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Kritik an weiteren Beschränkungen für osteuropäische Arbeitskräfte

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat die Verlängerung der Zugangsbeschränkungen für Arbeitnehmer aus osteuropäischen EU-Staaten kritisiert. Wenn die Freiheiten des EU-Marktes eingeschränkt werden, "dann verschenken wir damit Wachstumspotenzial, und das im Übrigen auch auf deutscher Seite", sagte der DIHK-Arbeitsmarktexperte Oliver Heikaus. Mit dem Kabinettsbeschluss wird eine Übergangsregelung im EU-Recht um drei Jahre verlängert und damit voll ausgeschöpft.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Am Telefon ist nun Oliver Heikaus, Arbeitsmarktexperte des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Herr Heikaus, spätestens im Jahr 2011 ist es vorbei mit der Abschottungspolitik. Dann sollen alle Arbeitnehmer der 25 EU-Staaten da arbeiten können, wo sie wollen. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll, den deutschen Arbeitsmarkt bis dahin zu schützen?

    Oliver Heikaus: Schönen guten Tag Herr Spengler! Der DIHK hält es nicht für sinnvoll, dass Deutschland die Übergangsregelung nur noch einmal drei Jahre unverändert fortführt. Wir haben uns unsererseits dafür ausgesprochen, innerhalb der kommenden drei Jahre - von der Verlängerung an sich war ja auszugehen – den deutschen Arbeitsmarkt für die Arbeitnehmer und Unternehmen aus den mitteleuropäischen Beitrittsstaaten zumindest schrittweise zu öffnen.

    Spengler: Das müssten Sie uns jetzt ein bisschen begründen, weil wir ja eben dem Bericht entnommen haben, dass die Arbeitgeberverbände, auch die Handwerkskammern eigentlich dafür sind?

    Heikaus: Ein Grund dafür ist der, dass die EU oder der Binnenmarkt der EU nun mal von vier Grundfreiheiten lebt: Waren-, Dienstleistungs-, Kapitalverkehrsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit. Wenn wir hier diese Freiheiten teilweise einschränken, dann verschenken wir damit Wachstumspotenzial, und das im Übrigen auch auf deutscher Seite. Das darf man nicht vergessen. Polen beispielsweise macht von seinem Recht Gebrauch, die Beschränkungen seinerseits auch auf deutsche Unternehmen und Arbeitnehmer anzuwenden. Das heißt, die Abschottung Deutschlands macht es auch unseren Unternehmen schwer, auf den Märkten Mitteleuropas Fuß zu fassen. Deshalb wäre schon heute zumindest eine schrittweise Öffnung der Märkte aus unserer Sicht wichtig.

    Spengler: Wäre es denn trotzdem, Herr Heikaus, nicht unter dem Strich so, dass tatsächlich deutlich mehr, um mal beim Beispiel Polen zu bleiben, Polen auf dem Arbeitsmarkt hier Unterschlupf suchten als Deutsche in Polen?

    Heikaus: Die Chancen des Binnenmarktes gehen ja immer in beide Richtungen. Richtig ist natürlich auch, dass Deutschland seine Chancen, dass dieser gemeinsame Markt ein großer Erfolg wird, dann maximiert, wenn wir unsere Hausaufgaben machen und unsere Strukturprobleme in den Griff bekommen. Desto stärker werden wir von diesem vergrößerten Wirtschaftsraum profitieren.

    Die Gefahr oder das Risiko, was wir jetzt sehen, ist, dass die Bundesregierung zwar die Diagnose, dass unser Arbeitsmarkt aus den Fugen geraten ist, ja richtig gestellt hat. Nur sie macht unseres Erachtens einen Fehler, denn die Probleme auf dem Arbeitsmarkt lösen wir gewiss nicht, indem wir uns jetzt abschotten. Dadurch laufen wir nur Gefahr, notwendige Strukturanpassungen noch weiter auf die lange Bank zu schieben.

    Spengler: Das sagen Sie so einfach. Trotzdem aber noch mal meine Frage. Daran möchte ich noch einmal erinnern. Kommen nicht am Ende mehr Polen zu uns, als dass Deutsche nach Polen gingen?

    Heikaus: Ich würde die Wanderungsbereitschaft der Arbeitnehmer tendenziell nicht überschätzen. Schauen Sie, der Bericht der EU-Kommission zeigt ja, dass sich die bisherigen Zuwanderungsströme auch nach Großbritannien und Schweden, die ihrerseits die Märkte ja geöffnet haben, in engen Grenzen halten. Nun wird ja oft argumentiert, England sei eine Insel und nicht mit Deutschland vergleichbar. Das mag ja stimmen, zumindest dass England eine Insel ist, aber dieser Schluss ist kein ausreichendes Argument für eine unveränderte Fortführung der Übergangsfristen. Nun ist es ja so, dass gerade zum Beispiel in den Regionen um die deutsch-polnische Grenze herum es natürlich besonders wichtig ist, so rasch wie möglich die Weichen für eine Integration der Wirtschaftsräume zu stellen, zum Beispiel durch mehr Freiräume der Unternehmen bei grenzüberschreitenden Aktivitäten und Erleichterungen beim grenzüberschreitenden Arbeitnehmeraustausch.

    Spengler: Ich muss Sie jetzt trotzdem mal fragen. Fünf Millionen Arbeitslose haben wir mindestens. Wenn zusätzlich jetzt noch Arbeitnehmer aus Osteuropa kommen sollten, wo sollen die denn überhaupt Arbeit finden?

    Heikaus: Wenn man fragt, wer wird kommen? Es werden diejenigen Unternehmen und Arbeitnehmer, so sie denn dürfen – sie dürfen ja noch nicht, wenn wir die Freizügigkeit hätten und wenn wir sie dann hoffentlich 2009 spätestens – das hoffen wir – haben werden, wird folgendes passieren. Es werden diejenigen Unternehmen und Arbeitnehmer auf den deutschen Markt stoßen, die hier Chancen sehen, ihre Produkte und Dienstleistungen beziehungsweise ihre Arbeitskraft erfolgreich anzubieten.

    Spengler: Welche sind das?

    Heikaus: Na ja, das muss man sehen, vielleicht im Dienstleistungsbereich möglicherweise. Möglicherweise werden auch polnische Handwerker auf unseren Markt drängen. Das ist überhaupt keine Frage. Insofern sind die Befindlichkeiten einzelner Branchen natürlich auch nachvollziehbar.

    Spengler: Das würde doch dann bewirken, dass die Konkurrenz größer würde und dass die Löhne weiter rutschen würden?

    Heikaus: Na ja, das würde aber auch bewirken, wenn die Konkurrenz größer wird, dass letzten Endes auch die Konsumenten hierzulande dann günstigere Produkte und Dienstleistungen in Anspruch nehmen können, denn dass unsere Schattenwirtschaft immer noch so ein beachtliches Volumen aufweist, liegt ja nicht zuletzt daran, dass viele Bürger hierzulande die regulären Preise schon längst nicht mehr bezahlen können. Deswegen ist Konkurrenz ja hier durchaus eine sinnvolle Angelegenheit.

    Spengler: An dieser Stelle müssen wir einen Punkt machen. Danke schön! Das War Oliver Heikaus, Arbeitsmarktexperte des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Danke für das Gespräch, Herr Heikaus.

    Heikaus: Ich danke Ihnen.