Freitag, 19. April 2024

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Kritik in der katholischen Kirche
"Das Papier legt den Finger in die Wunde"

Ein kritisches Papier der Katholischen Studierendendengemeinde Köln steht nicht mehr auf der Homepage, das Erzbistum hatte interveniert. Die Theologin Julia Knop sagt: Gerade eine solche Reaktion zeigt, wie berechtigt die Forderungen der Studierenden sind.

Julia Knop im Gespräch mit Benedikt Schulz | 20.11.2020
Julia Knop, Professorin für katholische Theologie an der Universität Erfurt
Julia Knop, Professorin für katholische Theologie an der Universität Erfurt (Julia Knop)
Es ist ein mindestens kurioser Vorgang, der sich da abgespielt hat in diesen Tagen in Köln. Das Kölner Erzbistum hat die Internetseite der dem Bistum unterstellten Katholischen Hochschulgemeinde Köln für eine Woche gesperrt, weil da ein inzwischen anderthalb Jahre alter Text, ein Positionspapier, weiterhin zugänglich war. Die Autoren kritisieren darin die Führung der katholischen Kirche und wenden sich unter anderem gegen religiöse Aufladung von Macht. Das Auftreten von manchen kirchlichen Amtsträgern sei unerträglich, weil diese sich rückständig äußerten und dabei immer wieder Menschen verletzten. Seit gestern früh ist die Seite wieder zugänglich. Das Positionspapier aber ist kommentarlos verschwunden - es ist allerdings weiterhin leicht auffindbar im Netz und hat jetzt wieder mehr Aufmerksamkeit.

Benedikt Schulz: Über diesen Vorgang und vor allem darüber, wie Macht ausgeübt wird in der katholischen Kirche, in welchen Machtstrukturen, darüber spreche ich jetzt mit Julia Knop. Sie ist katholische Theologin und Professorin für Dogmatik an der Universität Erfurt. Also der Zeitpunkt dieses Vorgangs, der ist ja mindestens bemerkenswert – nämlich ein Zeitpunkt, in dem das Erzbistum, der Erzbischof in Köln sowieso unter dem Druck der Öffentlichkeit stehen, weil sie nämlich ein langes erwartetes Gutachten zum Thema Missbrauch zurückhalten. Gerade jetzt wird da die Internetseite der KHG, also der Katholischen Hochschulgemeinde, gesperrt wegen eines anderthalb Jahre alten Textes. In jeder anderen Institution würde man sagen: marketingmäßig ein totaler Super-GAU, suboptimal gelaufen. Aber in der katholischen Kirche sind solche Dinge wie Image, Marketing, öffentliche Meinung inzwischen anscheinend völlig ohne Belang. Warum ist das so? Wie kommt das?
"Kirchenleitung agiert so, wie es im Papier kritisiert wird"
Julia Knop: Dieses Verfahren verschafft tatsächlich dem Papier maximale Aufmerksamkeit. Das ist sicherlich nicht das, was geplant war. Entweder ist das egal oder man hat die Situation einfach vollkommen falsch eingeschätzt. Das Papier, meine ich, ist deswegen interessant, weil es gerade ganz massiv den Finger in die Wunde der Situation im Erzbistum Köln legt. Es definiert Katholizität anders, als es die Kirchenleitung im Erzbistum Köln tut. Es nimmt sich die Freiheit zu sagen: Wir können auch anders katholisch sein und wir bieten einen Katholizismus an, der identifikationsfähig ist, der uns nicht die Leute wegtreibt.
Katholische Kirche: Wo Bischöfe Medienmärtyrer sein können
Im Missbrauchsskandal kritisieren katholische Journalisten die Öffentlichkeitsarbeit im Erzbistum Köln. Das System der Kirche funktioniere nach einer eigenen Logik, so Journalistin Christiane Florin im Dlf. Doch auch in der evangelischen Kirche seien Recherchen nicht einfach.
Und das ist natürlich ein offener Affront oder es wird so wahrgenommen. Und vor diesem Hintergrund ist auch verständlich, warum man seitens des Erzbistums vor allem den Loyalitätsverstoß so hoch hängt und nicht sagt: Ach, gucken wir doch mal in das Papier rein. Was sind denn da eigentlich für Themen? Ist das vielleicht berechtigte Kritik? Kann man da anders mit umgehen? Wir haben es hier mit einer Hochschulgemeinde zu tun. An einem Hochschulstandort würde man die freie Rede pflegen. Man könnte ein Podium machen. Man hätte ganz, ganz anders reagieren können. Aber man fokussiert den vermeintlichen Loyalitätsverstoß, der sich eben die Freiheit genommen hat, Katholizität anders und selbst und frei zu definieren.
Also das, finde ich, ist das Interessante an diesem Vorgang. Das Papier tut etwas, was es fordert: die freie Rede. Und die Kirchenleitung in Köln bestätigt im Grunde die Berechtigung dieser Forderung, weil sie genauso agiert, wie es im Papier kritisiert wird.
"Punkte sind auf dem Synodalen Weg auf dem Tisch"
Schulz: Genau. Und jetzt schreibt das Erzbistum Köln in einer Stellungnahme, man sei an einer kritischen Auseinandersetzung grundsätzlich interessiert, aber es könne kein sachlicher Diskurs geführt werden auf Grundlage eben dieses Papiers. Das heißt mit anderen Worten: Die Kirchenführung definiert, wer und was zum Diskurs zugelassen wird. Eine Debatte ist dann ja von Beginn an unmöglich, oder?
Knop: Ja, das ist eine ganz merkwürdige Verschiebung. Denn wenn man sich die Punkte anschaut, die in diesem Papier benannt werden, das sind die Punkte, die beim Synodalen Weg auf dem Tisch sind, also die, die unter anderem die komplette Deutschen Bischofskonferenz als wichtige Themen benannt hat. Dort wird es diskutiert.
Ich finde auch, das Papier hat einen relativ scharfen Tonfall. Aber es ist nicht unsachlich. Es sind es sind Positionen, Forderungen, Analysen darin, die, ich würde vermuten, eine große Mehrheit der Katholikinnen und Katholiken auch in Deutschland unterschreiben würde. Aber diese Position wird eben nicht als sachgerecht angesehen und ja, mit dem mit dem Label, man könne keinen sachgerechten Dialog führen, direkt ausgeschlossen.
Wie ist Kontrolle möglich?
Schulz: Jetzt übt das Erzbistum Köln da, wenn man so will, konkret Macht aus – sperrt eine Internetseite, droht mit Sanktionen – so eine Macht, die sakral legitimiert wird. Wenn dann eben nicht von Diskurs, sondern sozusagen von Loyalität die Rede ist, ist eine Kontrolle einer solch sakral legitimierten Macht überhaupt möglich, per Definition?
Knop: Naja, es ist ja eine Macht, die sich im Grunde selbst sakralisiert. Wenn wir von der Amtstheologie herschauen würden, müssten wir sagen: Es geht nicht um ein sakrales Amt, sondern ein ordiniertes Amt, also um ein bevollmächtigtes Amt. Konsekriert werden Menschen in der Taufe, aber nicht in ihrer Einsetzung zum Amt. Also eine Kontrolle wäre durchaus möglich. Und wir haben ja auch eine Kontrolle von Macht in der Kirche, allerdings nur nach oben, nur eine vertikale Macht, immer nur gegenüber der nächsthöheren Instanz.
Schulz: Das heißt aber, dass sich die Kirche dann doch mindestens zu einer Art von Machtkontrolle von außen öffnen müsste. Denn anders scheint es ja nicht zu funktionieren. Sonst wird die Macht ja unhinterfragt ausgeübt.
Knop: Dann ist die Frage, was Außen und Innen ist. Das Kirche müsste sich in jedem Falle rechtsstaatlichen Prinzipien von Macht öffnen und könnte natürlich auch ein System der Machtkontrolle im Inneren einführen und dort Partizipationsformen entwickeln. Das wird ja im Moment auch beim Synodalen Weg alles bedacht und überlegt und entwickelt.
"Kumulation von Rollen ist ein großes Problem"
Schulz: Ist es ein Problem möglicherweise, dass es da um Verwaltungsaufgaben geht? Denn die Leitung eines Bistums ist ja zum Beispiel erst mal eine Verwaltungsaufgabe. Und da gibt es Amtsträger, die sich aber eigentlich weniger als Verwalter sehen – die einen Job machen, ein Job mit einer besonderen, spezifischen Anforderung –, sondern dass sie sich eher theologisch als Seelsorger, als Hirten sehen. Und da ist es dann im Prinzip fast egal, ob man den Job jetzt gut oder schlecht macht oder vielleicht sogar unfähig ist. Ist das ein Problem?
Knop: Ich glaube, diese Kumulation von Rollen, ist ein großes Problem. Die ist tatsächlich in der katholischen Amtstheologie, wie sie im Moment besteht, angelegt, wenn man Leitung und Spiritualität im Grunde zusammenführt. Wenn man den Bischof nimmt, den obersten Leiter einer Diözese: Er ist gleichzeitig Chef, um es mal in diesen Kategorien auszudrücken, er ist Hirte, heißt das dann, also er ist Seelsorger, Spiritual. Er ist auch Lehrer, also Kommunikationsdirektor, wenn man so will.
Missbrauch in der katholischen Kirche: Das Schweigen der Laien
Täterschutz war wichtiger als Opferfürsorge – so ein Ergebnis eines Gutachtens für das Bistum Aachen. In Köln bleibt ein Gutachten derselben Kanzlei unter Verschluss. Betroffene fühlen sich wieder missbraucht – und Laien-Verbänden fällt es schwer, für die Opfer Partei zu ergreifen.
Und das zeigt sich im Moment bei der Frage der Aufarbeitung von Problemen, die zu Vertuschung von Missbrauch geführt haben, sehr, sehr, sehr deutlich. Denn da ist der Bischof eben auch in dieser Doppel- oder Dreifach-Rolle. Er ist Chef und er ist Seelsorger. Und er sieht sich vielleicht auch besonders als Seelsorger seiner Priester, mit denen er institutionell und vielleicht auch emotional durch diese Mitbrüderlichkeit noch mal sehr viel enger verbunden ist als mit den Opfern von Gewalt.
Schulz: Das heißt, man kann als Verwaltungschef zurücktreten oder gekündigt werden, aber nicht so gut als geweihter Hirte und Seelsorger?
"In der Politik sind Rücktritte sehr viel niedrigschwelliger"
Knop: Nein, gekündigt werden – das ist tatsächlich ein Problem. Zurücktreten kann man natürlich. Warum denn nicht? Das ist gar keine Frage. Aber auch da haben wir ja unterschiedliche Wahrnehmungen oder auch unterschiedliche Praktiken.
Jetzt ist gerade in Mecklenburg-Vorpommern der Innenminister zurückgetreten, nicht weil ihm manifeste Schuld nachgewiesen werden konnte, sondern weil er gesagt hat: Ich habe das Vertrauen nicht mehr. Ich habe den Rückhalt nicht mehr. Das heißt, in der Politik sind Rücktritte sehr viel niedrigschwelliger angezeigt, als das kirchlicherseits bisher der Fall ist.
Schulz: Jetzt hat er gestern der Hamburger Erzbischof Stefan Heße erklärt, er würde sein Amt als Geistlicher Assistent des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ruhen lassen, denn die Amtsführung sei belastet durch die öffentliche Debatte um die Aufklärung des sexuellen Missbrauchs im Kölner Bistum. Heße steht da als der frühere Personalchef mit im Zentrum. Er lässt also das Amt im Zentralkomitee der deutschen Katholiken ruhen. Aber interessanter ist eigentlich auch, auf welche Idee er nicht kommt, nämlich dass er sein Amt als Erzbischof ruhen lassen könnte – was ja eigentlich doch viel naheliegender wäre. Oder?
Missbrauchsstudie - Forensiker Dreßing: "Ich erwarte Rücktritte"
Das Erzbistum Köln hatte angekündigt, in einer Untersuchung zum Umgang mit sexualisierter Gewalt "Ross und Reiter" zu nennen. Die Untersuchung bleibt aber unveröffentlicht. Psychiater Harald Dreßing forderte im Dlf, Bischöfe müssten Verantwortung übernehmen.
Knop: Das würde zumindest den Fokus rücken auf die Frage: Was hat er getan und sind da vielleicht Defizite, die ihm noch nachgewiesen werden können? Er hat sich ja sehr präzise, Sie haben es zitiert, auf die öffentliche Debatte bezogen, die ihm die Ausübung dieses Amtes möglich macht. Aber die Frage stellt sich tatsächlich: Warum das Geistliche, also im Grunde die Aufgabe als Spiritual des ZDK, und warum nicht die Leitungsaufgabe? Und haben wir wieder diese beiden Rollen, die verbunden sind, aber zwischen denen dann offenbar – was Rücktritte, ruhen lassen und so weiter angeht – sehr genau unterschieden wird.
"Es bleibt alles in der Hand des Bischofs"
Schulz: Was den Umgang mit dem Thema sexueller Missbrauch und die Aufklärung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche angeht, ist da eigentlich allen klar – man kann sich ausrechnen –, dass die Glaubwürdigkeit der Institution sich gerade nachhaltig selbst zerstört? Trotzdem, die Verantwortlichen halten – mit kleineren Ausnahmen – weiterhin grundsätzlich an diesem Umgang fest, sind eigentlich fast unfähig zu Verhaltensveränderungen. Wo kommt diese professionelle Deformation her?
Knop: "Professionelle Deformation" ist natürlich jetzt ein sehr hartes Wort. Aber Sie sprechen ein Grundproblem an, meine ich: Dass die Aufarbeitung von Missbrauch, die ja langsam beginnt – ob aus öffentlichem Druck oder aus Einsicht, das wird man dann im Einzelfall noch mal unterschiedlich bewerten – weiterhin im Gutdünken und dem guten Willen des Bischofs liegt. Also auch diejenigen Bischöfe, die eine unabhängige Untersuchung beauftragt haben, bleiben die Auftraggeber. Und wir sehen jetzt an den unterschiedlichen Verhaltensweisen in Aachen und Köln, dass eine unabhängige Untersuchung mal veröffentlicht wird und mal nicht – je nachdem, wie der jeweilige Bischof das einschätzt und sich auch ja zutraut, die Güte eines solchen Gutachtens bewerten zu können. Aber es bleibt alles in der Hand des Bischofs, ob aufgearbeitet wird oder nicht, ob die Öffentlichkeit davon erfährt oder nicht, ob er meint, dass das Aufgearbeitete Anlass für Rücktritt ist oder nicht, und ob er am Ende tatsächlich zurücktritt oder nicht. Es ist alles in seiner Person kumuliert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.