich unerwartet und sehr tragisch wirtschaftlich schaden werden. Aber dir bleibt nichts anderes übrig, als sie zu nutzen. Du hast keine Wahl.
Macher: Wie schadet mir das wirtschaftlich?
Peirano: Der Schaden ist nicht individuell, sondern kollektiv. Nimm zum Beispiel diese berühmten DNA-Tests, die viele machen, um zu wissen, ob sie Wikinger- oder afroamerikanische Vorfahren haben: Indem sie das Risiko für bestimmte Erbkrankheiten ermitteln, bestimmen sie nicht nur deine Zukunft, sondern auch die deiner Familie oder der Nachbarn. Denn aus diesen Informationen destillieren die Krankenkassen mit der Zahl X den Maximalpreis, den du für Gesundheitsvorsorge zahlst – und der dich, wie immer, bis zum Limit ausbeutet. Oder nimm den Skandal um Cambridge Analytica. Wir können nicht beweisen, dass durch deren Aktivitäten die Briten für den Brexit gestimmt oder Trump die Wahl gewonnen hat. Aber sie haben die Legitimität von Wahlprozessen in die Luft gesprengt. Sie haben die Grundpfeiler der Demokratien zerstört.
Propaganda zum Nulltarif
Macher: In Ihrem Buch "Der Feind kennt das System" beschreiben Sie mehrere solcher politischen Kampagnen: von Trump über den Brexit bis zu Bolsonaro. Welche macht Ihnen am meisten Angst?
Peirano: Am meisten Angst hat mir die Kampagne von Bolsonaro gemacht. Er hat sich aller Manipulationstechniken bedient, die auch Donald Trump in seinem Wahlkampf verwendet hat und seine Botschaften dann über Whatsapp verbreitet. Da man über Whatsapp quasi zum Nulltarif Propaganda an Millionen Menschen verschicken kann, die Kommunikation aber verschlüsselt ist, ist es ein Massenmedium, das vom Kommunikationsgeheimnis geschützt wird. Bolsonaro hat ausgenutzt, dass in Brasilien viele arme Leute eben nicht Zugang zum Internet haben, sondern zu Facebook, Whatsapp, Instagram oder anderen gesponsorten Applikationen, zu Free Basics. Wer in Mattogrosso so eine Nachricht erhält, kann eben nicht mal schnell im Netz den Inhalt gegenchecken. Eine der meist verbreiteten Botschaften war damals ein Bild des inhaftierten Lula da Silva - mit der Nummer 17, der Wahlnummer von Bolsonaro. Wie viele Leute in Brasilien haben Bolsonaro gewählt und dachten, sie hätten eigentlich jemand anderen gewählt?
Macher: In Europa gibt es aber die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, um gegenzusteuern – aber nur theoretisch. Bestes Beispiel ist Spanien, wo Social Media fleißig genutzt werden, aber Themen wie Privatheit, Datenschutz, digitale Rechte kaum eine Rolle spielen. Ein aktuelles Beispiel ist die Einführung des 5G-Standards.
Peirano: Spanien verkauft sich europaweit als Pionierin in Sachen 5G, aber tatsächlich wurde das Netz von Vodafone gelegt, dessen Mutterland kurz davor ist, die EU zu verlassen. Die Antennen stammen von Huawei, einer Firma, die zu einem autoritären Regime gehört. Es geht nicht um ein spanisches Projekt, sondern um ein Projekt, das in Spanien stattfindet. Die Infrastruktur gehört nicht uns. 5G ist eine gigantische Möglichkeit, Daten abzusaugen – so wie das die digitalen Plattformen in den letzten 15 Jahren getan haben, nur in ganz anderen Dimensionen: Von diesem Standard wird der Verkehr, das Gesundheitssystem, die Verteidigung abhängen. Spanien hat zwar seit langem in Sachen Informatik und Telekommunikation eine hochentwickelte Ingenieurkultur. Aber bei der Debatte um digitale Rechte sind wir das nicht, als User sind wir nicht besonders verantwortungsbewusst.
"Sie sollen uns süchtig machen."
Macher: Auch wenn wir als User wissen, dass wir Gratisdienste teuer mit unseren Daten bezahlen: Warum lassen wir nicht unsere Finger davon?
Peirano: Weil die Applikationen und die Apparate genau dafür von den größten Genies unserer Zeit geschaffen wurden. Sie sind so designt, dass wir kontinuierlich möglichst viel Daten produzieren, indem wir eben so viel Zeit wie möglich an unserem Handy oder am Computer rumfummeln. Sie sollen uns süchtig machen, und wir sind süchtig.
Macher: Was für ein Mechanismus steckt dahinter? Warum machen wir zum Beispiel so bereitwillig zum Beispiel beim TenYearsChallenge mit, diesem Vorher-Nachher-Bildvergleich, mit dem man im Nebenzug prima Künstliche Intelligenz für Gesichtserkennung trainieren kann?
Peirano: Weil wir aufs Virale trainiert sind – und weil wir als Menschen von Natur aus, aus Überlebensgründen gern am Kollektiven, am Gemeinwesen teilnehmen. Und in den letzten Jahren haben sich eben diese Plattformen zum öffentlichen Raum erklärt - und sind es tatsächlich geworden: Dort wird über Politik diskutiert, dort werden Kontakte geknüpft, Vereine gegründet – vom arabischen Frühling bis zum Elternverein an der Schule. Wir folgen da also einem ureigensten Instinkt und lassen uns in die Falle führen.
Dopaminstöße durch Herzchen und Likes
Macher: Und die Dopaminstöße, die wir über Herzchen und Likes bekommen, sind die Währung, in der wir uns dafür bezahlen lassen. In der Netflix-Serie "Black Mirror" gibt es eine Folge, in der die Zahl der Likes, das Social Media Ranking über Zugang zu Wohnsiedlungen und Kundenservice bestimmt. In China entscheidet das Sozialkreditsystem übers gesellschaftliche Fortkommen. Wie kommen wir da wieder raus?
Peirano: Die Frage "Sollen wir unsere Handys wegschmeißen und aufs Land ziehen?" höre ich immer wieder. Das verbessert vielleicht dein Leben, bringt aber wenig – auch weil das eigentliche Problem inzwischen die Satelliten mit Gesichtserkennungssoftware sind, vor denen wir uns sowieso nicht verstecken können. Wir gewinnen unsere Privatheit nicht wieder, indem wir die Handys wegwerfen oder nie wieder einen Computer nutzen. Aber wir müssen endlich massiv Druck auf die Politik ausüben. In Spanien hat das Thema in den letzten Wahlkämpfen gar keine Rolle gespielt. Jetzt will der amtierende Premier sogar Regierungsdaten auf die Cloud von Amazon laden! Das ist doch Wahnsinn!
Soziale Netze in der Nachbarschaft
Macher: Abgesehen vom Druck auf die Politik, was bleibt?
Peirano: Wir sollten aufhören, mit Leuten zu reden, die am anderen Ende der Welt die gleichen Platten hören wie wir – und mehr mit unseren Nachbarn reden. Wir müssen soziale Netze in der Nachbarschaft knüpfen, mit Menschen, die anders denken als wir, aber neben uns oder mit uns leben, die ein anderes Alter, ein anders Einkommen, eine andere Erziehung, andere Bücher haben. Das ist eine völlig toxische Monokultur!
Macher: Für jemanden, der auf Twitter 15.000 Follower hat und als Aktivistin und Autorin seit 20 Jahren in der digitalen Welt unterwegs ist, klingt das sehr analog.
Peirano: Ich glaube fest daran, dass Technologien und Wissenschaft unser Leben verbessern können. Aber wir sollten in die Technologien investieren, die uns helfen, den Klimawandel zu verwalten. Das ist unser eigentliches Problem. Statt immer besser Daten zu saugen, müssen wir Ressourcen für gefährdete Gesellschaften optimieren. Genau diese Technologien helfen uns dann bei allem anderen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen